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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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"Geist der Presse," die Natur der "Schlußfolgerung" aus einer Reihe
von Artikeln ist zu einem juristischen Thatbestande erhoben, der Richter
ist zum polizeilichen Organe geworden, und nicht mehr der Verfasser,
sondern das Unternehmen wird bestraft. Es ist genau dasselbe,
was das Stat. 60. Georg. III. ausspricht, nur viel klarer, und mit
dem allerdings wesentlichen Unterschiede, daß man dabei nicht den Ver-
fasser wie in England, sondern das Kapital der Zeitung verfolgt. Be-
denkt man nun, daß außerdem der Drucker noch immer auf Concession
steht und beeidigt ist, so ist die Höhe des Repressivsystems, die Erzie-
lung der geistigen Abhängigkeit durch die wirthschaftliche erreicht; und
wenn der Begriff des ersteren und sein wesentlicher Unterschied von
dem System des freien Preßrechts noch eines weiteren Beweises bedürfte,
so würde dieß Gesetz es geben.

Die Folge davon war natürlich eine heftige Opposition der Jour-
nale; der wachsende Einfluß der Kammern, namentlich nach dem Antritt
Karls X., machte allmählig das Festhalten an dem alten Standpunkt
unmöglich, und so ward das Gesetz vom 18. Juli 1828 genommen,
das ausdrücklich die Loi des tendances aufhob (Art. 18). Nur die
Polizei der Anzeige der Cautionen und der Beschlagnahmen ward bei-
behalten, die Gründung eines Journals dagegen freigegeben, und die
Bestrafung nach dem Code Penal hergestellt. Und jetzt begannen die
Journale die Opposition in einer Weise aufzunehmen, die ihren Cha-
rakter, die Stellvertretung einer freien Verfassung, wieder einmal ins
hellste Licht stellte. Die Restauration konnte die Kammer beherrschen,
die Presse nicht. Es war klar, daß man mit der letztern den Kampf
auf Leben und Tod beginnen müsse. Man mußte den Versuch machen
aus dem Repressivsystem ins Präventivsystem zurückzugreifen. So wur-
den die Juliordnungen (20. Juli 1830) erlassen, welche die Freiheit
der periodischen Presse aufheben und die Censur herstellten. Es war
der letzte Akt der Prävention. Das Volk, das in der Presse die Volks-
vertretung vernichtet sah, antwortete mit der Revolution.

Natürlich war es eine der ersten Maßregeln der neuen Regierung,
die Censur zu vernichten. "La censure ne pourra jamais etre retablie"
(Charte 1830);
am 8. Oktober 1830 wurde das Erkenntniß der Preß-
vergehen den Geschwornen statt der staatlichen Gerichte übergeben; allein
die Presse fing schon damals an, in gewissen Erscheinungen der Ord-
nung der staatsbürgerlichen Gesellschaft bedenklich zu werden. Die
Kammern gaben daher der Regierung gerne nach in ihren schärfern
Polizeimaßregeln; die öffentlichen Anschläge und Ausrufer wurden unter
stärkere Controle gestellt (Gesetz vom 10. December 1830), das Cau-
tionswesen neu organisirt (Gesetz vom 14. December 1830) und die

„Geiſt der Preſſe,“ die Natur der „Schlußfolgerung“ aus einer Reihe
von Artikeln iſt zu einem juriſtiſchen Thatbeſtande erhoben, der Richter
iſt zum polizeilichen Organe geworden, und nicht mehr der Verfaſſer,
ſondern das Unternehmen wird beſtraft. Es iſt genau daſſelbe,
was das Stat. 60. Georg. III. ausſpricht, nur viel klarer, und mit
dem allerdings weſentlichen Unterſchiede, daß man dabei nicht den Ver-
faſſer wie in England, ſondern das Kapital der Zeitung verfolgt. Be-
denkt man nun, daß außerdem der Drucker noch immer auf Conceſſion
ſteht und beeidigt iſt, ſo iſt die Höhe des Repreſſivſyſtems, die Erzie-
lung der geiſtigen Abhängigkeit durch die wirthſchaftliche erreicht; und
wenn der Begriff des erſteren und ſein weſentlicher Unterſchied von
dem Syſtem des freien Preßrechts noch eines weiteren Beweiſes bedürfte,
ſo würde dieß Geſetz es geben.

Die Folge davon war natürlich eine heftige Oppoſition der Jour-
nale; der wachſende Einfluß der Kammern, namentlich nach dem Antritt
Karls X., machte allmählig das Feſthalten an dem alten Standpunkt
unmöglich, und ſo ward das Geſetz vom 18. Juli 1828 genommen,
das ausdrücklich die Loi des tendances aufhob (Art. 18). Nur die
Polizei der Anzeige der Cautionen und der Beſchlagnahmen ward bei-
behalten, die Gründung eines Journals dagegen freigegeben, und die
Beſtrafung nach dem Code Pénal hergeſtellt. Und jetzt begannen die
Journale die Oppoſition in einer Weiſe aufzunehmen, die ihren Cha-
rakter, die Stellvertretung einer freien Verfaſſung, wieder einmal ins
hellſte Licht ſtellte. Die Reſtauration konnte die Kammer beherrſchen,
die Preſſe nicht. Es war klar, daß man mit der letztern den Kampf
auf Leben und Tod beginnen müſſe. Man mußte den Verſuch machen
aus dem Repreſſivſyſtem ins Präventivſyſtem zurückzugreifen. So wur-
den die Juliordnungen (20. Juli 1830) erlaſſen, welche die Freiheit
der periodiſchen Preſſe aufheben und die Cenſur herſtellten. Es war
der letzte Akt der Prävention. Das Volk, das in der Preſſe die Volks-
vertretung vernichtet ſah, antwortete mit der Revolution.

Natürlich war es eine der erſten Maßregeln der neuen Regierung,
die Cenſur zu vernichten. „La censure ne pourra jamais être rétablie“
(Charte 1830);
am 8. Oktober 1830 wurde das Erkenntniß der Preß-
vergehen den Geſchwornen ſtatt der ſtaatlichen Gerichte übergeben; allein
die Preſſe fing ſchon damals an, in gewiſſen Erſcheinungen der Ord-
nung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft bedenklich zu werden. Die
Kammern gaben daher der Regierung gerne nach in ihren ſchärfern
Polizeimaßregeln; die öffentlichen Anſchläge und Ausrufer wurden unter
ſtärkere Controle geſtellt (Geſetz vom 10. December 1830), das Cau-
tionsweſen neu organiſirt (Geſetz vom 14. December 1830) und die

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[136/0152] „Geiſt der Preſſe,“ die Natur der „Schlußfolgerung“ aus einer Reihe von Artikeln iſt zu einem juriſtiſchen Thatbeſtande erhoben, der Richter iſt zum polizeilichen Organe geworden, und nicht mehr der Verfaſſer, ſondern das Unternehmen wird beſtraft. Es iſt genau daſſelbe, was das Stat. 60. Georg. III. ausſpricht, nur viel klarer, und mit dem allerdings weſentlichen Unterſchiede, daß man dabei nicht den Ver- faſſer wie in England, ſondern das Kapital der Zeitung verfolgt. Be- denkt man nun, daß außerdem der Drucker noch immer auf Conceſſion ſteht und beeidigt iſt, ſo iſt die Höhe des Repreſſivſyſtems, die Erzie- lung der geiſtigen Abhängigkeit durch die wirthſchaftliche erreicht; und wenn der Begriff des erſteren und ſein weſentlicher Unterſchied von dem Syſtem des freien Preßrechts noch eines weiteren Beweiſes bedürfte, ſo würde dieß Geſetz es geben. Die Folge davon war natürlich eine heftige Oppoſition der Jour- nale; der wachſende Einfluß der Kammern, namentlich nach dem Antritt Karls X., machte allmählig das Feſthalten an dem alten Standpunkt unmöglich, und ſo ward das Geſetz vom 18. Juli 1828 genommen, das ausdrücklich die Loi des tendances aufhob (Art. 18). Nur die Polizei der Anzeige der Cautionen und der Beſchlagnahmen ward bei- behalten, die Gründung eines Journals dagegen freigegeben, und die Beſtrafung nach dem Code Pénal hergeſtellt. Und jetzt begannen die Journale die Oppoſition in einer Weiſe aufzunehmen, die ihren Cha- rakter, die Stellvertretung einer freien Verfaſſung, wieder einmal ins hellſte Licht ſtellte. Die Reſtauration konnte die Kammer beherrſchen, die Preſſe nicht. Es war klar, daß man mit der letztern den Kampf auf Leben und Tod beginnen müſſe. Man mußte den Verſuch machen aus dem Repreſſivſyſtem ins Präventivſyſtem zurückzugreifen. So wur- den die Juliordnungen (20. Juli 1830) erlaſſen, welche die Freiheit der periodiſchen Preſſe aufheben und die Cenſur herſtellten. Es war der letzte Akt der Prävention. Das Volk, das in der Preſſe die Volks- vertretung vernichtet ſah, antwortete mit der Revolution. Natürlich war es eine der erſten Maßregeln der neuen Regierung, die Cenſur zu vernichten. „La censure ne pourra jamais être rétablie“ (Charte 1830); am 8. Oktober 1830 wurde das Erkenntniß der Preß- vergehen den Geſchwornen ſtatt der ſtaatlichen Gerichte übergeben; allein die Preſſe fing ſchon damals an, in gewiſſen Erſcheinungen der Ord- nung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft bedenklich zu werden. Die Kammern gaben daher der Regierung gerne nach in ihren ſchärfern Polizeimaßregeln; die öffentlichen Anſchläge und Ausrufer wurden unter ſtärkere Controle geſtellt (Geſetz vom 10. December 1830), das Cau- tionsweſen neu organiſirt (Geſetz vom 14. December 1830) und die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/152>, abgerufen am 22.11.2024.