Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.indem man neben dem allgemeinen Recht des Verbotes das besondere indem man neben dem allgemeinen Recht des Verbotes das beſondere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0123" n="107"/> indem man neben dem allgemeinen Recht des Verbotes das beſondere<lb/> aufſtellt, einzelne <hi rendition="#g">Theile und Ausdrücke</hi> eines geiſtigen Werkes<lb/> zu unterdrücken, und den Reſt zu erlauben. Mit dem letztern ent-<lb/> ſteht das eigentliche Cenſurweſen. Daſſelbe erſcheint nun in einer<lb/> Maſſe einzelner Verordnungen und Maßregeln, die aber mehr und<lb/> mehr ſo ſehr ins Kleinliche fallen, daß es nicht der Mühe werth<lb/> erſcheint, dieſelben auch nur der Geſchichte zu überliefern. In der<lb/> frühern Epoche waren noch gewaltige, die ganze geiſtige Welt um-<lb/> faſſende Bewegungen einander gegenüber getreten, und man hatte daher<lb/> zu gewaltigen, das ganze Gebiet der geiſtigen Arbeit umfaſſenden,<lb/> freilich auch die Rechte des Geiſtes tief erſchütternden Mitteln gegriffen.<lb/> So war trotz aller Unfreiheit in dieſer Richtung der Polizei doch etwas<lb/> Großartiges in dieſem Kampfe jener zwei Gewalten. Auch handelte es<lb/> ſich dabei ſtets um wirklich geiſtige Arbeiten, nicht um einzelne Auf-<lb/> wallungen, Sätze oder Anſichten. Noch waren die Bücher die wahren<lb/> Träger des geiſtigen Lebens; noch war ihr Einfluß für die ganze<lb/> öffentliche Auffaſſung der Dinge entſcheidend; noch waren ſie es allein,<lb/> welche die höhere, allgemeine Bildung auch in das Volk hineintrugen.<lb/> Gegen ſie kämpfte das Prohibitivſyſtem des Verbots; gegen das letztere<lb/> erhob ſich der Geiſt, der ſich in ſeiner Arbeit nicht beſchränken laſſen<lb/> will, die Wiſſenſchaft, die ſich nicht zerſtückeln läßt, die Bildung, die<lb/> aus dem Buche ſtets mehr Arbeit als Einzelergebniſſe zieht. Das<lb/> aber, was in ſo großen Dingen immer den tieferen Widerſpruch erzeugt,<lb/> das rein ſubjektive, frivole Element kann in dem Buche wenig Raum<lb/> gewinnen, wenig Wirkung thun; auch kann das Buch dem Buche ent-<lb/> gegentreten; der Kampf gegen das Buch hat den Charakter eines<lb/> ernſten, tiefgehenden, dauernde Erfolge hinterlaſſenen Kampfes. Aber<lb/> jetzt entſteht neben dem Buche die Tagespreſſe. Auch ſie ergreift all-<lb/> mählig — keineswegs im Anfange — die großen Fragen des geiſtigen<lb/> Lebens; aber ſie ergreift ſie in der Geſtalt der Einzelmeinung, welche<lb/> den Anſpruch macht, allgemein zu ſein, und doch nicht den Raum hat,<lb/> eine Arbeit zu liefern. Sie giebt nur Reſultate; ſie tritt auf mit<lb/> fertigen Ergebniſſen; ſie beſteht aus lauter Einzelſätzen. Sie iſt ein<lb/> ganz anderes Element als das Buch; aber dennoch iſt ſie durch die<lb/> ganze große Bewegung der Geiſter getragen und trägt ſie wieder.<lb/> Ihre Richtung geht daher auch natürlich auf das Nächſte, Verſtänd-<lb/> lichſte, Faßbarſte. Das iſt der Gedanke der Betheiligung des Volkes<lb/> an öffentlichen Dingen, die <hi rendition="#g">tägliche</hi> Arbeit, durch die Tagespreſſe<lb/> täglich in das Volk hineingetragen. Was hilft da Conceſſion, Pflicht-<lb/> exemplar, einzelnes Verbot? Wenn ich heute verbiete, was wird<lb/> morgen in der „Zeitung“ ſtehen? Das tägliche Aufquellen des öffent-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0123]
indem man neben dem allgemeinen Recht des Verbotes das beſondere
aufſtellt, einzelne Theile und Ausdrücke eines geiſtigen Werkes
zu unterdrücken, und den Reſt zu erlauben. Mit dem letztern ent-
ſteht das eigentliche Cenſurweſen. Daſſelbe erſcheint nun in einer
Maſſe einzelner Verordnungen und Maßregeln, die aber mehr und
mehr ſo ſehr ins Kleinliche fallen, daß es nicht der Mühe werth
erſcheint, dieſelben auch nur der Geſchichte zu überliefern. In der
frühern Epoche waren noch gewaltige, die ganze geiſtige Welt um-
faſſende Bewegungen einander gegenüber getreten, und man hatte daher
zu gewaltigen, das ganze Gebiet der geiſtigen Arbeit umfaſſenden,
freilich auch die Rechte des Geiſtes tief erſchütternden Mitteln gegriffen.
So war trotz aller Unfreiheit in dieſer Richtung der Polizei doch etwas
Großartiges in dieſem Kampfe jener zwei Gewalten. Auch handelte es
ſich dabei ſtets um wirklich geiſtige Arbeiten, nicht um einzelne Auf-
wallungen, Sätze oder Anſichten. Noch waren die Bücher die wahren
Träger des geiſtigen Lebens; noch war ihr Einfluß für die ganze
öffentliche Auffaſſung der Dinge entſcheidend; noch waren ſie es allein,
welche die höhere, allgemeine Bildung auch in das Volk hineintrugen.
Gegen ſie kämpfte das Prohibitivſyſtem des Verbots; gegen das letztere
erhob ſich der Geiſt, der ſich in ſeiner Arbeit nicht beſchränken laſſen
will, die Wiſſenſchaft, die ſich nicht zerſtückeln läßt, die Bildung, die
aus dem Buche ſtets mehr Arbeit als Einzelergebniſſe zieht. Das
aber, was in ſo großen Dingen immer den tieferen Widerſpruch erzeugt,
das rein ſubjektive, frivole Element kann in dem Buche wenig Raum
gewinnen, wenig Wirkung thun; auch kann das Buch dem Buche ent-
gegentreten; der Kampf gegen das Buch hat den Charakter eines
ernſten, tiefgehenden, dauernde Erfolge hinterlaſſenen Kampfes. Aber
jetzt entſteht neben dem Buche die Tagespreſſe. Auch ſie ergreift all-
mählig — keineswegs im Anfange — die großen Fragen des geiſtigen
Lebens; aber ſie ergreift ſie in der Geſtalt der Einzelmeinung, welche
den Anſpruch macht, allgemein zu ſein, und doch nicht den Raum hat,
eine Arbeit zu liefern. Sie giebt nur Reſultate; ſie tritt auf mit
fertigen Ergebniſſen; ſie beſteht aus lauter Einzelſätzen. Sie iſt ein
ganz anderes Element als das Buch; aber dennoch iſt ſie durch die
ganze große Bewegung der Geiſter getragen und trägt ſie wieder.
Ihre Richtung geht daher auch natürlich auf das Nächſte, Verſtänd-
lichſte, Faßbarſte. Das iſt der Gedanke der Betheiligung des Volkes
an öffentlichen Dingen, die tägliche Arbeit, durch die Tagespreſſe
täglich in das Volk hineingetragen. Was hilft da Conceſſion, Pflicht-
exemplar, einzelnes Verbot? Wenn ich heute verbiete, was wird
morgen in der „Zeitung“ ſtehen? Das tägliche Aufquellen des öffent-
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