Lehrerwesens und der Gemeinde ist noch nie ernstlich in Frage ge- kommen. Dieß nun aber gilt wesentlich von der Universite. In der wirthschaftlichen Fachbildung dagegen regt sich ein anderer Geist. Freilich ist die dem Realschulwesen entsprechende Vorbildung in den sciences der Lycees dem regime universitaire mit unterworfen und die Colleges communaux sind nicht viel besser daran; allein das in den Ecoles professionelles enthaltene Fortbildungswesen ist ohne freie Verfügung der Gemeinden einerseits und der Stifter andererseits nicht denkbar. Daneben besteht der Unterricht durch Privatunternehmungen, natürlich in um so stärkerer Blüthe, je weniger die streng amtlichen Staatsan- stalten an Geist und Zahl, namentlich der nördlichen, mit germanischem Blut stark gemischten Provinzen genügen. Es ist durch das Zusammen- wirken aller dieser Elemente sehr schwer, sich ein klares Bild über das System im Einzelnen zu verschaffen, namentlich da die Statistik des Privatunterrichts, der eine so mächtige Rolle spielt und der seit 1850 fast vollkommen frei, gänzlich fehlt und der Mangel an Staatsdienst- prüfungen niemanden zwingt, für die amtliche Laufbahn die Staats- bildung zu absolviren. Indessen müssen doch zwei Momente hier hervor- gehoben werden, von denen das erste über den pädagogischen und zum Theil socialen Charakter der Vorbildung, das zweite über den wissen- schaftlichen der Fachbildung entscheidet. Das erste ist das Pensionat- und Boursensystem, das den Charakter der Erziehung in den Colleges bestimmt, das zweite die Berufung der Professoren, das über den Charakter der wissenschaftlichen Thätigkeit der Fachmänner entscheidet.
Der Grundzug der ganzen französischen Verwaltung, alle Funktionen des Gesammtlebens der Staatsgewalt zu übergeben, fand in der Re- volution das meist kirchliche System der Pensionate vor. Das Pen- sionat ist nicht bloß ein Verhältniß, in welchem der Schüler an einem fremden Orte in Pflege genommen wird, sondern ist die, durch die syste- matische Aufnahme der Kinder und Zöglinge in die Bildungsanstalten durchgeführte Verbindung der Erziehung mit der Bildung. Das Pensionat ist nicht ein Auskunftsmittel für fremde Kinder, und nicht ein Unternehmen auf Kost und Pflege, sondern ist ein öffentlich recht- liches System zunächst für das gesammte Vorbildungswesen. Jedes Lyceum ist principiell zugleich ein Pensionat; die Externen sind dem Grundsatze nach die Ausnahmen. Die Regierung hat dieß System theils vorgefunden, theils sanctionirt und befestigt durch das daran anschließende System der staatlichen Freiplätze, bourses, deren es in jedem Lyceum gibt. Dieß System tödtet die Selbständigkeit des Individuums vollständig. Es hat nicht bloß die wissenschaftliche Vor- bildung gänzlich verdorben, indem, wie Bücheler sehr richtig bemerkt,
Lehrerweſens und der Gemeinde iſt noch nie ernſtlich in Frage ge- kommen. Dieß nun aber gilt weſentlich von der Université. In der wirthſchaftlichen Fachbildung dagegen regt ſich ein anderer Geiſt. Freilich iſt die dem Realſchulweſen entſprechende Vorbildung in den sciences der Lycées dem régime universitaire mit unterworfen und die Collèges communaux ſind nicht viel beſſer daran; allein das in den Écoles professionelles enthaltene Fortbildungsweſen iſt ohne freie Verfügung der Gemeinden einerſeits und der Stifter andererſeits nicht denkbar. Daneben beſteht der Unterricht durch Privatunternehmungen, natürlich in um ſo ſtärkerer Blüthe, je weniger die ſtreng amtlichen Staatsan- ſtalten an Geiſt und Zahl, namentlich der nördlichen, mit germaniſchem Blut ſtark gemiſchten Provinzen genügen. Es iſt durch das Zuſammen- wirken aller dieſer Elemente ſehr ſchwer, ſich ein klares Bild über das Syſtem im Einzelnen zu verſchaffen, namentlich da die Statiſtik des Privatunterrichts, der eine ſo mächtige Rolle ſpielt und der ſeit 1850 faſt vollkommen frei, gänzlich fehlt und der Mangel an Staatsdienſt- prüfungen niemanden zwingt, für die amtliche Laufbahn die Staats- bildung zu abſolviren. Indeſſen müſſen doch zwei Momente hier hervor- gehoben werden, von denen das erſte über den pädagogiſchen und zum Theil ſocialen Charakter der Vorbildung, das zweite über den wiſſen- ſchaftlichen der Fachbildung entſcheidet. Das erſte iſt das Penſionat- und Bourſenſyſtem, das den Charakter der Erziehung in den Collèges beſtimmt, das zweite die Berufung der Profeſſoren, das über den Charakter der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit der Fachmänner entſcheidet.
Der Grundzug der ganzen franzöſiſchen Verwaltung, alle Funktionen des Geſammtlebens der Staatsgewalt zu übergeben, fand in der Re- volution das meiſt kirchliche Syſtem der Penſionate vor. Das Pen- ſionat iſt nicht bloß ein Verhältniß, in welchem der Schüler an einem fremden Orte in Pflege genommen wird, ſondern iſt die, durch die ſyſte- matiſche Aufnahme der Kinder und Zöglinge in die Bildungsanſtalten durchgeführte Verbindung der Erziehung mit der Bildung. Das Penſionat iſt nicht ein Auskunftsmittel für fremde Kinder, und nicht ein Unternehmen auf Koſt und Pflege, ſondern iſt ein öffentlich recht- liches Syſtem zunächſt für das geſammte Vorbildungsweſen. Jedes Lyceum iſt principiell zugleich ein Penſionat; die Externen ſind dem Grundſatze nach die Ausnahmen. Die Regierung hat dieß Syſtem theils vorgefunden, theils ſanctionirt und befeſtigt durch das daran anſchließende Syſtem der ſtaatlichen Freiplätze, bourses, deren es in jedem Lyceum gibt. Dieß Syſtem tödtet die Selbſtändigkeit des Individuums vollſtändig. Es hat nicht bloß die wiſſenſchaftliche Vor- bildung gänzlich verdorben, indem, wie Bücheler ſehr richtig bemerkt,
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Lehrerweſens und der Gemeinde iſt noch nie ernſtlich in Frage ge-
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wirthſchaftlichen Fachbildung dagegen regt ſich ein anderer Geiſt. Freilich
iſt die dem Realſchulweſen entſprechende Vorbildung in den sciences der
Lycées dem régime universitaire mit unterworfen und die Collèges
communaux ſind nicht viel beſſer daran; allein das in den Écoles
professionelles enthaltene Fortbildungsweſen iſt ohne freie Verfügung
der Gemeinden einerſeits und der Stifter andererſeits nicht denkbar.
Daneben beſteht der Unterricht durch Privatunternehmungen, natürlich
in um ſo ſtärkerer Blüthe, je weniger die ſtreng amtlichen Staatsan-
ſtalten an Geiſt und Zahl, namentlich der nördlichen, mit germaniſchem
Blut ſtark gemiſchten Provinzen genügen. Es iſt durch das Zuſammen-
wirken aller dieſer Elemente ſehr ſchwer, ſich ein klares Bild über das
Syſtem im Einzelnen zu verſchaffen, namentlich da die Statiſtik des
Privatunterrichts, der eine ſo mächtige Rolle ſpielt und der ſeit 1850
faſt vollkommen frei, gänzlich fehlt und der Mangel an Staatsdienſt-
prüfungen niemanden zwingt, für die amtliche Laufbahn die Staats-
bildung zu abſolviren. Indeſſen müſſen doch zwei Momente hier hervor-
gehoben werden, von denen das erſte über den pädagogiſchen und zum
Theil ſocialen Charakter der Vorbildung, das zweite über den wiſſen-
ſchaftlichen der Fachbildung entſcheidet. Das erſte iſt das Penſionat-
und Bourſenſyſtem, das den Charakter der Erziehung in den Collèges
beſtimmt, das zweite die Berufung der Profeſſoren, das über den
Charakter der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit der Fachmänner entſcheidet.
Der Grundzug der ganzen franzöſiſchen Verwaltung, alle Funktionen
des Geſammtlebens der Staatsgewalt zu übergeben, fand in der Re-
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ſionat iſt nicht bloß ein Verhältniß, in welchem der Schüler an einem
fremden Orte in Pflege genommen wird, ſondern iſt die, durch die ſyſte-
matiſche Aufnahme der Kinder und Zöglinge in die Bildungsanſtalten
durchgeführte Verbindung der Erziehung mit der Bildung. Das
Penſionat iſt nicht ein Auskunftsmittel für fremde Kinder, und nicht
ein Unternehmen auf Koſt und Pflege, ſondern iſt ein öffentlich recht-
liches Syſtem zunächſt für das geſammte Vorbildungsweſen. Jedes
Lyceum iſt principiell zugleich ein Penſionat; die Externen
ſind dem Grundſatze nach die Ausnahmen. Die Regierung hat dieß
Syſtem theils vorgefunden, theils ſanctionirt und befeſtigt durch das
daran anſchließende Syſtem der ſtaatlichen Freiplätze, bourses, deren
es in jedem Lyceum gibt. Dieß Syſtem tödtet die Selbſtändigkeit des
Individuums vollſtändig. Es hat nicht bloß die wiſſenſchaftliche Vor-
bildung gänzlich verdorben, indem, wie Bücheler ſehr richtig bemerkt,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/325>, abgerufen am 16.07.2024.
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