Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

philosophischen verbinden, und Vorträge und Studien beider für alle
Hörer obligatorisch machen wollte. Der großartig, aber einseitig an-
gelegte Versuch des Wiener Polytechnikums ist daher von großem In-
teresse, kann aber nur als ein Beweis für die Unmöglichkeit angesehen
werden, auf diesem Wege das Ziel zu erreichen. Es ist vielmehr auch
theoretisch der ohnehin praktisch nicht abzuweisende Satz als maßgebend
anzusehen, daß die allgemeine wirthschaftliche Bildung in die ein-
zelne Fachbildungsschule aufgenommen, und hier so weit thunlich dar-
geboten werden muß, und daß der Lehrplan dieser Anstalten speciell
für jede einzelne aufzustellen ist
, was auch in der That allent-
halben mit gutem Rechte geschieht.

Allerdings aber bleibt dabei die keineswegs unbedeutsame Frage
übrig, ob denn nun das verhältnißmäßig wenige, was die letzteren für
die allgemein wirthschaftliche Bildung bieten können, für das gesammte
wirthschaftliche Bildungswesen zu genügen habe? Es ist das große
Verdienst der polytechnischen Institute, diese Frage ernstlich angeregt
zu haben. Offenbar wird sie es sein, welche, indem sie alle jene
Specialanstalten wieder als ein Ganzes zusammen fassen lehrt, die
Idee der höheren wissenschaftlichen Einheit in derselben lebendig erhält.
In ihr besteht die gegenwärtige wirthschaftliche Berufsbildungsfrage;
nur von ihr kann von dem künftigen wirthschaftlichen höheren Berufs-
bildungssystem im Unterrichtswesen die Rede sein.

Um sie nun zu beantworten, muß dasjenige Gebiet bestimmt
werden, das einerseits jene Einheit aller dieser Specialfächer unzweifel-
haft umfaßt, und andrerseits für alle gleich praktisch verwendbar und
wichtig ist. Das nun ist weder Philosophie noch Geschichte, weder
Nationalökonomie noch Statistik, sondern das ist die Lehre vom öffent-
lichen Recht in ihrer Anwendung auf den wirthschaftlichen, öffentlichen
Beruf, oder die Verwaltungslehre und das Verwaltungsrecht.
Die erstere zeigt jede wirthschaftliche Berufsbildung in ihrer öffentlichen
Bedeutung, in ihrem Eingreifen in das Gesammtleben, in ihrer orga-
nischen Stellung zur Gesammtheit; die zweite zeigt, wie sie in dieser
Stellung durch den Willen dieser Gesammtheit, durch Gesetz und Ver-
ordnung, theils in Polizei-, theils in Volkswirthschaftspflege vom
Staate bestimmt wird. Die Verwaltungslehre ist daher in der That
das wissenschaftliche Bewußtsein des Staats von seiner Volkswirth-
schaftspflege, das Verwaltungsrecht die Formulirung seiner Thätigkeit
für die letztere. Beide sind es, in denen alles das, was jene An-
stalten lehren, als Theil und Moment eines größern Ganzen erscheint,
beide bieten diejenigen Beziehungen dar, in welchen jene Fachbildungen
und Fächer mit dem öffentlichen Leben in Berührung stehen; beide

Stein, die Verwaltungslehre. V. 18

philoſophiſchen verbinden, und Vorträge und Studien beider für alle
Hörer obligatoriſch machen wollte. Der großartig, aber einſeitig an-
gelegte Verſuch des Wiener Polytechnikums iſt daher von großem In-
tereſſe, kann aber nur als ein Beweis für die Unmöglichkeit angeſehen
werden, auf dieſem Wege das Ziel zu erreichen. Es iſt vielmehr auch
theoretiſch der ohnehin praktiſch nicht abzuweiſende Satz als maßgebend
anzuſehen, daß die allgemeine wirthſchaftliche Bildung in die ein-
zelne Fachbildungsſchule aufgenommen, und hier ſo weit thunlich dar-
geboten werden muß, und daß der Lehrplan dieſer Anſtalten ſpeciell
für jede einzelne aufzuſtellen iſt
, was auch in der That allent-
halben mit gutem Rechte geſchieht.

Allerdings aber bleibt dabei die keineswegs unbedeutſame Frage
übrig, ob denn nun das verhältnißmäßig wenige, was die letzteren für
die allgemein wirthſchaftliche Bildung bieten können, für das geſammte
wirthſchaftliche Bildungsweſen zu genügen habe? Es iſt das große
Verdienſt der polytechniſchen Inſtitute, dieſe Frage ernſtlich angeregt
zu haben. Offenbar wird ſie es ſein, welche, indem ſie alle jene
Specialanſtalten wieder als ein Ganzes zuſammen faſſen lehrt, die
Idee der höheren wiſſenſchaftlichen Einheit in derſelben lebendig erhält.
In ihr beſteht die gegenwärtige wirthſchaftliche Berufsbildungsfrage;
nur von ihr kann von dem künftigen wirthſchaftlichen höheren Berufs-
bildungsſyſtem im Unterrichtsweſen die Rede ſein.

Um ſie nun zu beantworten, muß dasjenige Gebiet beſtimmt
werden, das einerſeits jene Einheit aller dieſer Specialfächer unzweifel-
haft umfaßt, und andrerſeits für alle gleich praktiſch verwendbar und
wichtig iſt. Das nun iſt weder Philoſophie noch Geſchichte, weder
Nationalökonomie noch Statiſtik, ſondern das iſt die Lehre vom öffent-
lichen Recht in ihrer Anwendung auf den wirthſchaftlichen, öffentlichen
Beruf, oder die Verwaltungslehre und das Verwaltungsrecht.
Die erſtere zeigt jede wirthſchaftliche Berufsbildung in ihrer öffentlichen
Bedeutung, in ihrem Eingreifen in das Geſammtleben, in ihrer orga-
niſchen Stellung zur Geſammtheit; die zweite zeigt, wie ſie in dieſer
Stellung durch den Willen dieſer Geſammtheit, durch Geſetz und Ver-
ordnung, theils in Polizei-, theils in Volkswirthſchaftspflege vom
Staate beſtimmt wird. Die Verwaltungslehre iſt daher in der That
das wiſſenſchaftliche Bewußtſein des Staats von ſeiner Volkswirth-
ſchaftspflege, das Verwaltungsrecht die Formulirung ſeiner Thätigkeit
für die letztere. Beide ſind es, in denen alles das, was jene An-
ſtalten lehren, als Theil und Moment eines größern Ganzen erſcheint,
beide bieten diejenigen Beziehungen dar, in welchen jene Fachbildungen
und Fächer mit dem öffentlichen Leben in Berührung ſtehen; beide

Stein, die Verwaltungslehre. V. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0301" n="273"/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;chen verbinden, und Vorträge und Studien beider für alle<lb/>
Hörer obligatori&#x017F;ch machen wollte. Der großartig, aber ein&#x017F;eitig an-<lb/>
gelegte Ver&#x017F;uch des Wiener Polytechnikums i&#x017F;t daher von großem In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e, kann aber nur als ein Beweis für die Unmöglichkeit ange&#x017F;ehen<lb/>
werden, auf die&#x017F;em Wege das Ziel zu erreichen. Es i&#x017F;t vielmehr auch<lb/>
theoreti&#x017F;ch der ohnehin prakti&#x017F;ch nicht abzuwei&#x017F;ende Satz als maßgebend<lb/>
anzu&#x017F;ehen, daß die <hi rendition="#g">allgemeine</hi> wirth&#x017F;chaftliche Bildung in die ein-<lb/>
zelne Fachbildungs&#x017F;chule aufgenommen, und hier &#x017F;o weit thunlich dar-<lb/>
geboten werden muß, und daß der Lehrplan die&#x017F;er An&#x017F;talten <hi rendition="#g">&#x017F;peciell<lb/>
für jede einzelne aufzu&#x017F;tellen i&#x017F;t</hi>, was auch in der That allent-<lb/>
halben mit gutem Rechte ge&#x017F;chieht.</p><lb/>
                      <p>Allerdings aber bleibt dabei die keineswegs unbedeut&#x017F;ame Frage<lb/>
übrig, ob denn nun das verhältnißmäßig wenige, was die letzteren für<lb/>
die allgemein wirth&#x017F;chaftliche Bildung bieten können, für das ge&#x017F;ammte<lb/>
wirth&#x017F;chaftliche Bildungswe&#x017F;en zu <hi rendition="#g">genügen</hi> habe? Es i&#x017F;t das große<lb/>
Verdien&#x017F;t der polytechni&#x017F;chen In&#x017F;titute, die&#x017F;e Frage ern&#x017F;tlich angeregt<lb/>
zu haben. Offenbar wird &#x017F;ie es &#x017F;ein, welche, indem &#x017F;ie alle jene<lb/>
Specialan&#x017F;talten wieder als ein Ganzes zu&#x017F;ammen fa&#x017F;&#x017F;en lehrt, die<lb/>
Idee der höheren wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Einheit in der&#x017F;elben lebendig erhält.<lb/>
In ihr be&#x017F;teht die gegenwärtige wirth&#x017F;chaftliche Berufsbildungsfrage;<lb/>
nur von ihr kann von dem künftigen wirth&#x017F;chaftlichen höheren Berufs-<lb/>
bildungs&#x017F;y&#x017F;tem im Unterrichtswe&#x017F;en die Rede &#x017F;ein.</p><lb/>
                      <p>Um &#x017F;ie nun zu beantworten, muß dasjenige Gebiet be&#x017F;timmt<lb/>
werden, das einer&#x017F;eits jene Einheit aller die&#x017F;er Specialfächer unzweifel-<lb/>
haft umfaßt, und andrer&#x017F;eits für alle gleich prakti&#x017F;ch verwendbar und<lb/>
wichtig i&#x017F;t. Das nun i&#x017F;t weder Philo&#x017F;ophie noch Ge&#x017F;chichte, weder<lb/>
Nationalökonomie noch Stati&#x017F;tik, &#x017F;ondern das i&#x017F;t die Lehre vom öffent-<lb/>
lichen Recht in ihrer Anwendung auf den wirth&#x017F;chaftlichen, öffentlichen<lb/>
Beruf, oder die <hi rendition="#g">Verwaltungslehre</hi> und das <hi rendition="#g">Verwaltungsrecht</hi>.<lb/>
Die er&#x017F;tere zeigt jede wirth&#x017F;chaftliche Berufsbildung in ihrer öffentlichen<lb/>
Bedeutung, in ihrem Eingreifen in das Ge&#x017F;ammtleben, in ihrer orga-<lb/>
ni&#x017F;chen Stellung zur Ge&#x017F;ammtheit; die zweite zeigt, wie &#x017F;ie in die&#x017F;er<lb/>
Stellung durch den Willen die&#x017F;er Ge&#x017F;ammtheit, durch Ge&#x017F;etz und Ver-<lb/>
ordnung, theils in Polizei-, theils in Volkswirth&#x017F;chaftspflege vom<lb/>
Staate be&#x017F;timmt wird. Die Verwaltungslehre i&#x017F;t daher in der That<lb/>
das wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Bewußt&#x017F;ein des Staats von &#x017F;einer Volkswirth-<lb/>
&#x017F;chaftspflege, das Verwaltungsrecht die Formulirung &#x017F;einer Thätigkeit<lb/>
für die letztere. Beide &#x017F;ind es, in denen alles das, was jene An-<lb/>
&#x017F;talten lehren, als Theil und Moment eines größern Ganzen er&#x017F;cheint,<lb/>
beide bieten diejenigen Beziehungen dar, in welchen jene Fachbildungen<lb/>
und Fächer mit dem öffentlichen Leben in Berührung &#x017F;tehen; beide<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">V.</hi> 18</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0301] philoſophiſchen verbinden, und Vorträge und Studien beider für alle Hörer obligatoriſch machen wollte. Der großartig, aber einſeitig an- gelegte Verſuch des Wiener Polytechnikums iſt daher von großem In- tereſſe, kann aber nur als ein Beweis für die Unmöglichkeit angeſehen werden, auf dieſem Wege das Ziel zu erreichen. Es iſt vielmehr auch theoretiſch der ohnehin praktiſch nicht abzuweiſende Satz als maßgebend anzuſehen, daß die allgemeine wirthſchaftliche Bildung in die ein- zelne Fachbildungsſchule aufgenommen, und hier ſo weit thunlich dar- geboten werden muß, und daß der Lehrplan dieſer Anſtalten ſpeciell für jede einzelne aufzuſtellen iſt, was auch in der That allent- halben mit gutem Rechte geſchieht. Allerdings aber bleibt dabei die keineswegs unbedeutſame Frage übrig, ob denn nun das verhältnißmäßig wenige, was die letzteren für die allgemein wirthſchaftliche Bildung bieten können, für das geſammte wirthſchaftliche Bildungsweſen zu genügen habe? Es iſt das große Verdienſt der polytechniſchen Inſtitute, dieſe Frage ernſtlich angeregt zu haben. Offenbar wird ſie es ſein, welche, indem ſie alle jene Specialanſtalten wieder als ein Ganzes zuſammen faſſen lehrt, die Idee der höheren wiſſenſchaftlichen Einheit in derſelben lebendig erhält. In ihr beſteht die gegenwärtige wirthſchaftliche Berufsbildungsfrage; nur von ihr kann von dem künftigen wirthſchaftlichen höheren Berufs- bildungsſyſtem im Unterrichtsweſen die Rede ſein. Um ſie nun zu beantworten, muß dasjenige Gebiet beſtimmt werden, das einerſeits jene Einheit aller dieſer Specialfächer unzweifel- haft umfaßt, und andrerſeits für alle gleich praktiſch verwendbar und wichtig iſt. Das nun iſt weder Philoſophie noch Geſchichte, weder Nationalökonomie noch Statiſtik, ſondern das iſt die Lehre vom öffent- lichen Recht in ihrer Anwendung auf den wirthſchaftlichen, öffentlichen Beruf, oder die Verwaltungslehre und das Verwaltungsrecht. Die erſtere zeigt jede wirthſchaftliche Berufsbildung in ihrer öffentlichen Bedeutung, in ihrem Eingreifen in das Geſammtleben, in ihrer orga- niſchen Stellung zur Geſammtheit; die zweite zeigt, wie ſie in dieſer Stellung durch den Willen dieſer Geſammtheit, durch Geſetz und Ver- ordnung, theils in Polizei-, theils in Volkswirthſchaftspflege vom Staate beſtimmt wird. Die Verwaltungslehre iſt daher in der That das wiſſenſchaftliche Bewußtſein des Staats von ſeiner Volkswirth- ſchaftspflege, das Verwaltungsrecht die Formulirung ſeiner Thätigkeit für die letztere. Beide ſind es, in denen alles das, was jene An- ſtalten lehren, als Theil und Moment eines größern Ganzen erſcheint, beide bieten diejenigen Beziehungen dar, in welchen jene Fachbildungen und Fächer mit dem öffentlichen Leben in Berührung ſtehen; beide Stein, die Verwaltungslehre. V. 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/301
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/301>, abgerufen am 12.05.2024.