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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Mathematik zum Ausdruck zu bringen. Alles das hat die alte Schola
nicht, und ist in der That unfähig es zu haben. Denn gerade in der-
selben Zeit wird sie mehr und mehr was sie eigentlich sein soll; aus
einem für ganze gesellschaftliche Gruppen die allgemeine Bildung der
Universität ersetzenden Organismus wird sie zu einer strengen Vor-
bildungsanstalt für die letztere und ihrer immer schärfer hervortretenden
Fachbildung, während die frühere Zunftbildung immer tiefer in den
Mechanismus des Lernens hinabsinkt, aus dem das alte schöne Princip
des "Wanderns" des Handwerksgesellen, der einzige Halt einer freieren
Bewegung im Handwerkerstande, wie eine kaum noch verstandene Ruine
hervorragt. Jene neue Welt von Anschauungen und Bedürfnissen
muß sich daher eine neue Organisation der Bildung erschaffen, die
zwischen beiden steht. Und diese Organisation hat nun ihren ganz be-
stimmten Charakter. Sie will nicht classisch sein, aber auch nicht
mechanisch; sie hat eigentlich noch gar kein bestimmtes Objekt, das zu
lernen nothwendig ist, denn es wird ihr eigentlich kein bestimmtes
Objekt genügen; sie will vielmehr nur diejenigen allgemeinen Be-
dingungen der künftigen Thätigkeit geben, welche nicht selbst ein Lernen
enthalten, sondern vielmehr nur das Lernen, das Verstehen und die
Bewältigung der künftigen Lebensaufgabe möglich machen sollen. Es
handelt sich in dieser neuen Ordnung der Dinge darum, die Kraft
zu stärken, mit der der Einzelne ins Leben tritt; hat er die, hat er
die Fähigkeit, den materiellen Thatsachen ins Auge zu sehen, so wird
er sich in der lebendigen Welt wohl zurecht finden. Dem Thatsächlichen
wendet sich daher diese neue Gestalt der Dinge zu; und so entsteht
Namen und Inhalt eines neuen Bildungswesens, die Realbildung.
Sie ist, und zwar eben in dieser noch unbestimmten Gestalt, das was
die zweite Epoche charakterisirt.

Diese Realbildung und ihre Realschule ist nun allerdings noch
wesentlich verschieden von dem heutigen gewerblichen Bildungswesen,
und eben so verschieden von dem der ständischen Zunft und Innung.
Sie ist ihrer Natur und ihrer Bestimmung nach frei von jeder Be-
schränkung der letzteren. Sie hat kein einzelnes Gewerbe zu ihrem
Gegenstand. Sie befähigt, für sich genommen, zu keinem Betriebe. Das
Eintreten in dieselbe gibt daher kein Recht, künftig ein Handwerk zu
betreiben, und kein Recht, einen gelehrten Beruf und eine öffentliche
Funktion zu übernehmen. Es bedeutet vielmehr, daß man beides eben
nicht will. Aber eben dadurch ist gerade diese Bildung der Ausdruck
eines ganz neuen Princips in der gesellschaftlichen Ordnung. Sie kann
von jedem gewonnen werden; sie ist für jede größere wirthschaftliche
Thätigkeit geeignet; sie greift nicht in den individuellen Lebensberuf

Mathematik zum Ausdruck zu bringen. Alles das hat die alte Schola
nicht, und iſt in der That unfähig es zu haben. Denn gerade in der-
ſelben Zeit wird ſie mehr und mehr was ſie eigentlich ſein ſoll; aus
einem für ganze geſellſchaftliche Gruppen die allgemeine Bildung der
Univerſität erſetzenden Organismus wird ſie zu einer ſtrengen Vor-
bildungsanſtalt für die letztere und ihrer immer ſchärfer hervortretenden
Fachbildung, während die frühere Zunftbildung immer tiefer in den
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des „Wanderns“ des Handwerksgeſellen, der einzige Halt einer freieren
Bewegung im Handwerkerſtande, wie eine kaum noch verſtandene Ruine
hervorragt. Jene neue Welt von Anſchauungen und Bedürfniſſen
muß ſich daher eine neue Organiſation der Bildung erſchaffen, die
zwiſchen beiden ſteht. Und dieſe Organiſation hat nun ihren ganz be-
ſtimmten Charakter. Sie will nicht claſſiſch ſein, aber auch nicht
mechaniſch; ſie hat eigentlich noch gar kein beſtimmtes Objekt, das zu
lernen nothwendig iſt, denn es wird ihr eigentlich kein beſtimmtes
Objekt genügen; ſie will vielmehr nur diejenigen allgemeinen Be-
dingungen der künftigen Thätigkeit geben, welche nicht ſelbſt ein Lernen
enthalten, ſondern vielmehr nur das Lernen, das Verſtehen und die
Bewältigung der künftigen Lebensaufgabe möglich machen ſollen. Es
handelt ſich in dieſer neuen Ordnung der Dinge darum, die Kraft
zu ſtärken, mit der der Einzelne ins Leben tritt; hat er die, hat er
die Fähigkeit, den materiellen Thatſachen ins Auge zu ſehen, ſo wird
er ſich in der lebendigen Welt wohl zurecht finden. Dem Thatſächlichen
wendet ſich daher dieſe neue Geſtalt der Dinge zu; und ſo entſteht
Namen und Inhalt eines neuen Bildungsweſens, die Realbildung.
Sie iſt, und zwar eben in dieſer noch unbeſtimmten Geſtalt, das was
die zweite Epoche charakteriſirt.

Dieſe Realbildung und ihre Realſchule iſt nun allerdings noch
weſentlich verſchieden von dem heutigen gewerblichen Bildungsweſen,
und eben ſo verſchieden von dem der ſtändiſchen Zunft und Innung.
Sie iſt ihrer Natur und ihrer Beſtimmung nach frei von jeder Be-
ſchränkung der letzteren. Sie hat kein einzelnes Gewerbe zu ihrem
Gegenſtand. Sie befähigt, für ſich genommen, zu keinem Betriebe. Das
Eintreten in dieſelbe gibt daher kein Recht, künftig ein Handwerk zu
betreiben, und kein Recht, einen gelehrten Beruf und eine öffentliche
Funktion zu übernehmen. Es bedeutet vielmehr, daß man beides eben
nicht will. Aber eben dadurch iſt gerade dieſe Bildung der Ausdruck
eines ganz neuen Princips in der geſellſchaftlichen Ordnung. Sie kann
von jedem gewonnen werden; ſie iſt für jede größere wirthſchaftliche
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[240/0268] Mathematik zum Ausdruck zu bringen. Alles das hat die alte Schola nicht, und iſt in der That unfähig es zu haben. Denn gerade in der- ſelben Zeit wird ſie mehr und mehr was ſie eigentlich ſein ſoll; aus einem für ganze geſellſchaftliche Gruppen die allgemeine Bildung der Univerſität erſetzenden Organismus wird ſie zu einer ſtrengen Vor- bildungsanſtalt für die letztere und ihrer immer ſchärfer hervortretenden Fachbildung, während die frühere Zunftbildung immer tiefer in den Mechanismus des Lernens hinabſinkt, aus dem das alte ſchöne Princip des „Wanderns“ des Handwerksgeſellen, der einzige Halt einer freieren Bewegung im Handwerkerſtande, wie eine kaum noch verſtandene Ruine hervorragt. Jene neue Welt von Anſchauungen und Bedürfniſſen muß ſich daher eine neue Organiſation der Bildung erſchaffen, die zwiſchen beiden ſteht. Und dieſe Organiſation hat nun ihren ganz be- ſtimmten Charakter. Sie will nicht claſſiſch ſein, aber auch nicht mechaniſch; ſie hat eigentlich noch gar kein beſtimmtes Objekt, das zu lernen nothwendig iſt, denn es wird ihr eigentlich kein beſtimmtes Objekt genügen; ſie will vielmehr nur diejenigen allgemeinen Be- dingungen der künftigen Thätigkeit geben, welche nicht ſelbſt ein Lernen enthalten, ſondern vielmehr nur das Lernen, das Verſtehen und die Bewältigung der künftigen Lebensaufgabe möglich machen ſollen. Es handelt ſich in dieſer neuen Ordnung der Dinge darum, die Kraft zu ſtärken, mit der der Einzelne ins Leben tritt; hat er die, hat er die Fähigkeit, den materiellen Thatſachen ins Auge zu ſehen, ſo wird er ſich in der lebendigen Welt wohl zurecht finden. Dem Thatſächlichen wendet ſich daher dieſe neue Geſtalt der Dinge zu; und ſo entſteht Namen und Inhalt eines neuen Bildungsweſens, die Realbildung. Sie iſt, und zwar eben in dieſer noch unbeſtimmten Geſtalt, das was die zweite Epoche charakteriſirt. Dieſe Realbildung und ihre Realſchule iſt nun allerdings noch weſentlich verſchieden von dem heutigen gewerblichen Bildungsweſen, und eben ſo verſchieden von dem der ſtändiſchen Zunft und Innung. Sie iſt ihrer Natur und ihrer Beſtimmung nach frei von jeder Be- ſchränkung der letzteren. Sie hat kein einzelnes Gewerbe zu ihrem Gegenſtand. Sie befähigt, für ſich genommen, zu keinem Betriebe. Das Eintreten in dieſelbe gibt daher kein Recht, künftig ein Handwerk zu betreiben, und kein Recht, einen gelehrten Beruf und eine öffentliche Funktion zu übernehmen. Es bedeutet vielmehr, daß man beides eben nicht will. Aber eben dadurch iſt gerade dieſe Bildung der Ausdruck eines ganz neuen Princips in der geſellſchaftlichen Ordnung. Sie kann von jedem gewonnen werden; ſie iſt für jede größere wirthſchaftliche Thätigkeit geeignet; ſie greift nicht in den individuellen Lebensberuf

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/268>, abgerufen am 10.05.2024.