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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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und Durchführung der Lehrordnungen, Gesellenordnungen, Freisprechung,
Meisterprüfungen u. s. w. erscheint somit die erste ständische Gestalt
des öffentlich rechtlichen Bildungswesens der gewerblichen Arbeit. Und
das ist für unsere Frage die erste Epoche.

Auf diese Weise tritt nun zum erstenmal in der Geschichte ein voll-
ständiges System der gewerblichen Bildung neben das der gelehrten.
In der That läßt es sich nicht läugnen -- das was die scholae aller
Art für die ständisch gestaltete Wissenschaft sind, das sind die zunft-
mäßigen Vorschriften über die gewerbliche Lehre für den Bürgerstand.
Die gegenwärtige Ordnung liegt daher schon hier in ihren Grundlagen
vor. Die nachfolgende Zeit hatte nichts zu thun, als das weiter zu
entwickeln, was hier bereits begründet war. Aber der innere Unter-
schied ist so groß, daß man diesen Zusammenhang sich noch nie ver-
gegenwärtigt hat. In der That beruht das gewerbliche Bildungswesen
auf derselben Idee, auf der das Prüfungswesen beruht. Es soll nicht
etwa in erster Reihe die Tüchtigkeit des Einzelnen sichern, sondern es
soll ihn in die arbeitende Körperschaft der Zunft aufnehmen. Das
Bildungswesen der letzteren ist daher kein allgemeines, sondern es ist
rein für die Arbeit der speziellen Zunft bestimmt. Wie dieselbe allein
über seinen Erfolg entscheidet, so hat sie auch allein zu setzen, was es
enthalten soll. Je strenger sich das körperschaftliche Wesen der Gewerbe
gestaltet, um so strenger beschränkt sich auch die Bildung auf den be-
stimmten gewerblichen Betrieb. Es ist kein bürgerliches, es ist ein rein
zunftmäßiges wirthschaftliches Bildungswesen.

Zweite Epoche. -- Es war das achtzehnte Jahrhundert, das
Jahrhundert der Auflösung in allen Dingen, das auch hier eine neue
Ordnung brachte. Schon hatte die gewerbliche Produktion auf allen
Punkten den Kampf mit der Beschränkung der Zunft begonnen; der
entstehende innere Handel, die Ausdehnung desselben über die Meere
hinaus hatte den Blick erweitert; die gewerbliche Produktion begann sich
von der engen Kundschaft von Stadt und Ort zu befreien; der Arbeiter
fängt an zu fühlen, daß er etwas für die Welt zu bedeuten, zu ar-
beiten habe. Die Produktion löst sich von ihrer örtlichen Beschränkung
los; die erste Gestalt eines Güterlebens der Welt begann, sich über die
beschränkte Ordnung der ständischen Körperschaft zu erheben. Da tritt
denn auch in die geistige Anschauung dieser Dinge ein neues Element
hinein. Das bloße zunftmäßige Lernen genügt nicht mehr; es ist zwar
nothwendig wie früher, aber die Arbeit von Gesell und Meister wird
durch eine andere überragt, welche die Produktionen der Länder und
Welttheile unter einander in Verbindung bringt, sie in ihrer gegen-
seitigen Abhängigkeit von Produktion und Consumtion erfaßt und die

und Durchführung der Lehrordnungen, Geſellenordnungen, Freiſprechung,
Meiſterprüfungen u. ſ. w. erſcheint ſomit die erſte ſtändiſche Geſtalt
des öffentlich rechtlichen Bildungsweſens der gewerblichen Arbeit. Und
das iſt für unſere Frage die erſte Epoche.

Auf dieſe Weiſe tritt nun zum erſtenmal in der Geſchichte ein voll-
ſtändiges Syſtem der gewerblichen Bildung neben das der gelehrten.
In der That läßt es ſich nicht läugnen — das was die scholae aller
Art für die ſtändiſch geſtaltete Wiſſenſchaft ſind, das ſind die zunft-
mäßigen Vorſchriften über die gewerbliche Lehre für den Bürgerſtand.
Die gegenwärtige Ordnung liegt daher ſchon hier in ihren Grundlagen
vor. Die nachfolgende Zeit hatte nichts zu thun, als das weiter zu
entwickeln, was hier bereits begründet war. Aber der innere Unter-
ſchied iſt ſo groß, daß man dieſen Zuſammenhang ſich noch nie ver-
gegenwärtigt hat. In der That beruht das gewerbliche Bildungsweſen
auf derſelben Idee, auf der das Prüfungsweſen beruht. Es ſoll nicht
etwa in erſter Reihe die Tüchtigkeit des Einzelnen ſichern, ſondern es
ſoll ihn in die arbeitende Körperſchaft der Zunft aufnehmen. Das
Bildungsweſen der letzteren iſt daher kein allgemeines, ſondern es iſt
rein für die Arbeit der ſpeziellen Zunft beſtimmt. Wie dieſelbe allein
über ſeinen Erfolg entſcheidet, ſo hat ſie auch allein zu ſetzen, was es
enthalten ſoll. Je ſtrenger ſich das körperſchaftliche Weſen der Gewerbe
geſtaltet, um ſo ſtrenger beſchränkt ſich auch die Bildung auf den be-
ſtimmten gewerblichen Betrieb. Es iſt kein bürgerliches, es iſt ein rein
zunftmäßiges wirthſchaftliches Bildungsweſen.

Zweite Epoche. — Es war das achtzehnte Jahrhundert, das
Jahrhundert der Auflöſung in allen Dingen, das auch hier eine neue
Ordnung brachte. Schon hatte die gewerbliche Produktion auf allen
Punkten den Kampf mit der Beſchränkung der Zunft begonnen; der
entſtehende innere Handel, die Ausdehnung deſſelben über die Meere
hinaus hatte den Blick erweitert; die gewerbliche Produktion begann ſich
von der engen Kundſchaft von Stadt und Ort zu befreien; der Arbeiter
fängt an zu fühlen, daß er etwas für die Welt zu bedeuten, zu ar-
beiten habe. Die Produktion löst ſich von ihrer örtlichen Beſchränkung
los; die erſte Geſtalt eines Güterlebens der Welt begann, ſich über die
beſchränkte Ordnung der ſtändiſchen Körperſchaft zu erheben. Da tritt
denn auch in die geiſtige Anſchauung dieſer Dinge ein neues Element
hinein. Das bloße zunftmäßige Lernen genügt nicht mehr; es iſt zwar
nothwendig wie früher, aber die Arbeit von Geſell und Meiſter wird
durch eine andere überragt, welche die Produktionen der Länder und
Welttheile unter einander in Verbindung bringt, ſie in ihrer gegen-
ſeitigen Abhängigkeit von Produktion und Conſumtion erfaßt und die

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[238/0266] und Durchführung der Lehrordnungen, Geſellenordnungen, Freiſprechung, Meiſterprüfungen u. ſ. w. erſcheint ſomit die erſte ſtändiſche Geſtalt des öffentlich rechtlichen Bildungsweſens der gewerblichen Arbeit. Und das iſt für unſere Frage die erſte Epoche. Auf dieſe Weiſe tritt nun zum erſtenmal in der Geſchichte ein voll- ſtändiges Syſtem der gewerblichen Bildung neben das der gelehrten. In der That läßt es ſich nicht läugnen — das was die scholae aller Art für die ſtändiſch geſtaltete Wiſſenſchaft ſind, das ſind die zunft- mäßigen Vorſchriften über die gewerbliche Lehre für den Bürgerſtand. Die gegenwärtige Ordnung liegt daher ſchon hier in ihren Grundlagen vor. Die nachfolgende Zeit hatte nichts zu thun, als das weiter zu entwickeln, was hier bereits begründet war. Aber der innere Unter- ſchied iſt ſo groß, daß man dieſen Zuſammenhang ſich noch nie ver- gegenwärtigt hat. In der That beruht das gewerbliche Bildungsweſen auf derſelben Idee, auf der das Prüfungsweſen beruht. Es ſoll nicht etwa in erſter Reihe die Tüchtigkeit des Einzelnen ſichern, ſondern es ſoll ihn in die arbeitende Körperſchaft der Zunft aufnehmen. Das Bildungsweſen der letzteren iſt daher kein allgemeines, ſondern es iſt rein für die Arbeit der ſpeziellen Zunft beſtimmt. Wie dieſelbe allein über ſeinen Erfolg entſcheidet, ſo hat ſie auch allein zu ſetzen, was es enthalten ſoll. Je ſtrenger ſich das körperſchaftliche Weſen der Gewerbe geſtaltet, um ſo ſtrenger beſchränkt ſich auch die Bildung auf den be- ſtimmten gewerblichen Betrieb. Es iſt kein bürgerliches, es iſt ein rein zunftmäßiges wirthſchaftliches Bildungsweſen. Zweite Epoche. — Es war das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Auflöſung in allen Dingen, das auch hier eine neue Ordnung brachte. Schon hatte die gewerbliche Produktion auf allen Punkten den Kampf mit der Beſchränkung der Zunft begonnen; der entſtehende innere Handel, die Ausdehnung deſſelben über die Meere hinaus hatte den Blick erweitert; die gewerbliche Produktion begann ſich von der engen Kundſchaft von Stadt und Ort zu befreien; der Arbeiter fängt an zu fühlen, daß er etwas für die Welt zu bedeuten, zu ar- beiten habe. Die Produktion löst ſich von ihrer örtlichen Beſchränkung los; die erſte Geſtalt eines Güterlebens der Welt begann, ſich über die beſchränkte Ordnung der ſtändiſchen Körperſchaft zu erheben. Da tritt denn auch in die geiſtige Anſchauung dieſer Dinge ein neues Element hinein. Das bloße zunftmäßige Lernen genügt nicht mehr; es iſt zwar nothwendig wie früher, aber die Arbeit von Geſell und Meiſter wird durch eine andere überragt, welche die Produktionen der Länder und Welttheile unter einander in Verbindung bringt, ſie in ihrer gegen- ſeitigen Abhängigkeit von Produktion und Conſumtion erfaßt und die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/266>, abgerufen am 25.11.2024.