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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Die erste und nächstliegende Frage ist natürlich die nach dem Ver-
waltungsrecht dieser Anstalten. Und hier tritt nun zuerst die staat-
liche Verwaltung neben der Selbstverwaltung auf. Der Staat gibt
entweder ganz oder zum Theil die Mittel; der Staat nimmt daher auch
das Recht in Anspruch, die wirthschaftliche Verwaltung zu leiten. Er
besoldet die Lehrer; er gewinnt daher auch das Recht, sie anzustellen
und damit die Berechtigung und Verpflichtung, die Lehrbildung der
Gymnasiallehrer selbst zu bestimmen; die letzteren werden Staats-
beamte
. Dagegen bleibt die Lehre und neben ihr die innere Disciplin
Sache der hohen Schule selbst; das ist ihr Erbtheil aus der frühern
Zeit. Um beide zu ordnen, bilden die Lehrer einen selbständigen Lehr-
körper
mit dem Recht der Selbstverwaltung in diesen Gebieten. Auf
diesen formalen Grundsätzen entwickelt sich die ernstere und innere Ord-
nung des neuen Lehrwesens.

Die zweite Frage ist die nach dem Gegenstand der Lehre. Hier
entscheidet zuerst der historische Gang der allgemeinen Bildung. Europa
dankt die letztere den Classikern. Es hat noch selbst nicht die Fähigkeit,
etwas Besseres zu liefern, als was die Alten darbieten. Seine Hoch-
achtung vor der Classicität ist eine unbedingte. Noch immer ist die
lateinische und griechische Bildung mit der allgemeinen Bildung identisch.
Es entsteht daher anfänglich die Frage gar nicht, worin eigentlich die
Vorbildung für die Universität, der Gegenstand der Lehre an der ge-
lehrten Schule zu bestehen habe. Sie muß wesentlich und auf allen
Punkten im Griechischen und Lateinischen bestehen; daneben gibt es
keine weitere Berechtigung irgend einer Wissenschaft; kaum daß hie und
da die ersten Spuren einer Berücksichtigung der Mathematik sich an den
Euklid anschließen; denn nicht daß er Mathematiker, sondern daß er
ein lateinischer Autor war, hat die Mathematik in den hohen Schulen
eingebürgert. Mit dieser Bildungsaufgabe ist denn auch das Element
der Klassen gegeben. Sie entstehen von selbst und zwar ist das
charakteristische Merkmal ihre Unterscheidung ganz auf Grundlage der
historischen Entwicklung nicht der Gegenstand, sondern der Autor, der
behandelt wird. Endlich tritt allmählig der Grundsatz ein, daß nur
die Absolvirung der gelehrten Schule das Recht zum Besuch der Uni-
versität gebe. Damit ist denn die Stellung und die systematische Ord-
nung der hohen Schulen fest begründet. Der Begriff und das Recht
der Gymnasien scheidet sich von dem der übrigen hohen Schulen;
die Gymnasien werden die systematische Vorbildungsanstalt für die Uni-
versität und weil diese die gesetzliche Fachbildungsanstalt für den Beruf
ist, die gesetzliche Vorbildungsanstalt für den Beruf selbst.
Die systematische Stellung der hohen Schulen steht fest; es folgen die

Die erſte und nächſtliegende Frage iſt natürlich die nach dem Ver-
waltungsrecht dieſer Anſtalten. Und hier tritt nun zuerſt die ſtaat-
liche Verwaltung neben der Selbſtverwaltung auf. Der Staat gibt
entweder ganz oder zum Theil die Mittel; der Staat nimmt daher auch
das Recht in Anſpruch, die wirthſchaftliche Verwaltung zu leiten. Er
beſoldet die Lehrer; er gewinnt daher auch das Recht, ſie anzuſtellen
und damit die Berechtigung und Verpflichtung, die Lehrbildung der
Gymnaſiallehrer ſelbſt zu beſtimmen; die letzteren werden Staats-
beamte
. Dagegen bleibt die Lehre und neben ihr die innere Disciplin
Sache der hohen Schule ſelbſt; das iſt ihr Erbtheil aus der frühern
Zeit. Um beide zu ordnen, bilden die Lehrer einen ſelbſtändigen Lehr-
körper
mit dem Recht der Selbſtverwaltung in dieſen Gebieten. Auf
dieſen formalen Grundſätzen entwickelt ſich die ernſtere und innere Ord-
nung des neuen Lehrweſens.

Die zweite Frage iſt die nach dem Gegenſtand der Lehre. Hier
entſcheidet zuerſt der hiſtoriſche Gang der allgemeinen Bildung. Europa
dankt die letztere den Claſſikern. Es hat noch ſelbſt nicht die Fähigkeit,
etwas Beſſeres zu liefern, als was die Alten darbieten. Seine Hoch-
achtung vor der Claſſicität iſt eine unbedingte. Noch immer iſt die
lateiniſche und griechiſche Bildung mit der allgemeinen Bildung identiſch.
Es entſteht daher anfänglich die Frage gar nicht, worin eigentlich die
Vorbildung für die Univerſität, der Gegenſtand der Lehre an der ge-
lehrten Schule zu beſtehen habe. Sie muß weſentlich und auf allen
Punkten im Griechiſchen und Lateiniſchen beſtehen; daneben gibt es
keine weitere Berechtigung irgend einer Wiſſenſchaft; kaum daß hie und
da die erſten Spuren einer Berückſichtigung der Mathematik ſich an den
Euklid anſchließen; denn nicht daß er Mathematiker, ſondern daß er
ein lateiniſcher Autor war, hat die Mathematik in den hohen Schulen
eingebürgert. Mit dieſer Bildungsaufgabe iſt denn auch das Element
der Klaſſen gegeben. Sie entſtehen von ſelbſt und zwar iſt das
charakteriſtiſche Merkmal ihre Unterſcheidung ganz auf Grundlage der
hiſtoriſchen Entwicklung nicht der Gegenſtand, ſondern der Autor, der
behandelt wird. Endlich tritt allmählig der Grundſatz ein, daß nur
die Abſolvirung der gelehrten Schule das Recht zum Beſuch der Uni-
verſität gebe. Damit iſt denn die Stellung und die ſyſtematiſche Ord-
nung der hohen Schulen feſt begründet. Der Begriff und das Recht
der Gymnaſien ſcheidet ſich von dem der übrigen hohen Schulen;
die Gymnaſien werden die ſyſtematiſche Vorbildungsanſtalt für die Uni-
verſität und weil dieſe die geſetzliche Fachbildungsanſtalt für den Beruf
iſt, die geſetzliche Vorbildungsanſtalt für den Beruf ſelbſt.
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[199/0227] Die erſte und nächſtliegende Frage iſt natürlich die nach dem Ver- waltungsrecht dieſer Anſtalten. Und hier tritt nun zuerſt die ſtaat- liche Verwaltung neben der Selbſtverwaltung auf. Der Staat gibt entweder ganz oder zum Theil die Mittel; der Staat nimmt daher auch das Recht in Anſpruch, die wirthſchaftliche Verwaltung zu leiten. Er beſoldet die Lehrer; er gewinnt daher auch das Recht, ſie anzuſtellen und damit die Berechtigung und Verpflichtung, die Lehrbildung der Gymnaſiallehrer ſelbſt zu beſtimmen; die letzteren werden Staats- beamte. Dagegen bleibt die Lehre und neben ihr die innere Disciplin Sache der hohen Schule ſelbſt; das iſt ihr Erbtheil aus der frühern Zeit. Um beide zu ordnen, bilden die Lehrer einen ſelbſtändigen Lehr- körper mit dem Recht der Selbſtverwaltung in dieſen Gebieten. Auf dieſen formalen Grundſätzen entwickelt ſich die ernſtere und innere Ord- nung des neuen Lehrweſens. Die zweite Frage iſt die nach dem Gegenſtand der Lehre. Hier entſcheidet zuerſt der hiſtoriſche Gang der allgemeinen Bildung. Europa dankt die letztere den Claſſikern. Es hat noch ſelbſt nicht die Fähigkeit, etwas Beſſeres zu liefern, als was die Alten darbieten. Seine Hoch- achtung vor der Claſſicität iſt eine unbedingte. Noch immer iſt die lateiniſche und griechiſche Bildung mit der allgemeinen Bildung identiſch. Es entſteht daher anfänglich die Frage gar nicht, worin eigentlich die Vorbildung für die Univerſität, der Gegenſtand der Lehre an der ge- lehrten Schule zu beſtehen habe. Sie muß weſentlich und auf allen Punkten im Griechiſchen und Lateiniſchen beſtehen; daneben gibt es keine weitere Berechtigung irgend einer Wiſſenſchaft; kaum daß hie und da die erſten Spuren einer Berückſichtigung der Mathematik ſich an den Euklid anſchließen; denn nicht daß er Mathematiker, ſondern daß er ein lateiniſcher Autor war, hat die Mathematik in den hohen Schulen eingebürgert. Mit dieſer Bildungsaufgabe iſt denn auch das Element der Klaſſen gegeben. Sie entſtehen von ſelbſt und zwar iſt das charakteriſtiſche Merkmal ihre Unterſcheidung ganz auf Grundlage der hiſtoriſchen Entwicklung nicht der Gegenſtand, ſondern der Autor, der behandelt wird. Endlich tritt allmählig der Grundſatz ein, daß nur die Abſolvirung der gelehrten Schule das Recht zum Beſuch der Uni- verſität gebe. Damit iſt denn die Stellung und die ſyſtematiſche Ord- nung der hohen Schulen feſt begründet. Der Begriff und das Recht der Gymnaſien ſcheidet ſich von dem der übrigen hohen Schulen; die Gymnaſien werden die ſyſtematiſche Vorbildungsanſtalt für die Uni- verſität und weil dieſe die geſetzliche Fachbildungsanſtalt für den Beruf iſt, die geſetzliche Vorbildungsanſtalt für den Beruf ſelbſt. Die ſyſtematiſche Stellung der hohen Schulen ſteht feſt; es folgen die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/227>, abgerufen am 06.05.2024.