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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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den Universitäten enthalten ist, die gelehrten Schulen sind die Vor-
bildungsanstalten für die Universität. Ordnung, Form, Inhalt und
Werth ihrer Funktion findet demnach zunächst und zuerst ihren Maß-
stab eben an diesem Verhalten zur Universitätsbildung.

Allein die höhere wissenschaftliche Bildung, welche die gelehrte
Schule gibt, kann sich auf die strenge Funktion der Vorbildung für die
Fächer nicht beschränken. Sie hat auch an und für sich einen Werth; und
die gelehrte Schule ist daher ihrem Wesen nach zugleich eine Bildungs-
anstalt für die allgemeine Bildung. Sie muß daher in ihrer Funktion an
sich nicht bloß strenge an die Vorbildung gebunden sein; sie muß auch
die Fähigkeit besitzen, an und für sich eine Bildungsstufe darzubieten,
welche auch ohne Anschluß an die Universität ein selbständiges Maß
der Bildung gibt. Sie muß daher den Abschluß ihres Bildungsganges
nicht bloß in den Fachbildungen der Universität, sondern sie muß ihn auch
in sich selber zu finden im Stande sein. Das ist die zweite Forderung,
welche das Bildungswesen an das gelehrte Schulwesen zu stellen hat.

So einfach nun an sich diese beiden Gesichtspunkte sind, so schwierig
ist es, sie in der praktischen Ordnung und Thätigkeit der gelehrten
Schulen zu verbinden. Denn diese Verbindung beruht nicht bloß auf
den Gegenständen der Lehre, sondern wesentlich auch auf dem Geiste,
in dem sie gelehrt werden, und jeder Schulmann wird zugestehen, daß
das, was wir den pädagogischen Charakter der einzelnen gelehrten Schule
nennen, gerade auf dieser Verbindung jener Elemente in derselben beruht.
Allein es ist klar, daß diese Doppelfunktion zugleich die Stellung begründet,
welche das öffentliche Recht der gelehrten Schulen gegenüber einnimmt.
Die Verwaltung wird etwas anderes fordern, wo die letztere nur Vorbil-
dungsanstalten, und etwas anderes, wo sie allgemeine Bildungsanstalten
sind, wenn auch die Grundzüge des öffentlichen Rechts dieselben bleiben.
Der Regel nach wird im ersten Falle der Bildungsgang und die Studien-
ordnung eine enger begränzte, im letzteren eine weiter angelegte sein.
So ergibt sich schon hier, daß das, was wir die gelehrte Schule nennen,
eine Reihe sehr verschiedener Gestalten bezeichnet; und in der That hat
dieser Unterschied, historisch begründet, auch in den Namen Platz ergriffen.
Es ist deßhalb wohl nothwendig, sich über die Bedeutung der Ausdrücke
selbst auch hier einig zu werden. Wir fassen dieselbe nun in folgender Weise.

Der Ausdruck "hohe" oder "gelehrte Schule" bedeutet alle Vor-
bildungsanstalten für jede wissenschaftliche Entwicklung; er ist der
Gattungsname.

Das Wort "Gymnasium" dagegen bezeichnet uns die gelehrte Schule
in dem strengen Sinne der Vorbildungsanstalt für die Fachbildung, nament-
lich also für die Universität. Mit dem Ausdruck Gymnasium erscheint

den Univerſitäten enthalten iſt, die gelehrten Schulen ſind die Vor-
bildungsanſtalten für die Univerſität. Ordnung, Form, Inhalt und
Werth ihrer Funktion findet demnach zunächſt und zuerſt ihren Maß-
ſtab eben an dieſem Verhalten zur Univerſitätsbildung.

Allein die höhere wiſſenſchaftliche Bildung, welche die gelehrte
Schule gibt, kann ſich auf die ſtrenge Funktion der Vorbildung für die
Fächer nicht beſchränken. Sie hat auch an und für ſich einen Werth; und
die gelehrte Schule iſt daher ihrem Weſen nach zugleich eine Bildungs-
anſtalt für die allgemeine Bildung. Sie muß daher in ihrer Funktion an
ſich nicht bloß ſtrenge an die Vorbildung gebunden ſein; ſie muß auch
die Fähigkeit beſitzen, an und für ſich eine Bildungsſtufe darzubieten,
welche auch ohne Anſchluß an die Univerſität ein ſelbſtändiges Maß
der Bildung gibt. Sie muß daher den Abſchluß ihres Bildungsganges
nicht bloß in den Fachbildungen der Univerſität, ſondern ſie muß ihn auch
in ſich ſelber zu finden im Stande ſein. Das iſt die zweite Forderung,
welche das Bildungsweſen an das gelehrte Schulweſen zu ſtellen hat.

So einfach nun an ſich dieſe beiden Geſichtspunkte ſind, ſo ſchwierig
iſt es, ſie in der praktiſchen Ordnung und Thätigkeit der gelehrten
Schulen zu verbinden. Denn dieſe Verbindung beruht nicht bloß auf
den Gegenſtänden der Lehre, ſondern weſentlich auch auf dem Geiſte,
in dem ſie gelehrt werden, und jeder Schulmann wird zugeſtehen, daß
das, was wir den pädagogiſchen Charakter der einzelnen gelehrten Schule
nennen, gerade auf dieſer Verbindung jener Elemente in derſelben beruht.
Allein es iſt klar, daß dieſe Doppelfunktion zugleich die Stellung begründet,
welche das öffentliche Recht der gelehrten Schulen gegenüber einnimmt.
Die Verwaltung wird etwas anderes fordern, wo die letztere nur Vorbil-
dungsanſtalten, und etwas anderes, wo ſie allgemeine Bildungsanſtalten
ſind, wenn auch die Grundzüge des öffentlichen Rechts dieſelben bleiben.
Der Regel nach wird im erſten Falle der Bildungsgang und die Studien-
ordnung eine enger begränzte, im letzteren eine weiter angelegte ſein.
So ergibt ſich ſchon hier, daß das, was wir die gelehrte Schule nennen,
eine Reihe ſehr verſchiedener Geſtalten bezeichnet; und in der That hat
dieſer Unterſchied, hiſtoriſch begründet, auch in den Namen Platz ergriffen.
Es iſt deßhalb wohl nothwendig, ſich über die Bedeutung der Ausdrücke
ſelbſt auch hier einig zu werden. Wir faſſen dieſelbe nun in folgender Weiſe.

Der Ausdruck „hohe“ oder „gelehrte Schule“ bedeutet alle Vor-
bildungsanſtalten für jede wiſſenſchaftliche Entwicklung; er iſt der
Gattungsname.

Das Wort „Gymnaſium“ dagegen bezeichnet uns die gelehrte Schule
in dem ſtrengen Sinne der Vorbildungsanſtalt für die Fachbildung, nament-
lich alſo für die Univerſität. Mit dem Ausdruck Gymnaſium erſcheint

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[194/0222] den Univerſitäten enthalten iſt, die gelehrten Schulen ſind die Vor- bildungsanſtalten für die Univerſität. Ordnung, Form, Inhalt und Werth ihrer Funktion findet demnach zunächſt und zuerſt ihren Maß- ſtab eben an dieſem Verhalten zur Univerſitätsbildung. Allein die höhere wiſſenſchaftliche Bildung, welche die gelehrte Schule gibt, kann ſich auf die ſtrenge Funktion der Vorbildung für die Fächer nicht beſchränken. Sie hat auch an und für ſich einen Werth; und die gelehrte Schule iſt daher ihrem Weſen nach zugleich eine Bildungs- anſtalt für die allgemeine Bildung. Sie muß daher in ihrer Funktion an ſich nicht bloß ſtrenge an die Vorbildung gebunden ſein; ſie muß auch die Fähigkeit beſitzen, an und für ſich eine Bildungsſtufe darzubieten, welche auch ohne Anſchluß an die Univerſität ein ſelbſtändiges Maß der Bildung gibt. Sie muß daher den Abſchluß ihres Bildungsganges nicht bloß in den Fachbildungen der Univerſität, ſondern ſie muß ihn auch in ſich ſelber zu finden im Stande ſein. Das iſt die zweite Forderung, welche das Bildungsweſen an das gelehrte Schulweſen zu ſtellen hat. So einfach nun an ſich dieſe beiden Geſichtspunkte ſind, ſo ſchwierig iſt es, ſie in der praktiſchen Ordnung und Thätigkeit der gelehrten Schulen zu verbinden. Denn dieſe Verbindung beruht nicht bloß auf den Gegenſtänden der Lehre, ſondern weſentlich auch auf dem Geiſte, in dem ſie gelehrt werden, und jeder Schulmann wird zugeſtehen, daß das, was wir den pädagogiſchen Charakter der einzelnen gelehrten Schule nennen, gerade auf dieſer Verbindung jener Elemente in derſelben beruht. Allein es iſt klar, daß dieſe Doppelfunktion zugleich die Stellung begründet, welche das öffentliche Recht der gelehrten Schulen gegenüber einnimmt. Die Verwaltung wird etwas anderes fordern, wo die letztere nur Vorbil- dungsanſtalten, und etwas anderes, wo ſie allgemeine Bildungsanſtalten ſind, wenn auch die Grundzüge des öffentlichen Rechts dieſelben bleiben. Der Regel nach wird im erſten Falle der Bildungsgang und die Studien- ordnung eine enger begränzte, im letzteren eine weiter angelegte ſein. So ergibt ſich ſchon hier, daß das, was wir die gelehrte Schule nennen, eine Reihe ſehr verſchiedener Geſtalten bezeichnet; und in der That hat dieſer Unterſchied, hiſtoriſch begründet, auch in den Namen Platz ergriffen. Es iſt deßhalb wohl nothwendig, ſich über die Bedeutung der Ausdrücke ſelbſt auch hier einig zu werden. Wir faſſen dieſelbe nun in folgender Weiſe. Der Ausdruck „hohe“ oder „gelehrte Schule“ bedeutet alle Vor- bildungsanſtalten für jede wiſſenſchaftliche Entwicklung; er iſt der Gattungsname. Das Wort „Gymnaſium“ dagegen bezeichnet uns die gelehrte Schule in dem ſtrengen Sinne der Vorbildungsanſtalt für die Fachbildung, nament- lich alſo für die Univerſität. Mit dem Ausdruck Gymnaſium erſcheint

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/222>, abgerufen am 21.11.2024.