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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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dargelegten Grundbegriffen zu bestimmen. Deutschlands Berufsbildungs-
system beruht zunächst darauf, jede allgemeine, der Gesammtheit
dienende, öffentliche Thätigkeit als einen Beruf anzuerkennen, und
daher für jeden Lebensberuf eine berufsmäßige Bildung zu fordern.
An diese Forderung hat sich das zweite Moment angeschlossen, wornach
Deutschland das wirthschaftliche Berufsbildungswesen neben
dem gelehrten zu einer selbständigen, organisch geordneten und vom
Staate als öffentliche Aufgabe anerkannten, erhoben hat, so daß wir
in Deutschland die zwei großen Berufsbildungssysteme der gelehrten
oder geistigen und der wirthschaftlichen Berufe neben einander bestehen
und funktioniren sehen, während sie dennoch sich nicht nach ständischen
Principien scheiden, sondern innerlich und zum Theil äußerlich ver-
bunden sind. Dabei hat das gelehrte Berufsbildungswesen dem wirth-
schaftlichen das Princip der geistigen Selbstverwaltung, das wirth-
schaftliche dem gelehrten seine praktische Richtung der Studienord-
nung mitgetheilt, beide aber, in ihrer Nothwendigkeit vom Staate
anerkannt, sind eben deßhalb durchstehend Staatsanstalten, die beide
mit gleichem Nachdrucke gefordert, mit gleicher Liebe gepflegt, mit
gleicher Ehre betheilt werden. An sie hat sich in neuester Zeit die
künstlerische Bildung angeschlossen, die nunmehr gleichfalls, wenn
auch nur noch theilweise in das System mit gleichen Bedingungen
aufgenommen ist. Und so kann man unbedenklich das deutsche Berufs-
bildungssystem als Muster und Maßstab für alle andern aufstellen;
es ist der Standpunkt, von welchem aus das übrige Europa beur-
theilt worden, und das in seiner klaren und ernsten Totalität und
seiner machtvollen Wirksamkeit eine der großartigsten Thatsachen der
Weltgeschichte darbietet.

Dennoch sind jene beiden Arten des Berufsbildungswesens wesent-
lich von einander verschieden, sowohl im Princip als im System
ihres öffentlichen Rechts. Sie haben eine selbständige Geschichte und
selbständige Stellung und es wird darauf ankommen, sie in diesem
Sinne selbständig neben einander zu stellen. Es ist dabei nicht unsere
Sache, sie zu erschöpfen, sondern nur in ihrem Charakter zu be-
zeichnen. Gelingt das, so ist es wohl nicht sehr schwierig mehr,
die positiven Rechtszustände der einzelnen Theile daran anzuschließen
und die Umrisse des Bildes mit dem lebendigen Inhalt auch der
positiven Thatsachen auszufüllen. Unsere Arbeit wird gerade hier
auf Vollständigkeit nur sehr geringe Ansprüche machen können; es
muß uns genügen, das reiche Bild als ein organisches Ganze auf-
gefaßt zu haben.

dargelegten Grundbegriffen zu beſtimmen. Deutſchlands Berufsbildungs-
ſyſtem beruht zunächſt darauf, jede allgemeine, der Geſammtheit
dienende, öffentliche Thätigkeit als einen Beruf anzuerkennen, und
daher für jeden Lebensberuf eine berufsmäßige Bildung zu fordern.
An dieſe Forderung hat ſich das zweite Moment angeſchloſſen, wornach
Deutſchland das wirthſchaftliche Berufsbildungsweſen neben
dem gelehrten zu einer ſelbſtändigen, organiſch geordneten und vom
Staate als öffentliche Aufgabe anerkannten, erhoben hat, ſo daß wir
in Deutſchland die zwei großen Berufsbildungsſyſteme der gelehrten
oder geiſtigen und der wirthſchaftlichen Berufe neben einander beſtehen
und funktioniren ſehen, während ſie dennoch ſich nicht nach ſtändiſchen
Principien ſcheiden, ſondern innerlich und zum Theil äußerlich ver-
bunden ſind. Dabei hat das gelehrte Berufsbildungsweſen dem wirth-
ſchaftlichen das Princip der geiſtigen Selbſtverwaltung, das wirth-
ſchaftliche dem gelehrten ſeine praktiſche Richtung der Studienord-
nung mitgetheilt, beide aber, in ihrer Nothwendigkeit vom Staate
anerkannt, ſind eben deßhalb durchſtehend Staatsanſtalten, die beide
mit gleichem Nachdrucke gefordert, mit gleicher Liebe gepflegt, mit
gleicher Ehre betheilt werden. An ſie hat ſich in neueſter Zeit die
künſtleriſche Bildung angeſchloſſen, die nunmehr gleichfalls, wenn
auch nur noch theilweiſe in das Syſtem mit gleichen Bedingungen
aufgenommen iſt. Und ſo kann man unbedenklich das deutſche Berufs-
bildungsſyſtem als Muſter und Maßſtab für alle andern aufſtellen;
es iſt der Standpunkt, von welchem aus das übrige Europa beur-
theilt worden, und das in ſeiner klaren und ernſten Totalität und
ſeiner machtvollen Wirkſamkeit eine der großartigſten Thatſachen der
Weltgeſchichte darbietet.

Dennoch ſind jene beiden Arten des Berufsbildungsweſens weſent-
lich von einander verſchieden, ſowohl im Princip als im Syſtem
ihres öffentlichen Rechts. Sie haben eine ſelbſtändige Geſchichte und
ſelbſtändige Stellung und es wird darauf ankommen, ſie in dieſem
Sinne ſelbſtändig neben einander zu ſtellen. Es iſt dabei nicht unſere
Sache, ſie zu erſchöpfen, ſondern nur in ihrem Charakter zu be-
zeichnen. Gelingt das, ſo iſt es wohl nicht ſehr ſchwierig mehr,
die poſitiven Rechtszuſtände der einzelnen Theile daran anzuſchließen
und die Umriſſe des Bildes mit dem lebendigen Inhalt auch der
poſitiven Thatſachen auszufüllen. Unſere Arbeit wird gerade hier
auf Vollſtändigkeit nur ſehr geringe Anſprüche machen können; es
muß uns genügen, das reiche Bild als ein organiſches Ganze auf-
gefaßt zu haben.

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[192/0220] dargelegten Grundbegriffen zu beſtimmen. Deutſchlands Berufsbildungs- ſyſtem beruht zunächſt darauf, jede allgemeine, der Geſammtheit dienende, öffentliche Thätigkeit als einen Beruf anzuerkennen, und daher für jeden Lebensberuf eine berufsmäßige Bildung zu fordern. An dieſe Forderung hat ſich das zweite Moment angeſchloſſen, wornach Deutſchland das wirthſchaftliche Berufsbildungsweſen neben dem gelehrten zu einer ſelbſtändigen, organiſch geordneten und vom Staate als öffentliche Aufgabe anerkannten, erhoben hat, ſo daß wir in Deutſchland die zwei großen Berufsbildungsſyſteme der gelehrten oder geiſtigen und der wirthſchaftlichen Berufe neben einander beſtehen und funktioniren ſehen, während ſie dennoch ſich nicht nach ſtändiſchen Principien ſcheiden, ſondern innerlich und zum Theil äußerlich ver- bunden ſind. Dabei hat das gelehrte Berufsbildungsweſen dem wirth- ſchaftlichen das Princip der geiſtigen Selbſtverwaltung, das wirth- ſchaftliche dem gelehrten ſeine praktiſche Richtung der Studienord- nung mitgetheilt, beide aber, in ihrer Nothwendigkeit vom Staate anerkannt, ſind eben deßhalb durchſtehend Staatsanſtalten, die beide mit gleichem Nachdrucke gefordert, mit gleicher Liebe gepflegt, mit gleicher Ehre betheilt werden. An ſie hat ſich in neueſter Zeit die künſtleriſche Bildung angeſchloſſen, die nunmehr gleichfalls, wenn auch nur noch theilweiſe in das Syſtem mit gleichen Bedingungen aufgenommen iſt. Und ſo kann man unbedenklich das deutſche Berufs- bildungsſyſtem als Muſter und Maßſtab für alle andern aufſtellen; es iſt der Standpunkt, von welchem aus das übrige Europa beur- theilt worden, und das in ſeiner klaren und ernſten Totalität und ſeiner machtvollen Wirkſamkeit eine der großartigſten Thatſachen der Weltgeſchichte darbietet. Dennoch ſind jene beiden Arten des Berufsbildungsweſens weſent- lich von einander verſchieden, ſowohl im Princip als im Syſtem ihres öffentlichen Rechts. Sie haben eine ſelbſtändige Geſchichte und ſelbſtändige Stellung und es wird darauf ankommen, ſie in dieſem Sinne ſelbſtändig neben einander zu ſtellen. Es iſt dabei nicht unſere Sache, ſie zu erſchöpfen, ſondern nur in ihrem Charakter zu be- zeichnen. Gelingt das, ſo iſt es wohl nicht ſehr ſchwierig mehr, die poſitiven Rechtszuſtände der einzelnen Theile daran anzuſchließen und die Umriſſe des Bildes mit dem lebendigen Inhalt auch der poſitiven Thatſachen auszufüllen. Unſere Arbeit wird gerade hier auf Vollſtändigkeit nur ſehr geringe Anſprüche machen können; es muß uns genügen, das reiche Bild als ein organiſches Ganze auf- gefaßt zu haben.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/220>, abgerufen am 07.05.2024.