getreten, mußte die Frage entstehen, ob diese Körperschaften in ihrer neuen Gestalt geeignet seien, auch die neue staatsbürgerliche Berufs- prüfung zu übernehmen, wie sie die ständische in Händen gehabt. Aus der Beantwortung dieser Frage ging nun das doppelte System von Prüfungsorganen hervor, das auch zum Theil dem folgenden System des Prüfungsrechts zum Grunde liegt.
Das erste dieser Systeme beruht darauf, daß die Verwaltung zum Theil neben, zum Theil an der Stelle der alten Fachprüfungsorgane, welche aus dem Lehrkörper bestanden, eigene Staatsorgane für die Prüfungen einsetzte, die in verschiedenster Weise componirt sind. Zum Theil sind es Gerichtskörper, zum Theil sind es vom Staat ernannte Prüfungscommissäre, zum Theil sogar (wie in Frankreich) Geschworne. In den meisten Fällen nahm man dabei Glieder des Lehrkörpers (Pro- fessoren) als Mitglieder dieser Prüfungscommissionen auf, theils facul- tativ, theils principiell. Es versteht sich dabei von selbst, daß jenes für die freien Fachbildungsanstalten nicht der Fall war.
Das zweite System dagegen enthält die Anerkennung der Lehr körper als Prüfungsorgane, so daß der Form nach das Recht derselben jetzt dasselbe ist wie früher. Dieß war namentlich der Fall bei den Uni- versitäten und ihrem ständischen Berufsprüfungssystem dem Doctorat, während es bei den neuen wirthschaftlichen Fachbildungsanstalten (poly- technischen Schulen etc.) deßhalb nicht anders sein konnte, weil die be- treffenden Fachkenntnisse oder die nöthige Zeit eben nur bei diesen vor- handen waren. Auf diese Weise entstand der Unterschied der Doctorats- prüfungen von den eigentlichen Staatsprüfungen, der unserer Zeit eigenthümlich ist. Regel ist, daß natürlich da, wo es keine Staatsprüfung gibt (wie z. B. bei den Medicinern), die Doctoratsprüfung dieselbe er- setzt (in den kleineren deutschen Staaten ist das auch bei den Juristen der Fall); daß dagegen sonst beide einander gleichstehen, wenn nicht (wie in Oesterreich) das Doctorat die Voraussetzung der Praxis als Advokat ist. -- In jedem Falle ist daraus die Verpflichtung der Verwaltung ent- standen, das Prüfungswesen zum Gegenstand einer eigenen Gesetzgebung zu machen, so daß jetzt wohl in den meisten Staaten ein förmliches System von Prüfungsordnungen besteht, das die alten Doctoratsprüfungen in sich aufgenommen und bei mancher Modification im Einzelnen doch im Großen und Ganzen erhalten hat. Im Allgemeinen kann man sagen, daß für die gelehrte Bildung theils Doctorats-, theils Staatsprüfungen (wohl zu unterscheiden von den Dienstprüfungen, s. unten) gelten, während für die wirthschaftliche Bildung das System der Prüfungen durch den Lehrkörper gehandhabt wird, das wiederum bei den freien Bildungsan- stalten oft durch bloße Zeugnisse ohne eigentliche Prüfung ersetzt ist.
getreten, mußte die Frage entſtehen, ob dieſe Körperſchaften in ihrer neuen Geſtalt geeignet ſeien, auch die neue ſtaatsbürgerliche Berufs- prüfung zu übernehmen, wie ſie die ſtändiſche in Händen gehabt. Aus der Beantwortung dieſer Frage ging nun das doppelte Syſtem von Prüfungsorganen hervor, das auch zum Theil dem folgenden Syſtem des Prüfungsrechts zum Grunde liegt.
Das erſte dieſer Syſteme beruht darauf, daß die Verwaltung zum Theil neben, zum Theil an der Stelle der alten Fachprüfungsorgane, welche aus dem Lehrkörper beſtanden, eigene Staatsorgane für die Prüfungen einſetzte, die in verſchiedenſter Weiſe componirt ſind. Zum Theil ſind es Gerichtskörper, zum Theil ſind es vom Staat ernannte Prüfungscommiſſäre, zum Theil ſogar (wie in Frankreich) Geſchworne. In den meiſten Fällen nahm man dabei Glieder des Lehrkörpers (Pro- feſſoren) als Mitglieder dieſer Prüfungscommiſſionen auf, theils facul- tativ, theils principiell. Es verſteht ſich dabei von ſelbſt, daß jenes für die freien Fachbildungsanſtalten nicht der Fall war.
Das zweite Syſtem dagegen enthält die Anerkennung der Lehr körper als Prüfungsorgane, ſo daß der Form nach das Recht derſelben jetzt daſſelbe iſt wie früher. Dieß war namentlich der Fall bei den Uni- verſitäten und ihrem ſtändiſchen Berufsprüfungsſyſtem dem Doctorat, während es bei den neuen wirthſchaftlichen Fachbildungsanſtalten (poly- techniſchen Schulen ꝛc.) deßhalb nicht anders ſein konnte, weil die be- treffenden Fachkenntniſſe oder die nöthige Zeit eben nur bei dieſen vor- handen waren. Auf dieſe Weiſe entſtand der Unterſchied der Doctorats- prüfungen von den eigentlichen Staatsprüfungen, der unſerer Zeit eigenthümlich iſt. Regel iſt, daß natürlich da, wo es keine Staatsprüfung gibt (wie z. B. bei den Medicinern), die Doctoratsprüfung dieſelbe er- ſetzt (in den kleineren deutſchen Staaten iſt das auch bei den Juriſten der Fall); daß dagegen ſonſt beide einander gleichſtehen, wenn nicht (wie in Oeſterreich) das Doctorat die Vorausſetzung der Praxis als Advokat iſt. — In jedem Falle iſt daraus die Verpflichtung der Verwaltung ent- ſtanden, das Prüfungsweſen zum Gegenſtand einer eigenen Geſetzgebung zu machen, ſo daß jetzt wohl in den meiſten Staaten ein förmliches Syſtem von Prüfungsordnungen beſteht, das die alten Doctoratsprüfungen in ſich aufgenommen und bei mancher Modification im Einzelnen doch im Großen und Ganzen erhalten hat. Im Allgemeinen kann man ſagen, daß für die gelehrte Bildung theils Doctorats-, theils Staatsprüfungen (wohl zu unterſcheiden von den Dienſtprüfungen, ſ. unten) gelten, während für die wirthſchaftliche Bildung das Syſtem der Prüfungen durch den Lehrkörper gehandhabt wird, das wiederum bei den freien Bildungsan- ſtalten oft durch bloße Zeugniſſe ohne eigentliche Prüfung erſetzt iſt.
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getreten, mußte die Frage entſtehen, ob dieſe Körperſchaften in ihrer
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der Beantwortung dieſer Frage ging nun das doppelte Syſtem von
Prüfungsorganen hervor, das auch zum Theil dem folgenden Syſtem
des Prüfungsrechts zum Grunde liegt.
Das erſte dieſer Syſteme beruht darauf, daß die Verwaltung zum
Theil neben, zum Theil an der Stelle der alten Fachprüfungsorgane,
welche aus dem Lehrkörper beſtanden, eigene Staatsorgane für die
Prüfungen einſetzte, die in verſchiedenſter Weiſe componirt ſind. Zum
Theil ſind es Gerichtskörper, zum Theil ſind es vom Staat ernannte
Prüfungscommiſſäre, zum Theil ſogar (wie in Frankreich) Geſchworne.
In den meiſten Fällen nahm man dabei Glieder des Lehrkörpers (Pro-
feſſoren) als Mitglieder dieſer Prüfungscommiſſionen auf, theils facul-
tativ, theils principiell. Es verſteht ſich dabei von ſelbſt, daß jenes
für die freien Fachbildungsanſtalten nicht der Fall war.
Das zweite Syſtem dagegen enthält die Anerkennung der Lehr
körper als Prüfungsorgane, ſo daß der Form nach das Recht derſelben
jetzt daſſelbe iſt wie früher. Dieß war namentlich der Fall bei den Uni-
verſitäten und ihrem ſtändiſchen Berufsprüfungsſyſtem dem Doctorat,
während es bei den neuen wirthſchaftlichen Fachbildungsanſtalten (poly-
techniſchen Schulen ꝛc.) deßhalb nicht anders ſein konnte, weil die be-
treffenden Fachkenntniſſe oder die nöthige Zeit eben nur bei dieſen vor-
handen waren. Auf dieſe Weiſe entſtand der Unterſchied der Doctorats-
prüfungen von den eigentlichen Staatsprüfungen, der unſerer Zeit
eigenthümlich iſt. Regel iſt, daß natürlich da, wo es keine Staatsprüfung
gibt (wie z. B. bei den Medicinern), die Doctoratsprüfung dieſelbe er-
ſetzt (in den kleineren deutſchen Staaten iſt das auch bei den Juriſten
der Fall); daß dagegen ſonſt beide einander gleichſtehen, wenn nicht (wie
in Oeſterreich) das Doctorat die Vorausſetzung der Praxis als Advokat iſt.
— In jedem Falle iſt daraus die Verpflichtung der Verwaltung ent-
ſtanden, das Prüfungsweſen zum Gegenſtand einer eigenen Geſetzgebung
zu machen, ſo daß jetzt wohl in den meiſten Staaten ein förmliches
Syſtem von Prüfungsordnungen beſteht, das die alten Doctoratsprüfungen
in ſich aufgenommen und bei mancher Modification im Einzelnen doch im
Großen und Ganzen erhalten hat. Im Allgemeinen kann man ſagen, daß
für die gelehrte Bildung theils Doctorats-, theils Staatsprüfungen (wohl
zu unterſcheiden von den Dienſtprüfungen, ſ. unten) gelten, während
für die wirthſchaftliche Bildung das Syſtem der Prüfungen durch den
Lehrkörper gehandhabt wird, das wiederum bei den freien Bildungsan-
ſtalten oft durch bloße Zeugniſſe ohne eigentliche Prüfung erſetzt iſt.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/207>, abgerufen am 16.02.2025.
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