Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.erstere bedroht die geistige und wirthschaftliche freie Bewegung des Ein- Wir haben nun diese neue Zeit bereits früher als die Epoche der Nur muß man sich den Proceß, der diese Umgestaltung enthält, Diese Faktoren sind nämlich dieselben, welche über den Gang und erſtere bedroht die geiſtige und wirthſchaftliche freie Bewegung des Ein- Wir haben nun dieſe neue Zeit bereits früher als die Epoche der Nur muß man ſich den Proceß, der dieſe Umgeſtaltung enthält, Dieſe Faktoren ſind nämlich dieſelben, welche über den Gang und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0203" n="175"/> erſtere bedroht die geiſtige und wirthſchaftliche freie Bewegung des Ein-<lb/> zelnen, das letztere die objektive Wahrheit des Urtheils der Prüfenden.<lb/> Beides zuſammenwirkend macht die Erhaltung des rein ſtändiſchen<lb/> Prüfungsweſens mit dem lebendigen Fortſchritte der Entwicklung des<lb/> geiſtigen und wirthſchaftlichen Lebens unvereinbar. Aus einem urſprüng-<lb/> lich trefflichen Elemente der Geſammtentwicklung wird das Prüfungs-<lb/> weſen dieſer Epoche daher zu einem verderblichen Feind des geiſtigen<lb/> und materiellen Aufſchwunges. Es wird klar, daß es die große und<lb/> allein lebendige Quelle des letzteren, die freie geiſtige und wirthſchaft-<lb/> liche Arbeit des Einzelnen vernichtet. Es iſt der formelle Ausdruck der<lb/> Gefahr, welche das Alter der ſtändiſchen Epoche bezeichnet, des Er-<lb/> ſtarrens alles geiſtigen Lebens in der Ueberlieferung für den Beruf und<lb/> ſeine organiſche Funktion im Geſammtleben. Und mit dem Eintreten<lb/> der neueren Zeit muß daher nebſt den alten Körperſchaften auch das<lb/> Prüfungsweſen derſelben verſchwinden.</p><lb/> <p>Wir haben nun dieſe neue Zeit bereits früher als die Epoche der<lb/> ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft bezeichnet und das Recht ihres Bildungs-<lb/> weſens charakteriſirt. Das weſentliche Complement des letzteren iſt nun<lb/> auch hier das Prüfungsweſen, und das Princip des letzteren, wie es<lb/> aus dem Geiſte der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft überhaupt hervorgeht,<lb/> iſt nun nicht ſchwer zu beſtimmen. Daſſelbe beſteht in der Aufhebung<lb/> des ſtändiſchen Rechts der <hi rendition="#g">Körperſchaftsprüfungen</hi>, und in der<lb/> Aufſtellung von <hi rendition="#g">öffentlichen</hi>, nach allgemein gültigen Vorſchriften<lb/> angeordneten <hi rendition="#g">Prüfungsorganen</hi> an der Stelle derſelben. Wie der<lb/> Beruf nicht mehr bloß Sache der ſouveränen Körperſchaft, ſondern der<lb/> Geſammtheit iſt, ſo ſoll es auch der geſammte Bildungsproceß für dieſen<lb/> Beruf, alſo auch die Prüfung werden. So entſteht das, was wir das<lb/><hi rendition="#g">ſtaatsbürgerliche Prüfungsweſen</hi> nennen und das jetzt wohl in<lb/> ganz Europa auf allen Punkten an die Stelle des ſtändiſchen ge-<lb/> treten iſt.</p><lb/> <p>Nur muß man ſich den Proceß, der dieſe Umgeſtaltung enthält,<lb/> weder als einen ſehr raſchen, noch als einen für alle Gebiete der Be-<lb/> rufsbildung oder für alle Länder Europas gleichmäßigen denken. Bei<lb/> der im Gegentheil noch viel zu großen Mannichfaltigkeit deſſelben kommt<lb/> es gerade hier weſentlich darauf an, denſelben auf ſeine gleichartigen<lb/> Faktoren zurückzuführen und durch ihre Berückſichtigung das Verſtändniß<lb/> der Verſchiedenheit und damit die höhere Vergleichung zu begründen.</p><lb/> <p>Dieſe Faktoren ſind nämlich dieſelben, welche über den Gang und<lb/> die Organiſation des Bildungsweſens entſchieden haben. Der erſte der-<lb/> ſelben iſt der Grundſatz, daß der Beruf eine ethiſche Funktion und als<lb/> ſolche eine der großen Bedingungen der Entwicklung der Gemeinſchaft<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0203]
erſtere bedroht die geiſtige und wirthſchaftliche freie Bewegung des Ein-
zelnen, das letztere die objektive Wahrheit des Urtheils der Prüfenden.
Beides zuſammenwirkend macht die Erhaltung des rein ſtändiſchen
Prüfungsweſens mit dem lebendigen Fortſchritte der Entwicklung des
geiſtigen und wirthſchaftlichen Lebens unvereinbar. Aus einem urſprüng-
lich trefflichen Elemente der Geſammtentwicklung wird das Prüfungs-
weſen dieſer Epoche daher zu einem verderblichen Feind des geiſtigen
und materiellen Aufſchwunges. Es wird klar, daß es die große und
allein lebendige Quelle des letzteren, die freie geiſtige und wirthſchaft-
liche Arbeit des Einzelnen vernichtet. Es iſt der formelle Ausdruck der
Gefahr, welche das Alter der ſtändiſchen Epoche bezeichnet, des Er-
ſtarrens alles geiſtigen Lebens in der Ueberlieferung für den Beruf und
ſeine organiſche Funktion im Geſammtleben. Und mit dem Eintreten
der neueren Zeit muß daher nebſt den alten Körperſchaften auch das
Prüfungsweſen derſelben verſchwinden.
Wir haben nun dieſe neue Zeit bereits früher als die Epoche der
ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft bezeichnet und das Recht ihres Bildungs-
weſens charakteriſirt. Das weſentliche Complement des letzteren iſt nun
auch hier das Prüfungsweſen, und das Princip des letzteren, wie es
aus dem Geiſte der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft überhaupt hervorgeht,
iſt nun nicht ſchwer zu beſtimmen. Daſſelbe beſteht in der Aufhebung
des ſtändiſchen Rechts der Körperſchaftsprüfungen, und in der
Aufſtellung von öffentlichen, nach allgemein gültigen Vorſchriften
angeordneten Prüfungsorganen an der Stelle derſelben. Wie der
Beruf nicht mehr bloß Sache der ſouveränen Körperſchaft, ſondern der
Geſammtheit iſt, ſo ſoll es auch der geſammte Bildungsproceß für dieſen
Beruf, alſo auch die Prüfung werden. So entſteht das, was wir das
ſtaatsbürgerliche Prüfungsweſen nennen und das jetzt wohl in
ganz Europa auf allen Punkten an die Stelle des ſtändiſchen ge-
treten iſt.
Nur muß man ſich den Proceß, der dieſe Umgeſtaltung enthält,
weder als einen ſehr raſchen, noch als einen für alle Gebiete der Be-
rufsbildung oder für alle Länder Europas gleichmäßigen denken. Bei
der im Gegentheil noch viel zu großen Mannichfaltigkeit deſſelben kommt
es gerade hier weſentlich darauf an, denſelben auf ſeine gleichartigen
Faktoren zurückzuführen und durch ihre Berückſichtigung das Verſtändniß
der Verſchiedenheit und damit die höhere Vergleichung zu begründen.
Dieſe Faktoren ſind nämlich dieſelben, welche über den Gang und
die Organiſation des Bildungsweſens entſchieden haben. Der erſte der-
ſelben iſt der Grundſatz, daß der Beruf eine ethiſche Funktion und als
ſolche eine der großen Bedingungen der Entwicklung der Gemeinſchaft
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