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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Vermögen der Körperschaft zu sein. Und da nun diese Aufnahme in
die letztere der eigentliche Erfolg der Prüfung ist, so war es wohl sehr
natürlich, daß auch die Körperschaft selbst einseitig und vollkommen
selbstherrlich die Formen und Bedingungen der Prüfung vorschrieb und
einseitig über das Ergebniß entschied. Und dieses körperschaftliche
Recht
der Prüfung ist der eigentliche Charakter des ständischen Prüfungs-
wesens.

Dieß ständische Prüfungswesen hat nun, und zwar innerhalb seines
Charakters, seine eigene historische Entwicklung gehabt, die zum Theil
bis auf unsere Tage herabreicht. Die wesentlichsten Punkte desselben
sind folgende.

Das ständische Prüfungswesen beginnt nicht gleich mit dem Auf-
treten der Ständebildung in der Kirche, sondern erst da, wo die Wissen-
schaft in den Universitäten zu einem ständischen Körper wird. Die ur-
sprüngliche Prüfung ist stets die Berufsprüfung des Doktorats; sein
Beruf ist Lesen, und jeder Doktor ist anfänglich ein Doctor legens.
Bei den Medicinern dagegen entsteht zuerst der Gedanke des über den
Lehrberuf hinausgehenden ärztlichen Berufes, selbst für die Apotheker.
Daran schließt sich bei den Juristen der Gedanke der Berufsbildung
für die Rechtsanwälte; es tritt auch hier die Unterscheidung des Doctor
legens
und non legens ein, und es wäre von Interesse, zu wissen,
wann die habilitatio als Lehrberufsprüfung zuerst rechtens geworden.
Noch aber gibt es kein weiteres Prüfungswesen; von einer Scheidung
der Studien- und Dienstprüfung ist noch keine Rede. An die Stelle
der ersteren steht noch immer die freie Aufnahme in die Körperschaft
der Universität. Eben so hat sich anfänglich noch keine Prüfung der
Zünfte und Innungen gebildet; auch hier vertritt die einfache Auf-
nahme nach der Weise der Gilde die Berufsprüfung. Man kann dieß
als die erste Epoche bezeichen.

Die zweite Epoche beginnt nun da, wo sich einerseits das Vor-
bildungs- von dem Fachbildungswesen, und andererseits das strenge
Zunftwesen von dem Reste des Gildewesens scheidet. Die ständische
Gesellschaftsordnung entwickelt sich. Den Grundzug desselben bildet jetzt
der durchgreifende Unterschied des geistigen Standes von dem wirth-
schaftlichen, dessen allgemeiner Name der des Bürgerstandes ist, in wel-
chem aber der Beruf in der Form der körperschaftlichen Zunft und
Innung erscheint. So wie dieß sich entwickelt, muß auch das Prüfungs-
wesen mit ihm gleichen Schritt halten, und sich mit ihm entwickeln.
Auf diese Weise entsteht nun ein ganzes, zum Theil höchst eigenthüm-
liches System der Berufsprüfungen, das mit wenig Abweichungen in
ganz Europa ziemlich gleichartig ist; nur England bildet auch hier eine

Vermögen der Körperſchaft zu ſein. Und da nun dieſe Aufnahme in
die letztere der eigentliche Erfolg der Prüfung iſt, ſo war es wohl ſehr
natürlich, daß auch die Körperſchaft ſelbſt einſeitig und vollkommen
ſelbſtherrlich die Formen und Bedingungen der Prüfung vorſchrieb und
einſeitig über das Ergebniß entſchied. Und dieſes körperſchaftliche
Recht
der Prüfung iſt der eigentliche Charakter des ſtändiſchen Prüfungs-
weſens.

Dieß ſtändiſche Prüfungsweſen hat nun, und zwar innerhalb ſeines
Charakters, ſeine eigene hiſtoriſche Entwicklung gehabt, die zum Theil
bis auf unſere Tage herabreicht. Die weſentlichſten Punkte deſſelben
ſind folgende.

Das ſtändiſche Prüfungsweſen beginnt nicht gleich mit dem Auf-
treten der Ständebildung in der Kirche, ſondern erſt da, wo die Wiſſen-
ſchaft in den Univerſitäten zu einem ſtändiſchen Körper wird. Die ur-
ſprüngliche Prüfung iſt ſtets die Berufsprüfung des Doktorats; ſein
Beruf iſt Leſen, und jeder Doktor iſt anfänglich ein Doctor legens.
Bei den Medicinern dagegen entſteht zuerſt der Gedanke des über den
Lehrberuf hinausgehenden ärztlichen Berufes, ſelbſt für die Apotheker.
Daran ſchließt ſich bei den Juriſten der Gedanke der Berufsbildung
für die Rechtsanwälte; es tritt auch hier die Unterſcheidung des Doctor
legens
und non legens ein, und es wäre von Intereſſe, zu wiſſen,
wann die habilitatio als Lehrberufsprüfung zuerſt rechtens geworden.
Noch aber gibt es kein weiteres Prüfungsweſen; von einer Scheidung
der Studien- und Dienſtprüfung iſt noch keine Rede. An die Stelle
der erſteren ſteht noch immer die freie Aufnahme in die Körperſchaft
der Univerſität. Eben ſo hat ſich anfänglich noch keine Prüfung der
Zünfte und Innungen gebildet; auch hier vertritt die einfache Auf-
nahme nach der Weiſe der Gilde die Berufsprüfung. Man kann dieß
als die erſte Epoche bezeichen.

Die zweite Epoche beginnt nun da, wo ſich einerſeits das Vor-
bildungs- von dem Fachbildungsweſen, und andererſeits das ſtrenge
Zunftweſen von dem Reſte des Gildeweſens ſcheidet. Die ſtändiſche
Geſellſchaftsordnung entwickelt ſich. Den Grundzug deſſelben bildet jetzt
der durchgreifende Unterſchied des geiſtigen Standes von dem wirth-
ſchaftlichen, deſſen allgemeiner Name der des Bürgerſtandes iſt, in wel-
chem aber der Beruf in der Form der körperſchaftlichen Zunft und
Innung erſcheint. So wie dieß ſich entwickelt, muß auch das Prüfungs-
weſen mit ihm gleichen Schritt halten, und ſich mit ihm entwickeln.
Auf dieſe Weiſe entſteht nun ein ganzes, zum Theil höchſt eigenthüm-
liches Syſtem der Berufsprüfungen, das mit wenig Abweichungen in
ganz Europa ziemlich gleichartig iſt; nur England bildet auch hier eine

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[173/0201] Vermögen der Körperſchaft zu ſein. Und da nun dieſe Aufnahme in die letztere der eigentliche Erfolg der Prüfung iſt, ſo war es wohl ſehr natürlich, daß auch die Körperſchaft ſelbſt einſeitig und vollkommen ſelbſtherrlich die Formen und Bedingungen der Prüfung vorſchrieb und einſeitig über das Ergebniß entſchied. Und dieſes körperſchaftliche Recht der Prüfung iſt der eigentliche Charakter des ſtändiſchen Prüfungs- weſens. Dieß ſtändiſche Prüfungsweſen hat nun, und zwar innerhalb ſeines Charakters, ſeine eigene hiſtoriſche Entwicklung gehabt, die zum Theil bis auf unſere Tage herabreicht. Die weſentlichſten Punkte deſſelben ſind folgende. Das ſtändiſche Prüfungsweſen beginnt nicht gleich mit dem Auf- treten der Ständebildung in der Kirche, ſondern erſt da, wo die Wiſſen- ſchaft in den Univerſitäten zu einem ſtändiſchen Körper wird. Die ur- ſprüngliche Prüfung iſt ſtets die Berufsprüfung des Doktorats; ſein Beruf iſt Leſen, und jeder Doktor iſt anfänglich ein Doctor legens. Bei den Medicinern dagegen entſteht zuerſt der Gedanke des über den Lehrberuf hinausgehenden ärztlichen Berufes, ſelbſt für die Apotheker. Daran ſchließt ſich bei den Juriſten der Gedanke der Berufsbildung für die Rechtsanwälte; es tritt auch hier die Unterſcheidung des Doctor legens und non legens ein, und es wäre von Intereſſe, zu wiſſen, wann die habilitatio als Lehrberufsprüfung zuerſt rechtens geworden. Noch aber gibt es kein weiteres Prüfungsweſen; von einer Scheidung der Studien- und Dienſtprüfung iſt noch keine Rede. An die Stelle der erſteren ſteht noch immer die freie Aufnahme in die Körperſchaft der Univerſität. Eben ſo hat ſich anfänglich noch keine Prüfung der Zünfte und Innungen gebildet; auch hier vertritt die einfache Auf- nahme nach der Weiſe der Gilde die Berufsprüfung. Man kann dieß als die erſte Epoche bezeichen. Die zweite Epoche beginnt nun da, wo ſich einerſeits das Vor- bildungs- von dem Fachbildungsweſen, und andererſeits das ſtrenge Zunftweſen von dem Reſte des Gildeweſens ſcheidet. Die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung entwickelt ſich. Den Grundzug deſſelben bildet jetzt der durchgreifende Unterſchied des geiſtigen Standes von dem wirth- ſchaftlichen, deſſen allgemeiner Name der des Bürgerſtandes iſt, in wel- chem aber der Beruf in der Form der körperſchaftlichen Zunft und Innung erſcheint. So wie dieß ſich entwickelt, muß auch das Prüfungs- weſen mit ihm gleichen Schritt halten, und ſich mit ihm entwickeln. Auf dieſe Weiſe entſteht nun ein ganzes, zum Theil höchſt eigenthüm- liches Syſtem der Berufsprüfungen, das mit wenig Abweichungen in ganz Europa ziemlich gleichartig iſt; nur England bildet auch hier eine

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/201>, abgerufen am 24.11.2024.