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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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für die Lehrerbildung eigene Anstalten errichten und das Recht zur
Lehre von dem öffentlichen Nachweis der erworbenen Berufsbildung ab-
hängig machen.

In dem Lehrerbildungswesen für die Berufsbildungsanstalten aller
Art liegt daher der erste, den Charakter des Berufsbildungswesens eines
Staates bestimmende Grundsatz.

Das zweite Moment ist das Verhältniß, welches die Verwaltung
zu den beiden Elementen der Bildung, der allgemeinen und der speciellen
Fachbildung für die Lehrordnung einnimmt. Der Grundsatz dafür ist
einfach. Je höher ein Volk steht, um so mehr wird die Verwaltung
desselben die Erhaltung und Förderung der allgemeinen Bildung, also
speciell die Classicität, die Geschichte und Philosophie, zu einem organi-
schen Theil der gesammten Vor- und Fachbildung machen, während sie
zugleich in der Herstellung der speciellen Fachbildungsanstalten die Voraus-
setzung für die höchste Entwicklung der speciellen Bildung finden wird.
Das System der Lehrgegenstände ergibt daher den zweiten Gesichts-
punkt für die höhere Vergleichung.

Das dritte Moment ist nun das Verhältniß des Lehrkörpers.
Die Selbständigkeit des Lehrkörpers ist die erste und wichtigste Conse-
quenz der fachgemäßen Bildung des Lehrerstandes. Sie ist die Gewähr
der geistigen Freiheit innerhalb der öffentlich rechtlich bestimmten Lehr-
ordnung. Diese geistige Freiheit aber ist die große Grundlage aller
wahren Entwicklung, und man kann unbedenklich sagen, daß das Maß
der Selbstverwaltung, das dem Lehrkörper der einzelnen Anstalten ge-
geben ist, den Maßstab für die Freiheit der geistigen Bewegung über-
haupt abgibt, die ein Volk gewonnen hat.

Dieß sind nun die drei Gesichtspunkte, welche für das Recht der
Lehranstalten maßgebend sind. Das zweite Gebiet ist nun das der
Freiheit der Berufsbildung selbst.

II. Das Wesen der Freiheit in der Berufsbildung besteht, der
höhern Natur des Berufes nach, nicht in der Willkür des Einzelnen,
seinen Bildungsgang ganz nach eignem Ermessen einzurichten. Ein
solches Recht würde im Grunde bedeuten, daß die Bildung selbst keine
festen organischen Grundlagen und Stadien habe, sondern je nach der
Individualität eine andere sein könne. Die Freiheit der Berufsbildung
steht daher nicht mit der öffentlich rechtlichen Lehrordnung und ihrer
gesetzlichen Feststellung im Widerspruch, sondern sie besteht in der Frei-
heit des Einzelnen, nach ganz freiem Entschluß sich dem einzelnen Be-
rufe zu widmen, von ihm zurückzutreten oder zu einem andern über-
zugehen -- also in der vollkommenen freien Bewegung des Individuums
innerhalb der gesetzlich bestimmten Bildungsordnung. Der formelle

für die Lehrerbildung eigene Anſtalten errichten und das Recht zur
Lehre von dem öffentlichen Nachweis der erworbenen Berufsbildung ab-
hängig machen.

In dem Lehrerbildungsweſen für die Berufsbildungsanſtalten aller
Art liegt daher der erſte, den Charakter des Berufsbildungsweſens eines
Staates beſtimmende Grundſatz.

Das zweite Moment iſt das Verhältniß, welches die Verwaltung
zu den beiden Elementen der Bildung, der allgemeinen und der ſpeciellen
Fachbildung für die Lehrordnung einnimmt. Der Grundſatz dafür iſt
einfach. Je höher ein Volk ſteht, um ſo mehr wird die Verwaltung
deſſelben die Erhaltung und Förderung der allgemeinen Bildung, alſo
ſpeciell die Claſſicität, die Geſchichte und Philoſophie, zu einem organi-
ſchen Theil der geſammten Vor- und Fachbildung machen, während ſie
zugleich in der Herſtellung der ſpeciellen Fachbildungsanſtalten die Voraus-
ſetzung für die höchſte Entwicklung der ſpeciellen Bildung finden wird.
Das Syſtem der Lehrgegenſtände ergibt daher den zweiten Geſichts-
punkt für die höhere Vergleichung.

Das dritte Moment iſt nun das Verhältniß des Lehrkörpers.
Die Selbſtändigkeit des Lehrkörpers iſt die erſte und wichtigſte Conſe-
quenz der fachgemäßen Bildung des Lehrerſtandes. Sie iſt die Gewähr
der geiſtigen Freiheit innerhalb der öffentlich rechtlich beſtimmten Lehr-
ordnung. Dieſe geiſtige Freiheit aber iſt die große Grundlage aller
wahren Entwicklung, und man kann unbedenklich ſagen, daß das Maß
der Selbſtverwaltung, das dem Lehrkörper der einzelnen Anſtalten ge-
geben iſt, den Maßſtab für die Freiheit der geiſtigen Bewegung über-
haupt abgibt, die ein Volk gewonnen hat.

Dieß ſind nun die drei Geſichtspunkte, welche für das Recht der
Lehranſtalten maßgebend ſind. Das zweite Gebiet iſt nun das der
Freiheit der Berufsbildung ſelbſt.

II. Das Weſen der Freiheit in der Berufsbildung beſteht, der
höhern Natur des Berufes nach, nicht in der Willkür des Einzelnen,
ſeinen Bildungsgang ganz nach eignem Ermeſſen einzurichten. Ein
ſolches Recht würde im Grunde bedeuten, daß die Bildung ſelbſt keine
feſten organiſchen Grundlagen und Stadien habe, ſondern je nach der
Individualität eine andere ſein könne. Die Freiheit der Berufsbildung
ſteht daher nicht mit der öffentlich rechtlichen Lehrordnung und ihrer
geſetzlichen Feſtſtellung im Widerſpruch, ſondern ſie beſteht in der Frei-
heit des Einzelnen, nach ganz freiem Entſchluß ſich dem einzelnen Be-
rufe zu widmen, von ihm zurückzutreten oder zu einem andern über-
zugehen — alſo in der vollkommenen freien Bewegung des Individuums
innerhalb der geſetzlich beſtimmten Bildungsordnung. Der formelle

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[163/0191] für die Lehrerbildung eigene Anſtalten errichten und das Recht zur Lehre von dem öffentlichen Nachweis der erworbenen Berufsbildung ab- hängig machen. In dem Lehrerbildungsweſen für die Berufsbildungsanſtalten aller Art liegt daher der erſte, den Charakter des Berufsbildungsweſens eines Staates beſtimmende Grundſatz. Das zweite Moment iſt das Verhältniß, welches die Verwaltung zu den beiden Elementen der Bildung, der allgemeinen und der ſpeciellen Fachbildung für die Lehrordnung einnimmt. Der Grundſatz dafür iſt einfach. Je höher ein Volk ſteht, um ſo mehr wird die Verwaltung deſſelben die Erhaltung und Förderung der allgemeinen Bildung, alſo ſpeciell die Claſſicität, die Geſchichte und Philoſophie, zu einem organi- ſchen Theil der geſammten Vor- und Fachbildung machen, während ſie zugleich in der Herſtellung der ſpeciellen Fachbildungsanſtalten die Voraus- ſetzung für die höchſte Entwicklung der ſpeciellen Bildung finden wird. Das Syſtem der Lehrgegenſtände ergibt daher den zweiten Geſichts- punkt für die höhere Vergleichung. Das dritte Moment iſt nun das Verhältniß des Lehrkörpers. Die Selbſtändigkeit des Lehrkörpers iſt die erſte und wichtigſte Conſe- quenz der fachgemäßen Bildung des Lehrerſtandes. Sie iſt die Gewähr der geiſtigen Freiheit innerhalb der öffentlich rechtlich beſtimmten Lehr- ordnung. Dieſe geiſtige Freiheit aber iſt die große Grundlage aller wahren Entwicklung, und man kann unbedenklich ſagen, daß das Maß der Selbſtverwaltung, das dem Lehrkörper der einzelnen Anſtalten ge- geben iſt, den Maßſtab für die Freiheit der geiſtigen Bewegung über- haupt abgibt, die ein Volk gewonnen hat. Dieß ſind nun die drei Geſichtspunkte, welche für das Recht der Lehranſtalten maßgebend ſind. Das zweite Gebiet iſt nun das der Freiheit der Berufsbildung ſelbſt. II. Das Weſen der Freiheit in der Berufsbildung beſteht, der höhern Natur des Berufes nach, nicht in der Willkür des Einzelnen, ſeinen Bildungsgang ganz nach eignem Ermeſſen einzurichten. Ein ſolches Recht würde im Grunde bedeuten, daß die Bildung ſelbſt keine feſten organiſchen Grundlagen und Stadien habe, ſondern je nach der Individualität eine andere ſein könne. Die Freiheit der Berufsbildung ſteht daher nicht mit der öffentlich rechtlichen Lehrordnung und ihrer geſetzlichen Feſtſtellung im Widerſpruch, ſondern ſie beſteht in der Frei- heit des Einzelnen, nach ganz freiem Entſchluß ſich dem einzelnen Be- rufe zu widmen, von ihm zurückzutreten oder zu einem andern über- zugehen — alſo in der vollkommenen freien Bewegung des Individuums innerhalb der geſetzlich beſtimmten Bildungsordnung. Der formelle

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/191>, abgerufen am 24.11.2024.