Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf diese Weise ist das, was das neunzehnte Jahrhundert aus-
zeichnet, das Auftreten des wirthschaftlichen Berufes an der
Seite des rein geistigen, des gelehrten und des künstlerischen. Aber
während derselbe auf allen Punkten des Gesammtlebens sich zur vollen
Geltung bringt, kann er seiner Natur nach niemals ein Stand werden.
Denn als Ganzes hat er keinen Besitz; der Besitz muß für jeden Einzelnen
durch eigene Thätigkeit immer wieder aufs neue erzeugt, kann von jedem
immer wieder aufs neue verloren werden. Sein Charakter besteht darin,
daß er zwar für den Einzelnen ein freier, aber in seiner gesammten Auf-
gabe ein begränzter ist. So ist derselbe die dritte Grundform des Berufes;
und jetzt erscheinen mithin die drei Formen des letzteren, der geistige, der
wirthschaftliche und der künstlerische Beruf als die drei Faktoren, durch
welche und in welchen sich die Gesittung der Gesammtheit verwirklicht.

Stehen nun diese Begriffe fest, so ist auch das System der Berufs-
bildung einfach und leicht verständlich. Jeder Beruf hat seine Bildung,
denn seine Erfüllung hat bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten zur
Voraussetzung, die keiner unmittelbaren Anwendung auf den andern
fähig sind. Jeder Beruf ist zugleich durch den mächtigen Umfang der
Aufgaben, welche ihm vorliegen, so groß, daß eine Verschmelzung der-
selben mit jedem Tage schwieriger erscheint. Jeder Beruf fordert den
ganzen Menschen; jeder Beruf kann nur durch die Hingabe des Besten,
was die Persönlichkeit vermag, erfüllt werden; jeder Beruf aber ver-
mag jetzt auch durch seinen ethischen Inhalt dem Menschen zu ge-
nügen; und während die Scheidewand der ständischen Epoche zwischen
den Berufen gefallen ist, trennen sich dafür die Gebiete der Berufs-
bildung um so schärfer. Die Entwicklung der Berufe selbst aber erzeugt
für jeden Beruf wieder den allgemeinen Unterschied zwischen der Vor-
bildung und der Fachbildung, denn die letztere erscheint jetzt unerreich-
bar ohne bestimmte Beziehung der ersteren auf das, was die letztere
fordert. Und so erscheint jetzt das der staatsbürgerlichen Gesellschaft
eignende formale System der Berufsbildung als gelehrte, wirthschaft-
liche und künstlerische Berufsbildung, jede derselben mit ihrer, auf sie
berechneten Vor- und Fachbildung, jede derselben in ihrer Weise das
ganze Leben umfassend, den ganzen Menschen erfüllend; an die höch-
sten Elemente der geistigen Welt anknüpfend, und damit jede für sich
ein selbständiger Organismus und eine selbständige Macht im Gesammt-
leben. Es ist kein Zweifel, daß es unsere Zeit, und in unserer Zeit
Deutschland ist, das diesem System, wie es an sich im Wesen des
Berufes lebt, seinen Ausdruck gegeben hat.

Und was ist es jetzt, was über diese Berufsbildung noch weiter
gesagt werden kann?

Auf dieſe Weiſe iſt das, was das neunzehnte Jahrhundert aus-
zeichnet, das Auftreten des wirthſchaftlichen Berufes an der
Seite des rein geiſtigen, des gelehrten und des künſtleriſchen. Aber
während derſelbe auf allen Punkten des Geſammtlebens ſich zur vollen
Geltung bringt, kann er ſeiner Natur nach niemals ein Stand werden.
Denn als Ganzes hat er keinen Beſitz; der Beſitz muß für jeden Einzelnen
durch eigene Thätigkeit immer wieder aufs neue erzeugt, kann von jedem
immer wieder aufs neue verloren werden. Sein Charakter beſteht darin,
daß er zwar für den Einzelnen ein freier, aber in ſeiner geſammten Auf-
gabe ein begränzter iſt. So iſt derſelbe die dritte Grundform des Berufes;
und jetzt erſcheinen mithin die drei Formen des letzteren, der geiſtige, der
wirthſchaftliche und der künſtleriſche Beruf als die drei Faktoren, durch
welche und in welchen ſich die Geſittung der Geſammtheit verwirklicht.

Stehen nun dieſe Begriffe feſt, ſo iſt auch das Syſtem der Berufs-
bildung einfach und leicht verſtändlich. Jeder Beruf hat ſeine Bildung,
denn ſeine Erfüllung hat beſtimmte Kenntniſſe und Fähigkeiten zur
Vorausſetzung, die keiner unmittelbaren Anwendung auf den andern
fähig ſind. Jeder Beruf iſt zugleich durch den mächtigen Umfang der
Aufgaben, welche ihm vorliegen, ſo groß, daß eine Verſchmelzung der-
ſelben mit jedem Tage ſchwieriger erſcheint. Jeder Beruf fordert den
ganzen Menſchen; jeder Beruf kann nur durch die Hingabe des Beſten,
was die Perſönlichkeit vermag, erfüllt werden; jeder Beruf aber ver-
mag jetzt auch durch ſeinen ethiſchen Inhalt dem Menſchen zu ge-
nügen; und während die Scheidewand der ſtändiſchen Epoche zwiſchen
den Berufen gefallen iſt, trennen ſich dafür die Gebiete der Berufs-
bildung um ſo ſchärfer. Die Entwicklung der Berufe ſelbſt aber erzeugt
für jeden Beruf wieder den allgemeinen Unterſchied zwiſchen der Vor-
bildung und der Fachbildung, denn die letztere erſcheint jetzt unerreich-
bar ohne beſtimmte Beziehung der erſteren auf das, was die letztere
fordert. Und ſo erſcheint jetzt das der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft
eignende formale Syſtem der Berufsbildung als gelehrte, wirthſchaft-
liche und künſtleriſche Berufsbildung, jede derſelben mit ihrer, auf ſie
berechneten Vor- und Fachbildung, jede derſelben in ihrer Weiſe das
ganze Leben umfaſſend, den ganzen Menſchen erfüllend; an die höch-
ſten Elemente der geiſtigen Welt anknüpfend, und damit jede für ſich
ein ſelbſtändiger Organismus und eine ſelbſtändige Macht im Geſammt-
leben. Es iſt kein Zweifel, daß es unſere Zeit, und in unſerer Zeit
Deutſchland iſt, das dieſem Syſtem, wie es an ſich im Weſen des
Berufes lebt, ſeinen Ausdruck gegeben hat.

Und was iſt es jetzt, was über dieſe Berufsbildung noch weiter
geſagt werden kann?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0184" n="156"/>
                <p>Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e i&#x017F;t das, was das neunzehnte Jahrhundert aus-<lb/>
zeichnet, das Auftreten des <hi rendition="#g">wirth&#x017F;chaftlichen Berufes</hi> an der<lb/>
Seite des rein gei&#x017F;tigen, des gelehrten und des kün&#x017F;tleri&#x017F;chen. Aber<lb/>
während der&#x017F;elbe auf allen Punkten des Ge&#x017F;ammtlebens &#x017F;ich zur vollen<lb/>
Geltung bringt, kann er &#x017F;einer Natur nach niemals ein Stand werden.<lb/>
Denn als Ganzes hat er keinen Be&#x017F;itz; der Be&#x017F;itz muß für jeden Einzelnen<lb/>
durch eigene Thätigkeit immer wieder aufs neue erzeugt, kann von jedem<lb/>
immer wieder aufs neue verloren werden. Sein Charakter be&#x017F;teht darin,<lb/>
daß er zwar für den Einzelnen ein freier, aber in &#x017F;einer ge&#x017F;ammten Auf-<lb/>
gabe ein begränzter i&#x017F;t. So i&#x017F;t der&#x017F;elbe die dritte Grundform des Berufes;<lb/>
und jetzt er&#x017F;cheinen mithin die drei Formen des letzteren, der gei&#x017F;tige, der<lb/>
wirth&#x017F;chaftliche und der kün&#x017F;tleri&#x017F;che Beruf als die drei Faktoren, durch<lb/>
welche und in welchen &#x017F;ich die Ge&#x017F;ittung der Ge&#x017F;ammtheit verwirklicht.</p><lb/>
                <p>Stehen nun die&#x017F;e Begriffe fe&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t auch das Sy&#x017F;tem der Berufs-<lb/>
bildung einfach und leicht ver&#x017F;tändlich. Jeder Beruf hat <hi rendition="#g">&#x017F;eine</hi> Bildung,<lb/>
denn &#x017F;eine Erfüllung hat be&#x017F;timmte Kenntni&#x017F;&#x017F;e und Fähigkeiten zur<lb/>
Voraus&#x017F;etzung, die keiner unmittelbaren Anwendung auf den andern<lb/>
fähig &#x017F;ind. Jeder Beruf i&#x017F;t zugleich durch den mächtigen Umfang der<lb/>
Aufgaben, welche ihm vorliegen, &#x017F;o groß, daß eine Ver&#x017F;chmelzung der-<lb/>
&#x017F;elben mit jedem Tage &#x017F;chwieriger er&#x017F;cheint. Jeder Beruf fordert den<lb/><hi rendition="#g">ganzen</hi> Men&#x017F;chen; jeder Beruf kann nur durch die Hingabe des Be&#x017F;ten,<lb/>
was die Per&#x017F;önlichkeit vermag, erfüllt werden; jeder Beruf aber ver-<lb/>
mag jetzt auch durch &#x017F;einen ethi&#x017F;chen Inhalt dem Men&#x017F;chen zu ge-<lb/>
nügen; und während die Scheidewand der &#x017F;tändi&#x017F;chen Epoche zwi&#x017F;chen<lb/>
den Berufen gefallen i&#x017F;t, trennen &#x017F;ich dafür die Gebiete der Berufs-<lb/>
bildung um &#x017F;o &#x017F;chärfer. Die Entwicklung der Berufe &#x017F;elb&#x017F;t aber erzeugt<lb/>
für <hi rendition="#g">jeden</hi> Beruf wieder den allgemeinen Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen der Vor-<lb/>
bildung und der Fachbildung, denn die letztere er&#x017F;cheint jetzt unerreich-<lb/>
bar ohne be&#x017F;timmte Beziehung der er&#x017F;teren auf das, was die letztere<lb/>
fordert. Und &#x017F;o er&#x017F;cheint jetzt das der &#x017F;taatsbürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
eignende formale Sy&#x017F;tem der Berufsbildung als gelehrte, wirth&#x017F;chaft-<lb/>
liche und kün&#x017F;tleri&#x017F;che Berufsbildung, jede der&#x017F;elben mit <hi rendition="#g">ihrer</hi>, auf &#x017F;ie<lb/>
berechneten Vor- und Fachbildung, jede der&#x017F;elben in ihrer Wei&#x017F;e das<lb/>
ganze Leben umfa&#x017F;&#x017F;end, den ganzen Men&#x017F;chen erfüllend; an die höch-<lb/>
&#x017F;ten Elemente der gei&#x017F;tigen Welt anknüpfend, und damit jede für &#x017F;ich<lb/>
ein &#x017F;elb&#x017F;tändiger Organismus und eine &#x017F;elb&#x017F;tändige Macht im Ge&#x017F;ammt-<lb/>
leben. Es i&#x017F;t kein Zweifel, daß es un&#x017F;ere Zeit, und in un&#x017F;erer Zeit<lb/><hi rendition="#g">Deut&#x017F;chland</hi> i&#x017F;t, das die&#x017F;em Sy&#x017F;tem, wie es an &#x017F;ich im We&#x017F;en des<lb/>
Berufes lebt, &#x017F;einen Ausdruck gegeben hat.</p><lb/>
                <p>Und was i&#x017F;t es jetzt, was über die&#x017F;e Berufsbildung noch weiter<lb/>
ge&#x017F;agt werden kann?</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0184] Auf dieſe Weiſe iſt das, was das neunzehnte Jahrhundert aus- zeichnet, das Auftreten des wirthſchaftlichen Berufes an der Seite des rein geiſtigen, des gelehrten und des künſtleriſchen. Aber während derſelbe auf allen Punkten des Geſammtlebens ſich zur vollen Geltung bringt, kann er ſeiner Natur nach niemals ein Stand werden. Denn als Ganzes hat er keinen Beſitz; der Beſitz muß für jeden Einzelnen durch eigene Thätigkeit immer wieder aufs neue erzeugt, kann von jedem immer wieder aufs neue verloren werden. Sein Charakter beſteht darin, daß er zwar für den Einzelnen ein freier, aber in ſeiner geſammten Auf- gabe ein begränzter iſt. So iſt derſelbe die dritte Grundform des Berufes; und jetzt erſcheinen mithin die drei Formen des letzteren, der geiſtige, der wirthſchaftliche und der künſtleriſche Beruf als die drei Faktoren, durch welche und in welchen ſich die Geſittung der Geſammtheit verwirklicht. Stehen nun dieſe Begriffe feſt, ſo iſt auch das Syſtem der Berufs- bildung einfach und leicht verſtändlich. Jeder Beruf hat ſeine Bildung, denn ſeine Erfüllung hat beſtimmte Kenntniſſe und Fähigkeiten zur Vorausſetzung, die keiner unmittelbaren Anwendung auf den andern fähig ſind. Jeder Beruf iſt zugleich durch den mächtigen Umfang der Aufgaben, welche ihm vorliegen, ſo groß, daß eine Verſchmelzung der- ſelben mit jedem Tage ſchwieriger erſcheint. Jeder Beruf fordert den ganzen Menſchen; jeder Beruf kann nur durch die Hingabe des Beſten, was die Perſönlichkeit vermag, erfüllt werden; jeder Beruf aber ver- mag jetzt auch durch ſeinen ethiſchen Inhalt dem Menſchen zu ge- nügen; und während die Scheidewand der ſtändiſchen Epoche zwiſchen den Berufen gefallen iſt, trennen ſich dafür die Gebiete der Berufs- bildung um ſo ſchärfer. Die Entwicklung der Berufe ſelbſt aber erzeugt für jeden Beruf wieder den allgemeinen Unterſchied zwiſchen der Vor- bildung und der Fachbildung, denn die letztere erſcheint jetzt unerreich- bar ohne beſtimmte Beziehung der erſteren auf das, was die letztere fordert. Und ſo erſcheint jetzt das der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft eignende formale Syſtem der Berufsbildung als gelehrte, wirthſchaft- liche und künſtleriſche Berufsbildung, jede derſelben mit ihrer, auf ſie berechneten Vor- und Fachbildung, jede derſelben in ihrer Weiſe das ganze Leben umfaſſend, den ganzen Menſchen erfüllend; an die höch- ſten Elemente der geiſtigen Welt anknüpfend, und damit jede für ſich ein ſelbſtändiger Organismus und eine ſelbſtändige Macht im Geſammt- leben. Es iſt kein Zweifel, daß es unſere Zeit, und in unſerer Zeit Deutſchland iſt, das dieſem Syſtem, wie es an ſich im Weſen des Berufes lebt, ſeinen Ausdruck gegeben hat. Und was iſt es jetzt, was über dieſe Berufsbildung noch weiter geſagt werden kann?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/184
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/184>, abgerufen am 11.05.2024.