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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Klassen mit ihren Gegensätzen in sich entwickelt, zeigt die Gesellschafts-
lehre; wir haben zunächst uns nur an die obigen Thatsachen zu halten.

Während nun auf diese Weise der geistige Beruf in allen Völkern
die Tendenz hat, in der Gestalt der Stände zu einem öffentlichen Be-
rufe zu werden, ist der künstlerische Beruf seinem Wesen nach unfähig,
zu einem Stande zu werden. Seine Leistung ist an sich individuell,
der Werth derselben ist von der individuellen Bildung abhängig. Es
ist daher ein zwar wesentliches, aber kein ständisches Element der Ge-
sellschaft; er ist der standeslose und daher der freie Beruf. Das be-
darf wohl keiner Darstellung.

Die wahre Schwierigkeit für die organische Auffassung des Berufes
ist dagegen der wirthschaftliche Beruf. Der wirthschaftliche Beruf
hat zu seinem Zwecke zunächst eine für das Individuum berechnete
Funktion, den Erwerb; zu seiner Grundlage den individuellen Besitz,
das Kapital; zu seiner bewegenden Kraft die individuelle Fähigkeit und
Thätigkeit, die Arbeit. Der wirthschaftliche Beruf erscheint daher stets
als ein individueller. Er entsteht daher ohne Zuthun des Ganzen;
der Einzelne ist seine Quelle, sein Maß, sein Ziel; das specifische Ele-
ment des öffentlichen Berufes scheint ihm seinem Wesen nach zu fehlen;
und das ist von entscheidender Bedeutung, weil ohne dieß Moment von
einer Berufsbildung nicht die Rede sein kann.

Daher denn kommt es auch, daß Jahrtausende hindurch der Be-
griff des Berufes auf das wirthschaftliche Leben keine Anwendung findet.
Der Charakter des wirthschaftlichen Lebens ist der des Standes und
damit der öffentlichen Rechtlosigkeit. Erst die germanische Welt gelangt
zum Begriffe des wirthschaftlichen Berufes; aber weder schnell noch in
einfacher Weise. Es ist gut, sich den Proceß zu vergegenwärtigen, durch
den dieß geschieht, denn wie es in der Natur der Sache liegt, ist dieser
Proceß die Grundlage der Geschichte der wirthschaftlichen Berufsbildung.

Während nämlich bei dem geistigen Berufe aus dem Berufe selbst
der Stand geworden ist, ist umgekehrt in Beziehung auf das öffentliche
Recht hin aus dem Stande der Beruf geworden. Wir haben daher zwei
Epochen zu unterscheiden. Die erste umfaßt die ganze Geschichte der
Städtebildung und ihres Rechts; denn dieselbe ist nichts als die
erste Form, in welcher das wirthschaftliche Leben seine Individualisirung
verläßt, sich zur Gemeinschaft aller seiner Mitglieder erhebt, und sich
auf Grundlage des eigenen Grundbesitzes selbst als öffentlich-rechtlich
anerkannter Stand, der Bürgerstand hinstellt. Es ist nicht unsere
Sache, die Geschichte desselben zu schreiben. Aber das Element, das er
vertritt, gewinnt mit dem vorigen Jahrhundert eine andere Gestalt und
Stellung und die ist es, welche den Inhalt der zweiten Epoche bildet.

Klaſſen mit ihren Gegenſätzen in ſich entwickelt, zeigt die Geſellſchafts-
lehre; wir haben zunächſt uns nur an die obigen Thatſachen zu halten.

Während nun auf dieſe Weiſe der geiſtige Beruf in allen Völkern
die Tendenz hat, in der Geſtalt der Stände zu einem öffentlichen Be-
rufe zu werden, iſt der künſtleriſche Beruf ſeinem Weſen nach unfähig,
zu einem Stande zu werden. Seine Leiſtung iſt an ſich individuell,
der Werth derſelben iſt von der individuellen Bildung abhängig. Es
iſt daher ein zwar weſentliches, aber kein ſtändiſches Element der Ge-
ſellſchaft; er iſt der ſtandesloſe und daher der freie Beruf. Das be-
darf wohl keiner Darſtellung.

Die wahre Schwierigkeit für die organiſche Auffaſſung des Berufes
iſt dagegen der wirthſchaftliche Beruf. Der wirthſchaftliche Beruf
hat zu ſeinem Zwecke zunächſt eine für das Individuum berechnete
Funktion, den Erwerb; zu ſeiner Grundlage den individuellen Beſitz,
das Kapital; zu ſeiner bewegenden Kraft die individuelle Fähigkeit und
Thätigkeit, die Arbeit. Der wirthſchaftliche Beruf erſcheint daher ſtets
als ein individueller. Er entſteht daher ohne Zuthun des Ganzen;
der Einzelne iſt ſeine Quelle, ſein Maß, ſein Ziel; das ſpecifiſche Ele-
ment des öffentlichen Berufes ſcheint ihm ſeinem Weſen nach zu fehlen;
und das iſt von entſcheidender Bedeutung, weil ohne dieß Moment von
einer Berufsbildung nicht die Rede ſein kann.

Daher denn kommt es auch, daß Jahrtauſende hindurch der Be-
griff des Berufes auf das wirthſchaftliche Leben keine Anwendung findet.
Der Charakter des wirthſchaftlichen Lebens iſt der des Standes und
damit der öffentlichen Rechtloſigkeit. Erſt die germaniſche Welt gelangt
zum Begriffe des wirthſchaftlichen Berufes; aber weder ſchnell noch in
einfacher Weiſe. Es iſt gut, ſich den Proceß zu vergegenwärtigen, durch
den dieß geſchieht, denn wie es in der Natur der Sache liegt, iſt dieſer
Proceß die Grundlage der Geſchichte der wirthſchaftlichen Berufsbildung.

Während nämlich bei dem geiſtigen Berufe aus dem Berufe ſelbſt
der Stand geworden iſt, iſt umgekehrt in Beziehung auf das öffentliche
Recht hin aus dem Stande der Beruf geworden. Wir haben daher zwei
Epochen zu unterſcheiden. Die erſte umfaßt die ganze Geſchichte der
Städtebildung und ihres Rechts; denn dieſelbe iſt nichts als die
erſte Form, in welcher das wirthſchaftliche Leben ſeine Individualiſirung
verläßt, ſich zur Gemeinſchaft aller ſeiner Mitglieder erhebt, und ſich
auf Grundlage des eigenen Grundbeſitzes ſelbſt als öffentlich-rechtlich
anerkannter Stand, der Bürgerſtand hinſtellt. Es iſt nicht unſere
Sache, die Geſchichte deſſelben zu ſchreiben. Aber das Element, das er
vertritt, gewinnt mit dem vorigen Jahrhundert eine andere Geſtalt und
Stellung und die iſt es, welche den Inhalt der zweiten Epoche bildet.

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[154/0182] Klaſſen mit ihren Gegenſätzen in ſich entwickelt, zeigt die Geſellſchafts- lehre; wir haben zunächſt uns nur an die obigen Thatſachen zu halten. Während nun auf dieſe Weiſe der geiſtige Beruf in allen Völkern die Tendenz hat, in der Geſtalt der Stände zu einem öffentlichen Be- rufe zu werden, iſt der künſtleriſche Beruf ſeinem Weſen nach unfähig, zu einem Stande zu werden. Seine Leiſtung iſt an ſich individuell, der Werth derſelben iſt von der individuellen Bildung abhängig. Es iſt daher ein zwar weſentliches, aber kein ſtändiſches Element der Ge- ſellſchaft; er iſt der ſtandesloſe und daher der freie Beruf. Das be- darf wohl keiner Darſtellung. Die wahre Schwierigkeit für die organiſche Auffaſſung des Berufes iſt dagegen der wirthſchaftliche Beruf. Der wirthſchaftliche Beruf hat zu ſeinem Zwecke zunächſt eine für das Individuum berechnete Funktion, den Erwerb; zu ſeiner Grundlage den individuellen Beſitz, das Kapital; zu ſeiner bewegenden Kraft die individuelle Fähigkeit und Thätigkeit, die Arbeit. Der wirthſchaftliche Beruf erſcheint daher ſtets als ein individueller. Er entſteht daher ohne Zuthun des Ganzen; der Einzelne iſt ſeine Quelle, ſein Maß, ſein Ziel; das ſpecifiſche Ele- ment des öffentlichen Berufes ſcheint ihm ſeinem Weſen nach zu fehlen; und das iſt von entſcheidender Bedeutung, weil ohne dieß Moment von einer Berufsbildung nicht die Rede ſein kann. Daher denn kommt es auch, daß Jahrtauſende hindurch der Be- griff des Berufes auf das wirthſchaftliche Leben keine Anwendung findet. Der Charakter des wirthſchaftlichen Lebens iſt der des Standes und damit der öffentlichen Rechtloſigkeit. Erſt die germaniſche Welt gelangt zum Begriffe des wirthſchaftlichen Berufes; aber weder ſchnell noch in einfacher Weiſe. Es iſt gut, ſich den Proceß zu vergegenwärtigen, durch den dieß geſchieht, denn wie es in der Natur der Sache liegt, iſt dieſer Proceß die Grundlage der Geſchichte der wirthſchaftlichen Berufsbildung. Während nämlich bei dem geiſtigen Berufe aus dem Berufe ſelbſt der Stand geworden iſt, iſt umgekehrt in Beziehung auf das öffentliche Recht hin aus dem Stande der Beruf geworden. Wir haben daher zwei Epochen zu unterſcheiden. Die erſte umfaßt die ganze Geſchichte der Städtebildung und ihres Rechts; denn dieſelbe iſt nichts als die erſte Form, in welcher das wirthſchaftliche Leben ſeine Individualiſirung verläßt, ſich zur Gemeinſchaft aller ſeiner Mitglieder erhebt, und ſich auf Grundlage des eigenen Grundbeſitzes ſelbſt als öffentlich-rechtlich anerkannter Stand, der Bürgerſtand hinſtellt. Es iſt nicht unſere Sache, die Geſchichte deſſelben zu ſchreiben. Aber das Element, das er vertritt, gewinnt mit dem vorigen Jahrhundert eine andere Geſtalt und Stellung und die iſt es, welche den Inhalt der zweiten Epoche bildet.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/182>, abgerufen am 24.11.2024.