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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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mußte daher ein Organ für die Vertheilung einsetzen und bestimmte
Bedingungen für die einzelnen Schulen vorschreiben. Das erstere war
das obenerwähnte Committee mit seinen Schulinspektoren; das zweite
ist dann durch die Bestimmungen durchgeführt, welche im System ge-
nauer anzugeben sind. Es ist nur festzuhalten, daß das Committee
for Education
nicht etwa als eine Art Unterrichtsministerium angesehen
werden darf; es hat weder mit dem Privatunterricht, noch mit dem
Berufsbildungswesen irgend etwas zu thun. England bildet daher
schon mit seinem Volksunterricht einen wesentlichen Gegensatz zu
Deutschland. Eine Vergleichung im eigentlichen Sinne des Wortes ist
hier fast nur denkbar von dem höchsten socialen Standpunkt. Es ist
indeß nicht zu verkennen, daß die internationalen Begriffe und For-
derungen hier wie überhaupt in der Verwaltung allmählig zur Geltung
kommen. Den Ausdruck hiefür bietet für das Volksschulwesen das
Auftreten des Princips der allgemeinen Schulpflicht unter dem
Namen des "compulsory system," das freilich nur noch eine kleine,
aber energische Partei für sich hat, jedoch täglich mehr Boden gewinnt;
namentlich auf Grundlage des sich immer mehr entwickelnden öffent-
lichen Lehrerbildungswesens (pupil-teachers), die freilich vor der Hand
nur noch für die Armen- und Hülfsschulen bestimmt sind. Englands
Volksschulwesen muß daher nicht wie das deutsche und französische, als
ein im Wesentlichen festgeschlossenes System, sondern als ein mitten
in der Bildung auch seiner Grundprincipien begriffener Proceß be-
trachtet werden, in welchem nicht so sehr die Zustände, als eben diese
sich bildenden Principien das wahre Objekt einerseits der Beobachtung,
anderseits der Vergleichung abgeben.


Die Literatur über das englische Volksschulwesen und seine frühere
Geschichte bei Buckle, Geschichte der Civilisation I. S. 202. (Warum
hat Ruge in seiner Uebersetzung die deutsche nicht nachgetragen?)
Ueber die Commission für Education s. Gneist I. S. 326. Ueber die
District schools (Armenhäuser) das. II. S. 107. Spezielle Literatur:
Wiese, Briefe über englische Erziehung 1852, speziell gut für die
Bezeichnung des Charakters derselben; J. A. Vogt, Mittheilungen
über das Unterrichtswesen Englands und Schottlands 1857, namentlich
für das schottische Volksschulwesen wichtig; A. Tylor, Industrie und
Schule 1865, von B. v. Gugler. Der Anhang des letztern ist viel
mehr werth als das Buch selbst und gibt namentlich über die Volks-
schule
eine sehr gute Darstellung S. 228--240; E. Wagner, das
Volksschulwesen Englands und seine neueste Entwicklung 1865; besonders

mußte daher ein Organ für die Vertheilung einſetzen und beſtimmte
Bedingungen für die einzelnen Schulen vorſchreiben. Das erſtere war
das obenerwähnte Committee mit ſeinen Schulinſpektoren; das zweite
iſt dann durch die Beſtimmungen durchgeführt, welche im Syſtem ge-
nauer anzugeben ſind. Es iſt nur feſtzuhalten, daß das Committee
for Education
nicht etwa als eine Art Unterrichtsminiſterium angeſehen
werden darf; es hat weder mit dem Privatunterricht, noch mit dem
Berufsbildungsweſen irgend etwas zu thun. England bildet daher
ſchon mit ſeinem Volksunterricht einen weſentlichen Gegenſatz zu
Deutſchland. Eine Vergleichung im eigentlichen Sinne des Wortes iſt
hier faſt nur denkbar von dem höchſten ſocialen Standpunkt. Es iſt
indeß nicht zu verkennen, daß die internationalen Begriffe und For-
derungen hier wie überhaupt in der Verwaltung allmählig zur Geltung
kommen. Den Ausdruck hiefür bietet für das Volksſchulweſen das
Auftreten des Princips der allgemeinen Schulpflicht unter dem
Namen des „compulsory system,“ das freilich nur noch eine kleine,
aber energiſche Partei für ſich hat, jedoch täglich mehr Boden gewinnt;
namentlich auf Grundlage des ſich immer mehr entwickelnden öffent-
lichen Lehrerbildungsweſens (pupil-teachers), die freilich vor der Hand
nur noch für die Armen- und Hülfsſchulen beſtimmt ſind. Englands
Volksſchulweſen muß daher nicht wie das deutſche und franzöſiſche, als
ein im Weſentlichen feſtgeſchloſſenes Syſtem, ſondern als ein mitten
in der Bildung auch ſeiner Grundprincipien begriffener Proceß be-
trachtet werden, in welchem nicht ſo ſehr die Zuſtände, als eben dieſe
ſich bildenden Principien das wahre Objekt einerſeits der Beobachtung,
anderſeits der Vergleichung abgeben.


Die Literatur über das engliſche Volksſchulweſen und ſeine frühere
Geſchichte bei Buckle, Geſchichte der Civiliſation I. S. 202. (Warum
hat Ruge in ſeiner Ueberſetzung die deutſche nicht nachgetragen?)
Ueber die Commiſſion für Education ſ. Gneiſt I. S. 326. Ueber die
District schools (Armenhäuſer) daſ. II. S. 107. Spezielle Literatur:
Wieſe, Briefe über engliſche Erziehung 1852, ſpeziell gut für die
Bezeichnung des Charakters derſelben; J. A. Vogt, Mittheilungen
über das Unterrichtsweſen Englands und Schottlands 1857, namentlich
für das ſchottiſche Volksſchulweſen wichtig; A. Tylor, Induſtrie und
Schule 1865, von B. v. Gugler. Der Anhang des letztern iſt viel
mehr werth als das Buch ſelbſt und gibt namentlich über die Volks-
ſchule
eine ſehr gute Darſtellung S. 228—240; E. Wagner, das
Volksſchulweſen Englands und ſeine neueſte Entwicklung 1865; beſonders

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/127>, abgerufen am 27.04.2024.