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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Unverletzlichkeit des Hauses zuerst anerkannt; die Unmöglichkeit jedoch,
die Polizei ganz auszuschließen, ließ die Beschränkung auf die gerichtliche
Haussuchung nicht zu, und die Unmöglichkeit der Privatklage gegen die
Beamteten machte damit jenes Princip faktisch illusorisch. Aus dem
Zusammenwirken dieser Elemente ist nun ein vollkommenes System
des Hausrechts entstanden, das sich erst allmälig gebildet hat. Das
Gesetz vom 19.--22. Juli 1791 stellt zuerst den Grundsatz auf, daß
kein officier municipal in das Haus eindringen könne als in gewissen
einzelnen Fällen, bei drohender Gefahr und mit richterlichem Befehl.
Diese Grundsätze wurden nun in die Constitution vom Jahr VIII 1799
als Grundrecht im Wesentlichen aufgenommen, und sind die Grundlagen
des ganzen continentalen Hausrechts geworden. Alle späteren Gesetze
sind zum Theil nur Ausführungen dieser einfachen Principien, zum
Theil sogar nur Uebersetzungen. Die Constitution von 1799 sagt T. VII.
§. 76. La maison de toute personne habitant le territoire francais
est un asile inviolable. Pendant la nuit, nul n'a le droit d'y entrer
que dans le cas d'incendie, d'inondation, ou de reclamation faite
de l'interieur de la maison. Pendant le jour on peut y entrer pour
un objet special determine, ou par une loi, ou par ordre emane
d'une autorite publique.
Unter dem objet special wurden die Fälle
des Gesetzes von 1791 verstanden (Volkszählung und Steuererhebung)
unter der autorite publique zugleich Gericht und Polizei. Damit war
der französischen administrativen Jurisprudenz ein weites Gebiet eröffnet
und eine genauere Gesetzgebung nothwendig gemacht. Zuerst trat hier
das Code penal entscheidend auf, indem es im Art. 184 jede Behörde
mit Strafe belegte, welche gegen den Willen des Einzelnen und ohne
die Beobachtung der gesetzlichen Formen eine Wohnung betrat.
Die Instruction der Gendarmerie vom 29. Oct. 1824 schrieb dann vor,
daß auch sie des Nachts sich auf die Cernirung der Wohnung zu be-
schränken habe. Bei der Feld- und Forstwache ist bestimmt, daß dieselben
selbst in Verfolgung handhafter That nur in Gegenwart des Juge de
paix
oder des Maire in ein Haus eindringen können. Doch hat der
Staatsanwalt das Recht, in der Wohnung eines "prevenu" ein-
zudringen, um Beweismittel des Verbrechens zu constatiren (Code d'Instr.
Crim. Art.
36). Das Recht des Eindringens bei der Nacht bleibt auf
die ursprünglichen Fälle des Gesetzes von 1791 und der Constitution
von 1799 beschränkt; dabei wird angenommen, daß er auch das Recht
der Delegation an ein anderes Organ habe. So steht hier ein sehr
gut ausgearbeitetes System sowohl des gerichtlichen als des rein poli-
zeilichen Hausrechts fest, das mit Recht zum Muster für die Nachbar-
staaten wurde. (Vgl. Batbie, Traite de droit publ. et admin. T. II.

Unverletzlichkeit des Hauſes zuerſt anerkannt; die Unmöglichkeit jedoch,
die Polizei ganz auszuſchließen, ließ die Beſchränkung auf die gerichtliche
Hausſuchung nicht zu, und die Unmöglichkeit der Privatklage gegen die
Beamteten machte damit jenes Princip faktiſch illuſoriſch. Aus dem
Zuſammenwirken dieſer Elemente iſt nun ein vollkommenes Syſtem
des Hausrechts entſtanden, das ſich erſt allmälig gebildet hat. Das
Geſetz vom 19.—22. Juli 1791 ſtellt zuerſt den Grundſatz auf, daß
kein officier municipal in das Haus eindringen könne als in gewiſſen
einzelnen Fällen, bei drohender Gefahr und mit richterlichem Befehl.
Dieſe Grundſätze wurden nun in die Conſtitution vom Jahr VIII 1799
als Grundrecht im Weſentlichen aufgenommen, und ſind die Grundlagen
des ganzen continentalen Hausrechts geworden. Alle ſpäteren Geſetze
ſind zum Theil nur Ausführungen dieſer einfachen Principien, zum
Theil ſogar nur Ueberſetzungen. Die Conſtitution von 1799 ſagt T. VII.
§. 76. La maison de toute personne habitant le territoire français
est un asile inviolable. Pendant la nuit, nul n’a le droit d’y entrer
que dans le cas d’incendie, d’inondation, ou de réclamation faite
de l’intérieur de la maison. Pendant le jour on peut y entrer pour
un objet special déterminé, ou par une loi, ou par ordre émané
d’une autorité publique.
Unter dem objet special wurden die Fälle
des Geſetzes von 1791 verſtanden (Volkszählung und Steuererhebung)
unter der autorité publique zugleich Gericht und Polizei. Damit war
der franzöſiſchen adminiſtrativen Jurisprudenz ein weites Gebiet eröffnet
und eine genauere Geſetzgebung nothwendig gemacht. Zuerſt trat hier
das Code pénal entſcheidend auf, indem es im Art. 184 jede Behörde
mit Strafe belegte, welche gegen den Willen des Einzelnen und ohne
die Beobachtung der geſetzlichen Formen eine Wohnung betrat.
Die Inſtruction der Gendarmerie vom 29. Oct. 1824 ſchrieb dann vor,
daß auch ſie des Nachts ſich auf die Cernirung der Wohnung zu be-
ſchränken habe. Bei der Feld- und Forſtwache iſt beſtimmt, daß dieſelben
ſelbſt in Verfolgung handhafter That nur in Gegenwart des Juge de
paix
oder des Maire in ein Haus eindringen können. Doch hat der
Staatsanwalt das Recht, in der Wohnung eines „prévenu“ ein-
zudringen, um Beweismittel des Verbrechens zu conſtatiren (Code d’Instr.
Crim. Art.
36). Das Recht des Eindringens bei der Nacht bleibt auf
die urſprünglichen Fälle des Geſetzes von 1791 und der Conſtitution
von 1799 beſchränkt; dabei wird angenommen, daß er auch das Recht
der Delegation an ein anderes Organ habe. So ſteht hier ein ſehr
gut ausgearbeitetes Syſtem ſowohl des gerichtlichen als des rein poli-
zeilichen Hausrechts feſt, das mit Recht zum Muſter für die Nachbar-
ſtaaten wurde. (Vgl. Batbie, Traité de droit publ. et admin. T. II.

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[154/0176] Unverletzlichkeit des Hauſes zuerſt anerkannt; die Unmöglichkeit jedoch, die Polizei ganz auszuſchließen, ließ die Beſchränkung auf die gerichtliche Hausſuchung nicht zu, und die Unmöglichkeit der Privatklage gegen die Beamteten machte damit jenes Princip faktiſch illuſoriſch. Aus dem Zuſammenwirken dieſer Elemente iſt nun ein vollkommenes Syſtem des Hausrechts entſtanden, das ſich erſt allmälig gebildet hat. Das Geſetz vom 19.—22. Juli 1791 ſtellt zuerſt den Grundſatz auf, daß kein officier municipal in das Haus eindringen könne als in gewiſſen einzelnen Fällen, bei drohender Gefahr und mit richterlichem Befehl. Dieſe Grundſätze wurden nun in die Conſtitution vom Jahr VIII 1799 als Grundrecht im Weſentlichen aufgenommen, und ſind die Grundlagen des ganzen continentalen Hausrechts geworden. Alle ſpäteren Geſetze ſind zum Theil nur Ausführungen dieſer einfachen Principien, zum Theil ſogar nur Ueberſetzungen. Die Conſtitution von 1799 ſagt T. VII. §. 76. La maison de toute personne habitant le territoire français est un asile inviolable. Pendant la nuit, nul n’a le droit d’y entrer que dans le cas d’incendie, d’inondation, ou de réclamation faite de l’intérieur de la maison. Pendant le jour on peut y entrer pour un objet special déterminé, ou par une loi, ou par ordre émané d’une autorité publique. Unter dem objet special wurden die Fälle des Geſetzes von 1791 verſtanden (Volkszählung und Steuererhebung) unter der autorité publique zugleich Gericht und Polizei. Damit war der franzöſiſchen adminiſtrativen Jurisprudenz ein weites Gebiet eröffnet und eine genauere Geſetzgebung nothwendig gemacht. Zuerſt trat hier das Code pénal entſcheidend auf, indem es im Art. 184 jede Behörde mit Strafe belegte, welche gegen den Willen des Einzelnen und ohne die Beobachtung der geſetzlichen Formen eine Wohnung betrat. Die Inſtruction der Gendarmerie vom 29. Oct. 1824 ſchrieb dann vor, daß auch ſie des Nachts ſich auf die Cernirung der Wohnung zu be- ſchränken habe. Bei der Feld- und Forſtwache iſt beſtimmt, daß dieſelben ſelbſt in Verfolgung handhafter That nur in Gegenwart des Juge de paix oder des Maire in ein Haus eindringen können. Doch hat der Staatsanwalt das Recht, in der Wohnung eines „prévenu“ ein- zudringen, um Beweismittel des Verbrechens zu conſtatiren (Code d’Instr. Crim. Art. 36). Das Recht des Eindringens bei der Nacht bleibt auf die urſprünglichen Fälle des Geſetzes von 1791 und der Conſtitution von 1799 beſchränkt; dabei wird angenommen, daß er auch das Recht der Delegation an ein anderes Organ habe. So ſteht hier ein ſehr gut ausgearbeitetes Syſtem ſowohl des gerichtlichen als des rein poli- zeilichen Hausrechts feſt, das mit Recht zum Muſter für die Nachbar- ſtaaten wurde. (Vgl. Batbie, Traité de droit publ. et admin. T. II.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/176>, abgerufen am 01.05.2024.