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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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gegen die verweigerte Erlaubniß gehalten, so haften die Leiter als in-
tellektuelle Urheber für das Vergehen der Theilnehmer, außer der
Ordnungsstrafe.

Viertens ist es kein Zweifel, daß der Sicherheitspolizei in jedem
Augenblick das Recht zustehen muß, die Versammlung, nöthigenfalls
mit militärischer Assistenz, aufzulösen.


Die historische Entwicklung des Rechts der öffentlichen Versamm-
lungen ist dadurch so unklar, daß man sie von den Vereinen nicht ge-
hörig geschieden hat. Die frühere Zeit hat sie in Literatur und selbst
in Gesetzgebung beständig verschmolzen. (Siehe Zachariä, deutsches
Staats- und Bundesrecht I. 90; namentlich noch das allgemeine Land-
recht II. 6, 1--10. Rönne, preuß. Staatsrecht I. §. 100.) Mohl
hat das Verdienst, sie zuerst geschieden zu haben; doch ist er in seiner
Behandlung der Frage in hohem Grade unklar durch seine Aengstlichkeit
(Präventiv-Justiz, §. 10). Das allgemeine Strafrecht hat nichts
darin geleistet. (Man vergleiche z. B. Bluntschli II. 12. 8, 9.)

Die Gesetzgebung ist aber auch in neuerer Zeit nicht zur rechten
Scheidung gekommen, bis mit dem Jahre 1848 die Frage unabweisbar
war. In England entstand sie schon 1769; als die Bewegung der
französischen Revolution sich dort fühlbar machte, wurden die Versamm-
lungen unter freiem Himmel zuerst geradezu verboten, 36 Georg III. 8
(1795) -- dann gegen Anzeige mit Angabe des Zweckes gestattet,
37 Georg III. 79. (Siehe Buckle, History of Civilisation I. 422.) --
In Frankreich geht das Recht der öffentlichen Versammlungen gleichen
Schritt mit dem Vereinsrecht, weil eben die ersteren regelmäßig Vereins-
versammlungen waren. Die Declar. des droits enthält noch keine Be-
stimmung; erst die Constitution von 1791 stellt den technisch gewordenen
Grundsatz auf: die Constitution garantirt la liberte aux citoyens de
s'assembler paisiblement et sans armes,
jedoch en satisfaisant aux
lois de police.
Ueber diese Unbestimmtheit kommt auch die spätere
Zeit nicht hinaus; doch ist es nicht zu übersehen, daß während das Ver-
einsrecht beständig anerkannt wird, das Versammlungsrecht sich nur in
der Constitution von 1848 (Art. 8) findet; namentlich die Charte läßt
es gänzlich aus. An die Stelle dieses Princips tritt der Grundsatz,
daß die "Reunions" aller Art von der Autorite municipale erlaubt
sein müssen, ohne Rücksicht auf ihren Zweck, und daß diese das Recht
hat, sie jeden Augenblick für Attroupements zu erklären und dadurch
strafbar zu machen. -- In Deutschland traf die polizeiliche Beschränkung
der Vereine natürlich die Versammlungen in noch höherem Grade. Der

gegen die verweigerte Erlaubniß gehalten, ſo haften die Leiter als in-
tellektuelle Urheber für das Vergehen der Theilnehmer, außer der
Ordnungsſtrafe.

Viertens iſt es kein Zweifel, daß der Sicherheitspolizei in jedem
Augenblick das Recht zuſtehen muß, die Verſammlung, nöthigenfalls
mit militäriſcher Aſſiſtenz, aufzulöſen.


Die hiſtoriſche Entwicklung des Rechts der öffentlichen Verſamm-
lungen iſt dadurch ſo unklar, daß man ſie von den Vereinen nicht ge-
hörig geſchieden hat. Die frühere Zeit hat ſie in Literatur und ſelbſt
in Geſetzgebung beſtändig verſchmolzen. (Siehe Zachariä, deutſches
Staats- und Bundesrecht I. 90; namentlich noch das allgemeine Land-
recht II. 6, 1—10. Rönne, preuß. Staatsrecht I. §. 100.) Mohl
hat das Verdienſt, ſie zuerſt geſchieden zu haben; doch iſt er in ſeiner
Behandlung der Frage in hohem Grade unklar durch ſeine Aengſtlichkeit
(Präventiv-Juſtiz, §. 10). Das allgemeine Strafrecht hat nichts
darin geleiſtet. (Man vergleiche z. B. Bluntſchli II. 12. 8, 9.)

Die Geſetzgebung iſt aber auch in neuerer Zeit nicht zur rechten
Scheidung gekommen, bis mit dem Jahre 1848 die Frage unabweisbar
war. In England entſtand ſie ſchon 1769; als die Bewegung der
franzöſiſchen Revolution ſich dort fühlbar machte, wurden die Verſamm-
lungen unter freiem Himmel zuerſt geradezu verboten, 36 Georg III. 8
(1795) — dann gegen Anzeige mit Angabe des Zweckes geſtattet,
37 Georg III. 79. (Siehe Buckle, History of Civilisation I. 422.) —
In Frankreich geht das Recht der öffentlichen Verſammlungen gleichen
Schritt mit dem Vereinsrecht, weil eben die erſteren regelmäßig Vereins-
verſammlungen waren. Die Déclar. des droits enthält noch keine Be-
ſtimmung; erſt die Conſtitution von 1791 ſtellt den techniſch gewordenen
Grundſatz auf: die Conſtitution garantirt la liberté aux citoyens de
s’assembler paisiblement et sans armes,
jedoch en satisfaisant aux
lois de police.
Ueber dieſe Unbeſtimmtheit kommt auch die ſpätere
Zeit nicht hinaus; doch iſt es nicht zu überſehen, daß während das Ver-
einsrecht beſtändig anerkannt wird, das Verſammlungsrecht ſich nur in
der Conſtitution von 1848 (Art. 8) findet; namentlich die Charte läßt
es gänzlich aus. An die Stelle dieſes Princips tritt der Grundſatz,
daß die „Réunions“ aller Art von der Autorité municipale erlaubt
ſein müſſen, ohne Rückſicht auf ihren Zweck, und daß dieſe das Recht
hat, ſie jeden Augenblick für Attroupements zu erklären und dadurch
ſtrafbar zu machen. — In Deutſchland traf die polizeiliche Beſchränkung
der Vereine natürlich die Verſammlungen in noch höherem Grade. Der

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[117/0139] gegen die verweigerte Erlaubniß gehalten, ſo haften die Leiter als in- tellektuelle Urheber für das Vergehen der Theilnehmer, außer der Ordnungsſtrafe. Viertens iſt es kein Zweifel, daß der Sicherheitspolizei in jedem Augenblick das Recht zuſtehen muß, die Verſammlung, nöthigenfalls mit militäriſcher Aſſiſtenz, aufzulöſen. Die hiſtoriſche Entwicklung des Rechts der öffentlichen Verſamm- lungen iſt dadurch ſo unklar, daß man ſie von den Vereinen nicht ge- hörig geſchieden hat. Die frühere Zeit hat ſie in Literatur und ſelbſt in Geſetzgebung beſtändig verſchmolzen. (Siehe Zachariä, deutſches Staats- und Bundesrecht I. 90; namentlich noch das allgemeine Land- recht II. 6, 1—10. Rönne, preuß. Staatsrecht I. §. 100.) Mohl hat das Verdienſt, ſie zuerſt geſchieden zu haben; doch iſt er in ſeiner Behandlung der Frage in hohem Grade unklar durch ſeine Aengſtlichkeit (Präventiv-Juſtiz, §. 10). Das allgemeine Strafrecht hat nichts darin geleiſtet. (Man vergleiche z. B. Bluntſchli II. 12. 8, 9.) Die Geſetzgebung iſt aber auch in neuerer Zeit nicht zur rechten Scheidung gekommen, bis mit dem Jahre 1848 die Frage unabweisbar war. In England entſtand ſie ſchon 1769; als die Bewegung der franzöſiſchen Revolution ſich dort fühlbar machte, wurden die Verſamm- lungen unter freiem Himmel zuerſt geradezu verboten, 36 Georg III. 8 (1795) — dann gegen Anzeige mit Angabe des Zweckes geſtattet, 37 Georg III. 79. (Siehe Buckle, History of Civilisation I. 422.) — In Frankreich geht das Recht der öffentlichen Verſammlungen gleichen Schritt mit dem Vereinsrecht, weil eben die erſteren regelmäßig Vereins- verſammlungen waren. Die Déclar. des droits enthält noch keine Be- ſtimmung; erſt die Conſtitution von 1791 ſtellt den techniſch gewordenen Grundſatz auf: die Conſtitution garantirt la liberté aux citoyens de s’assembler paisiblement et sans armes, jedoch en satisfaisant aux lois de police. Ueber dieſe Unbeſtimmtheit kommt auch die ſpätere Zeit nicht hinaus; doch iſt es nicht zu überſehen, daß während das Ver- einsrecht beſtändig anerkannt wird, das Verſammlungsrecht ſich nur in der Conſtitution von 1848 (Art. 8) findet; namentlich die Charte läßt es gänzlich aus. An die Stelle dieſes Princips tritt der Grundſatz, daß die „Réunions“ aller Art von der Autorité municipale erlaubt ſein müſſen, ohne Rückſicht auf ihren Zweck, und daß dieſe das Recht hat, ſie jeden Augenblick für Attroupements zu erklären und dadurch ſtrafbar zu machen. — In Deutſchland traf die polizeiliche Beſchränkung der Vereine natürlich die Verſammlungen in noch höherem Grade. Der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/139>, abgerufen am 05.05.2024.