Theil derselben. Auf dieser Grundlage ist sie nicht schwer zu übersehen. Sie beginnt mit der französischen Revolution, und läßt uns einen tiefen Blick in das Wesen derselben, sowie in die Gesammtzustände der europäischen Völker thun, deren Recht durch die Folgen jener ge- waltigen Bewegung so tiefe Umwälzungen erfahren hat.
Die Geschichte der französischen Revolution mit all ihren wunder- baren Wechselgestaltungen wäre gewiß unverständlich, und unverständ- lich bliebe mit ihr das neue Recht der Sicherheitspolizei in Europa, wenn jene einen einfachen Inhalt gehabt hätte. Allein in ihr waren vielmehr drei große Elemente der Geschichte thätig, und die Wechsel- wirkung dieser Elemente hat das wechselnde Recht der Revolution selbst er- zeugt und ihre Hauptepochen definirt. Das erste dieser Elemente war die vollständige Besiegung der ständischen Gesellschaftsordnung und ihres Rechts. Das zweite war der Gegensatz des freien Staatsbürgerthums gegen die selbstthätige und selbständige, persönliche Staatsidee und ihre öffentlich rechtliche Stellung. Das dritte war das, auf dem Gegensatz der Classen beruhende große sociale Element. Wir haben diese Elemente bereits in unserer Geschichte der socialen Bewegung Frankreichs ent- wickelt. Wir bedürfen ihrer hier nur, um das Wesen und die Stel- lung der Sicherheitspolizei in der neuen Rechtsordnung zu charakterisiren.
So wie die staatsbürgerliche Gesellschaft zur Herrschaft gelangt, bildet sie sich ihr eigenthümliches Recht, das wir unter dem Namen des "constitutionellen Staatsrechts" begreifen. Dabei ist sie von dem Bewußtsein durchdrungen, daß sie selbst keine abgeschlossene und fertige ist, und daß daher eine starre, für alle Zeit gültige Constitution ihr nicht entspricht. Sie fürchtet aber in diesem Werden, dem von ihr grundsätzlich anerkannten Recht auf Neugestaltung der Verfassung, zwei Dinge zugleich. Einerseits fürchtet sie die persönliche Staatsgewalt, andererscits den socialen Kampf. Sie erkennt fast instinktiv, daß die erstere den Fortschritt hemmen wird, und daß der zweite ihn überstürzen muß. Sie kann die Reform nicht entbehren um der ersteren willen, um so weniger, als sich die letzten Elemente der ständischen Ordnung auf das Engste mit ihr verbinden; sie kann sie nicht unbeschränkt zulassen um des zweiten willen, weil dann das Ende der Waffen- kampf ist. So muß sie ein doppeltes System des öffentlichen Rechts zulassen und ausbilden. Sie muß die nothwendigen Bedingungen der Reformbewegung als über dem Willen der Regierung erhaben feststellen, und das kann nur dadurch geschehen, daß sie dieselben unmittelbar in die Verfassungsurkunde aufnimmt, als einen Theil des Grund- gesetzes. Sie muß zugleich aber der Regierung selbst die rechtliche Ge- walt geben, gegen gewaltsame Störungen der bestehenden Constitution
Theil derſelben. Auf dieſer Grundlage iſt ſie nicht ſchwer zu überſehen. Sie beginnt mit der franzöſiſchen Revolution, und läßt uns einen tiefen Blick in das Weſen derſelben, ſowie in die Geſammtzuſtände der europäiſchen Völker thun, deren Recht durch die Folgen jener ge- waltigen Bewegung ſo tiefe Umwälzungen erfahren hat.
Die Geſchichte der franzöſiſchen Revolution mit all ihren wunder- baren Wechſelgeſtaltungen wäre gewiß unverſtändlich, und unverſtänd- lich bliebe mit ihr das neue Recht der Sicherheitspolizei in Europa, wenn jene einen einfachen Inhalt gehabt hätte. Allein in ihr waren vielmehr drei große Elemente der Geſchichte thätig, und die Wechſel- wirkung dieſer Elemente hat das wechſelnde Recht der Revolution ſelbſt er- zeugt und ihre Hauptepochen definirt. Das erſte dieſer Elemente war die vollſtändige Beſiegung der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung und ihres Rechts. Das zweite war der Gegenſatz des freien Staatsbürgerthums gegen die ſelbſtthätige und ſelbſtändige, perſönliche Staatsidee und ihre öffentlich rechtliche Stellung. Das dritte war das, auf dem Gegenſatz der Claſſen beruhende große ſociale Element. Wir haben dieſe Elemente bereits in unſerer Geſchichte der ſocialen Bewegung Frankreichs ent- wickelt. Wir bedürfen ihrer hier nur, um das Weſen und die Stel- lung der Sicherheitspolizei in der neuen Rechtsordnung zu charakteriſiren.
So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zur Herrſchaft gelangt, bildet ſie ſich ihr eigenthümliches Recht, das wir unter dem Namen des „conſtitutionellen Staatsrechts“ begreifen. Dabei iſt ſie von dem Bewußtſein durchdrungen, daß ſie ſelbſt keine abgeſchloſſene und fertige iſt, und daß daher eine ſtarre, für alle Zeit gültige Conſtitution ihr nicht entſpricht. Sie fürchtet aber in dieſem Werden, dem von ihr grundſätzlich anerkannten Recht auf Neugeſtaltung der Verfaſſung, zwei Dinge zugleich. Einerſeits fürchtet ſie die perſönliche Staatsgewalt, andererſcits den ſocialen Kampf. Sie erkennt faſt inſtinktiv, daß die erſtere den Fortſchritt hemmen wird, und daß der zweite ihn überſtürzen muß. Sie kann die Reform nicht entbehren um der erſteren willen, um ſo weniger, als ſich die letzten Elemente der ſtändiſchen Ordnung auf das Engſte mit ihr verbinden; ſie kann ſie nicht unbeſchränkt zulaſſen um des zweiten willen, weil dann das Ende der Waffen- kampf iſt. So muß ſie ein doppeltes Syſtem des öffentlichen Rechts zulaſſen und ausbilden. Sie muß die nothwendigen Bedingungen der Reformbewegung als über dem Willen der Regierung erhaben feſtſtellen, und das kann nur dadurch geſchehen, daß ſie dieſelben unmittelbar in die Verfaſſungsurkunde aufnimmt, als einen Theil des Grund- geſetzes. Sie muß zugleich aber der Regierung ſelbſt die rechtliche Ge- walt geben, gegen gewaltſame Störungen der beſtehenden Conſtitution
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Theil derſelben. Auf dieſer Grundlage iſt ſie nicht ſchwer zu überſehen.
Sie beginnt mit der franzöſiſchen Revolution, und läßt uns einen
tiefen Blick in das Weſen derſelben, ſowie in die Geſammtzuſtände
der europäiſchen Völker thun, deren Recht durch die Folgen jener ge-
waltigen Bewegung ſo tiefe Umwälzungen erfahren hat.
Die Geſchichte der franzöſiſchen Revolution mit all ihren wunder-
baren Wechſelgeſtaltungen wäre gewiß unverſtändlich, und unverſtänd-
lich bliebe mit ihr das neue Recht der Sicherheitspolizei in Europa,
wenn jene einen einfachen Inhalt gehabt hätte. Allein in ihr waren
vielmehr drei große Elemente der Geſchichte thätig, und die Wechſel-
wirkung dieſer Elemente hat das wechſelnde Recht der Revolution ſelbſt er-
zeugt und ihre Hauptepochen definirt. Das erſte dieſer Elemente war die
vollſtändige Beſiegung der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung und ihres
Rechts. Das zweite war der Gegenſatz des freien Staatsbürgerthums
gegen die ſelbſtthätige und ſelbſtändige, perſönliche Staatsidee und ihre
öffentlich rechtliche Stellung. Das dritte war das, auf dem Gegenſatz
der Claſſen beruhende große ſociale Element. Wir haben dieſe Elemente
bereits in unſerer Geſchichte der ſocialen Bewegung Frankreichs ent-
wickelt. Wir bedürfen ihrer hier nur, um das Weſen und die Stel-
lung der Sicherheitspolizei in der neuen Rechtsordnung zu charakteriſiren.
So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zur Herrſchaft gelangt,
bildet ſie ſich ihr eigenthümliches Recht, das wir unter dem Namen
des „conſtitutionellen Staatsrechts“ begreifen. Dabei iſt ſie von dem
Bewußtſein durchdrungen, daß ſie ſelbſt keine abgeſchloſſene und fertige
iſt, und daß daher eine ſtarre, für alle Zeit gültige Conſtitution ihr
nicht entſpricht. Sie fürchtet aber in dieſem Werden, dem von ihr
grundſätzlich anerkannten Recht auf Neugeſtaltung der Verfaſſung, zwei
Dinge zugleich. Einerſeits fürchtet ſie die perſönliche Staatsgewalt,
andererſcits den ſocialen Kampf. Sie erkennt faſt inſtinktiv, daß die
erſtere den Fortſchritt hemmen wird, und daß der zweite ihn überſtürzen
muß. Sie kann die Reform nicht entbehren um der erſteren willen,
um ſo weniger, als ſich die letzten Elemente der ſtändiſchen Ordnung
auf das Engſte mit ihr verbinden; ſie kann ſie nicht unbeſchränkt
zulaſſen um des zweiten willen, weil dann das Ende der Waffen-
kampf iſt. So muß ſie ein doppeltes Syſtem des öffentlichen Rechts
zulaſſen und ausbilden. Sie muß die nothwendigen Bedingungen der
Reformbewegung als über dem Willen der Regierung erhaben feſtſtellen,
und das kann nur dadurch geſchehen, daß ſie dieſelben unmittelbar in
die Verfaſſungsurkunde aufnimmt, als einen Theil des Grund-
geſetzes. Sie muß zugleich aber der Regierung ſelbſt die rechtliche Ge-
walt geben, gegen gewaltſame Störungen der beſtehenden Conſtitution
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/120>, abgerufen am 27.07.2024.
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