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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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in viel untergeordneterer Beziehung, z. B. bei Badeplätzen, zu schützen,
wo er sich denn doch gewiß selbst schützen soll, so kann wohl die Be-
rechtigung bei diesem Verbot um so weniger im Zweifel sein, da sich
vielleicht der Einzelne, nicht aber die Familie und selbst die Nachkom-
men gegen die sehr ernsten Folgen eines Fehltrittes, dessen Unheil mit
seinen Gefahren in gar keinem Verhältniß steht, schützen können. Die
Form der Oberaufsicht kann natürlich nur eine Untersuchung der be-
treffenden Personen sein; es ist dabei klar, daß die Hauptsache, die
Constatirung der Identität der Betreffenden, nur in Bordellen möglich
ist. Will man die letztere nicht, so muß man sich auf periodische Unter-
suchung öffentlicher Personen und polizeiliche Ueberwachung derselben
beschränken. Ist das der Fall, so ist kein Grund zu einer besonderen
Bestrafung der Ansteckung mehr vorhanden.


Die Frage der Prostitution ist eine sociale und hat als solche mit
der Gesundheitspolizei und ihrem Recht nichts zu thun. Die Literatur
darüber ist eine sehr große; sehr arm dagegen ist die verwaltungsrecht-
liche in Beziehung auf die Syphilis, obgleich es nicht an Gesetzen fehlt.
Das medicinisch-physiologische Wesen der Syphilis gehört nicht hierher;
was das Recht derselben betrifft, so hat Frankreich es trotz mannig-
facher Anregungen und Anforderungen der Heilkundigen zu gar keiner
Verwaltungsmaßregel gebracht. (S. Tardieu, Dict. III. S. 195 bis
215, nebst einer ziemlich ausführlichen Bibliographie.) In England ist
nach manchen Kämpfen die Contagious Diseases Prevention Act 1863
(27, 28 Vict. 85)
speciell gegen die Syphilis in den Hafenstädten zu
Stande gekommen, mit dem Recht der Anzeige der kranken Dirnen und
Bestrafung derselben, sowie ihrer Unterstandgeber! (Austria 1865
S. 341.) Dabei ist es vor der Hand geblieben. Preußen hat nach
manchen Schwankungen und nach Aufhebung der Bordelle (1845) den
Grundsatz der periodischen ärztlichen Untersuchung durchgeführt, deren
Kosten nach Gesetz vom 11. März 1850 die Communen zu tragen haben
(Horn a. a. O. I. 246, 247). In Oesterreich besteht das System
bereits gesetzlich seit dem 29. Mai 1827; doch sind die Untersuchungen
dem polizeilichen Ermessen überlassen und daher hilft das Ganze prak-
tisch gar nichts. (Stubenrauch a. a. O. §. 308.) Aehnlich, aber
mit Strafrecht gegen die Ansteckenden, in Württemberg (Polizei-
strafgesetzbuch von 1839 Art. 49; Roller a. a. O. §. 171). Aus andern
Staaten sind mir keine geltenden Bestimmungen bekannt; doch ist wohl
rechtlich kein Zweifel über die Anwendbarkeit der Strafen und Vor-
schriften bei ansteckenden Krankheiten vorhanden.

in viel untergeordneterer Beziehung, z. B. bei Badeplätzen, zu ſchützen,
wo er ſich denn doch gewiß ſelbſt ſchützen ſoll, ſo kann wohl die Be-
rechtigung bei dieſem Verbot um ſo weniger im Zweifel ſein, da ſich
vielleicht der Einzelne, nicht aber die Familie und ſelbſt die Nachkom-
men gegen die ſehr ernſten Folgen eines Fehltrittes, deſſen Unheil mit
ſeinen Gefahren in gar keinem Verhältniß ſteht, ſchützen können. Die
Form der Oberaufſicht kann natürlich nur eine Unterſuchung der be-
treffenden Perſonen ſein; es iſt dabei klar, daß die Hauptſache, die
Conſtatirung der Identität der Betreffenden, nur in Bordellen möglich
iſt. Will man die letztere nicht, ſo muß man ſich auf periodiſche Unter-
ſuchung öffentlicher Perſonen und polizeiliche Ueberwachung derſelben
beſchränken. Iſt das der Fall, ſo iſt kein Grund zu einer beſonderen
Beſtrafung der Anſteckung mehr vorhanden.


Die Frage der Proſtitution iſt eine ſociale und hat als ſolche mit
der Geſundheitspolizei und ihrem Recht nichts zu thun. Die Literatur
darüber iſt eine ſehr große; ſehr arm dagegen iſt die verwaltungsrecht-
liche in Beziehung auf die Syphilis, obgleich es nicht an Geſetzen fehlt.
Das mediciniſch-phyſiologiſche Weſen der Syphilis gehört nicht hierher;
was das Recht derſelben betrifft, ſo hat Frankreich es trotz mannig-
facher Anregungen und Anforderungen der Heilkundigen zu gar keiner
Verwaltungsmaßregel gebracht. (S. Tardieu, Dict. III. S. 195 bis
215, nebſt einer ziemlich ausführlichen Bibliographie.) In England iſt
nach manchen Kämpfen die Contagious Diseases Prevention Act 1863
(27, 28 Vict. 85)
ſpeciell gegen die Syphilis in den Hafenſtädten zu
Stande gekommen, mit dem Recht der Anzeige der kranken Dirnen und
Beſtrafung derſelben, ſowie ihrer Unterſtandgeber! (Auſtria 1865
S. 341.) Dabei iſt es vor der Hand geblieben. Preußen hat nach
manchen Schwankungen und nach Aufhebung der Bordelle (1845) den
Grundſatz der periodiſchen ärztlichen Unterſuchung durchgeführt, deren
Koſten nach Geſetz vom 11. März 1850 die Communen zu tragen haben
(Horn a. a. O. I. 246, 247). In Oeſterreich beſteht das Syſtem
bereits geſetzlich ſeit dem 29. Mai 1827; doch ſind die Unterſuchungen
dem polizeilichen Ermeſſen überlaſſen und daher hilft das Ganze prak-
tiſch gar nichts. (Stubenrauch a. a. O. §. 308.) Aehnlich, aber
mit Strafrecht gegen die Anſteckenden, in Württemberg (Polizei-
ſtrafgeſetzbuch von 1839 Art. 49; Roller a. a. O. §. 171). Aus andern
Staaten ſind mir keine geltenden Beſtimmungen bekannt; doch iſt wohl
rechtlich kein Zweifel über die Anwendbarkeit der Strafen und Vor-
ſchriften bei anſteckenden Krankheiten vorhanden.

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[79/0095] in viel untergeordneterer Beziehung, z. B. bei Badeplätzen, zu ſchützen, wo er ſich denn doch gewiß ſelbſt ſchützen ſoll, ſo kann wohl die Be- rechtigung bei dieſem Verbot um ſo weniger im Zweifel ſein, da ſich vielleicht der Einzelne, nicht aber die Familie und ſelbſt die Nachkom- men gegen die ſehr ernſten Folgen eines Fehltrittes, deſſen Unheil mit ſeinen Gefahren in gar keinem Verhältniß ſteht, ſchützen können. Die Form der Oberaufſicht kann natürlich nur eine Unterſuchung der be- treffenden Perſonen ſein; es iſt dabei klar, daß die Hauptſache, die Conſtatirung der Identität der Betreffenden, nur in Bordellen möglich iſt. Will man die letztere nicht, ſo muß man ſich auf periodiſche Unter- ſuchung öffentlicher Perſonen und polizeiliche Ueberwachung derſelben beſchränken. Iſt das der Fall, ſo iſt kein Grund zu einer beſonderen Beſtrafung der Anſteckung mehr vorhanden. Die Frage der Proſtitution iſt eine ſociale und hat als ſolche mit der Geſundheitspolizei und ihrem Recht nichts zu thun. Die Literatur darüber iſt eine ſehr große; ſehr arm dagegen iſt die verwaltungsrecht- liche in Beziehung auf die Syphilis, obgleich es nicht an Geſetzen fehlt. Das mediciniſch-phyſiologiſche Weſen der Syphilis gehört nicht hierher; was das Recht derſelben betrifft, ſo hat Frankreich es trotz mannig- facher Anregungen und Anforderungen der Heilkundigen zu gar keiner Verwaltungsmaßregel gebracht. (S. Tardieu, Dict. III. S. 195 bis 215, nebſt einer ziemlich ausführlichen Bibliographie.) In England iſt nach manchen Kämpfen die Contagious Diseases Prevention Act 1863 (27, 28 Vict. 85) ſpeciell gegen die Syphilis in den Hafenſtädten zu Stande gekommen, mit dem Recht der Anzeige der kranken Dirnen und Beſtrafung derſelben, ſowie ihrer Unterſtandgeber! (Auſtria 1865 S. 341.) Dabei iſt es vor der Hand geblieben. Preußen hat nach manchen Schwankungen und nach Aufhebung der Bordelle (1845) den Grundſatz der periodiſchen ärztlichen Unterſuchung durchgeführt, deren Koſten nach Geſetz vom 11. März 1850 die Communen zu tragen haben (Horn a. a. O. I. 246, 247). In Oeſterreich beſteht das Syſtem bereits geſetzlich ſeit dem 29. Mai 1827; doch ſind die Unterſuchungen dem polizeilichen Ermeſſen überlaſſen und daher hilft das Ganze prak- tiſch gar nichts. (Stubenrauch a. a. O. §. 308.) Aehnlich, aber mit Strafrecht gegen die Anſteckenden, in Württemberg (Polizei- ſtrafgeſetzbuch von 1839 Art. 49; Roller a. a. O. §. 171). Aus andern Staaten ſind mir keine geltenden Beſtimmungen bekannt; doch iſt wohl rechtlich kein Zweifel über die Anwendbarkeit der Strafen und Vor- ſchriften bei anſteckenden Krankheiten vorhanden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/95>, abgerufen am 25.11.2024.