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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Sie ist in gewisser Beziehung der wichtigste, aber auch der bedenklichste
Theil der Gesundheitsverwaltung, da sie am tiefsten in die individuelle
Freiheit hineingreift. Darauf beruht auch ihre zwar eng begränzte, aber
immerhin interessante historische Entwicklung, die offenbar erst in unse-
rem Jahrhundert bei einem positiven, wahrhaft förderlichen Standpunkt
angelangt ist.

Sie beginnt nämlich seit dem sechzehnten Jahrhundert mit dem
Versuche, die Untergrabung der Gesundheit durch Unmäßigkeiten aller
Art mittelst polizeilicher Verbote und Strafen zu hindern; Verbote der
Völlerei, der großen Feste, des Trinkens starker Getränke, Kleiderord-
nungen, Verhalten gegen Schwangere, daneben sanitäre Eheverbote u. a.
Alle diese, namentlich in Deutschland stark wuchernden Maßregeln sind
mehr bezeichnend für die Idee der Wohlfahrtspolizei als wichtig für
das praktische Leben, da sie ohne Erfolg bleiben mußten. Erst die
sichere Auffassung des Wesens der Gesundheit, wie sie Frank und An-
dere geben, führte dahin, an die Stelle derselben positive, wahrhaft
fördernde Grundsätze zu stellen. Diese nun haben in zwei Richtungen
eingegriffen. Zuerst haben sie die Idee einer gesundheitlichen Er-
ziehung
ins Leben gerufen, und bereits, wenn auch in geringem
Maße begonnen, die persönliche Gesundheitspolizei auf den Gewerbe-
betrieb auszudehnen, wo aber noch sehr viel zu thun ist. -- Dann
aber haben sie die Erkenntniß gebracht, daß es überhaupt nicht so sehr
Sache der amtlichen, als vielmehr der Selbstverwaltung sein müsse,
hier wahrhaft förderlich einzugreifen; das ist nun richtig, allein es hat
das wieder zur Folge, daß auch dieser Theil der Gesundheitspolizei von
der Dichtigkeit der Bevölkerung abhängig wird, und dieser bis jetzt fast
nur in großen Städten zur Geltung gelangt.

Die gesundheitliche Erziehung erscheint nun hauptsächlich in zwei
Gebieten. Sie fängt an mit der sanitären Ordnung für den Bau, die
Luft-, Licht- und Raumverhältnisse der Schulhäuser, die zum Theil
schon aus dem vorigen Jahrhundert stammen; in unserem Jahrhundert
tritt die sanitäre Arbeitspolizei der Kinder in den Fabriken hinzu,
daneben beginnt das eigentlich pädagogische Princip der leiblichen Er-
ziehung in dem Turnunterricht aufzutreten, dessen große Vortheile
zuerst Frank, Medicinalpolizei III. 3. 3. nachdrücklich und vortrefflich
hervorhob. Gehört ist er genug, befolgt nur wenig. Nur das erstere
kann als ein europäischer Theil des Verwaltungsrechts angesehen wer-
den. Die physische Erziehung durch Turnunterricht gehört dem deut-
schen Leben ausschließlich an, und ist auch hier noch nicht gemeingültig.
Die allgemeinen Grundsätze für die hierin liegenden Forderungen sind
nun so einfach, daß es eigentlich nirgends so sehr darauf ankam, sie

Sie iſt in gewiſſer Beziehung der wichtigſte, aber auch der bedenklichſte
Theil der Geſundheitsverwaltung, da ſie am tiefſten in die individuelle
Freiheit hineingreift. Darauf beruht auch ihre zwar eng begränzte, aber
immerhin intereſſante hiſtoriſche Entwicklung, die offenbar erſt in unſe-
rem Jahrhundert bei einem poſitiven, wahrhaft förderlichen Standpunkt
angelangt iſt.

Sie beginnt nämlich ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert mit dem
Verſuche, die Untergrabung der Geſundheit durch Unmäßigkeiten aller
Art mittelſt polizeilicher Verbote und Strafen zu hindern; Verbote der
Völlerei, der großen Feſte, des Trinkens ſtarker Getränke, Kleiderord-
nungen, Verhalten gegen Schwangere, daneben ſanitäre Eheverbote u. a.
Alle dieſe, namentlich in Deutſchland ſtark wuchernden Maßregeln ſind
mehr bezeichnend für die Idee der Wohlfahrtspolizei als wichtig für
das praktiſche Leben, da ſie ohne Erfolg bleiben mußten. Erſt die
ſichere Auffaſſung des Weſens der Geſundheit, wie ſie Frank und An-
dere geben, führte dahin, an die Stelle derſelben poſitive, wahrhaft
fördernde Grundſätze zu ſtellen. Dieſe nun haben in zwei Richtungen
eingegriffen. Zuerſt haben ſie die Idee einer geſundheitlichen Er-
ziehung
ins Leben gerufen, und bereits, wenn auch in geringem
Maße begonnen, die perſönliche Geſundheitspolizei auf den Gewerbe-
betrieb auszudehnen, wo aber noch ſehr viel zu thun iſt. — Dann
aber haben ſie die Erkenntniß gebracht, daß es überhaupt nicht ſo ſehr
Sache der amtlichen, als vielmehr der Selbſtverwaltung ſein müſſe,
hier wahrhaft förderlich einzugreifen; das iſt nun richtig, allein es hat
das wieder zur Folge, daß auch dieſer Theil der Geſundheitspolizei von
der Dichtigkeit der Bevölkerung abhängig wird, und dieſer bis jetzt faſt
nur in großen Städten zur Geltung gelangt.

Die geſundheitliche Erziehung erſcheint nun hauptſächlich in zwei
Gebieten. Sie fängt an mit der ſanitären Ordnung für den Bau, die
Luft-, Licht- und Raumverhältniſſe der Schulhäuſer, die zum Theil
ſchon aus dem vorigen Jahrhundert ſtammen; in unſerem Jahrhundert
tritt die ſanitäre Arbeitspolizei der Kinder in den Fabriken hinzu,
daneben beginnt das eigentlich pädagogiſche Princip der leiblichen Er-
ziehung in dem Turnunterricht aufzutreten, deſſen große Vortheile
zuerſt Frank, Medicinalpolizei III. 3. 3. nachdrücklich und vortrefflich
hervorhob. Gehört iſt er genug, befolgt nur wenig. Nur das erſtere
kann als ein europäiſcher Theil des Verwaltungsrechts angeſehen wer-
den. Die phyſiſche Erziehung durch Turnunterricht gehört dem deut-
ſchen Leben ausſchließlich an, und iſt auch hier noch nicht gemeingültig.
Die allgemeinen Grundſätze für die hierin liegenden Forderungen ſind
nun ſo einfach, daß es eigentlich nirgends ſo ſehr darauf ankam, ſie

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[73/0089] Sie iſt in gewiſſer Beziehung der wichtigſte, aber auch der bedenklichſte Theil der Geſundheitsverwaltung, da ſie am tiefſten in die individuelle Freiheit hineingreift. Darauf beruht auch ihre zwar eng begränzte, aber immerhin intereſſante hiſtoriſche Entwicklung, die offenbar erſt in unſe- rem Jahrhundert bei einem poſitiven, wahrhaft förderlichen Standpunkt angelangt iſt. Sie beginnt nämlich ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert mit dem Verſuche, die Untergrabung der Geſundheit durch Unmäßigkeiten aller Art mittelſt polizeilicher Verbote und Strafen zu hindern; Verbote der Völlerei, der großen Feſte, des Trinkens ſtarker Getränke, Kleiderord- nungen, Verhalten gegen Schwangere, daneben ſanitäre Eheverbote u. a. Alle dieſe, namentlich in Deutſchland ſtark wuchernden Maßregeln ſind mehr bezeichnend für die Idee der Wohlfahrtspolizei als wichtig für das praktiſche Leben, da ſie ohne Erfolg bleiben mußten. Erſt die ſichere Auffaſſung des Weſens der Geſundheit, wie ſie Frank und An- dere geben, führte dahin, an die Stelle derſelben poſitive, wahrhaft fördernde Grundſätze zu ſtellen. Dieſe nun haben in zwei Richtungen eingegriffen. Zuerſt haben ſie die Idee einer geſundheitlichen Er- ziehung ins Leben gerufen, und bereits, wenn auch in geringem Maße begonnen, die perſönliche Geſundheitspolizei auf den Gewerbe- betrieb auszudehnen, wo aber noch ſehr viel zu thun iſt. — Dann aber haben ſie die Erkenntniß gebracht, daß es überhaupt nicht ſo ſehr Sache der amtlichen, als vielmehr der Selbſtverwaltung ſein müſſe, hier wahrhaft förderlich einzugreifen; das iſt nun richtig, allein es hat das wieder zur Folge, daß auch dieſer Theil der Geſundheitspolizei von der Dichtigkeit der Bevölkerung abhängig wird, und dieſer bis jetzt faſt nur in großen Städten zur Geltung gelangt. Die geſundheitliche Erziehung erſcheint nun hauptſächlich in zwei Gebieten. Sie fängt an mit der ſanitären Ordnung für den Bau, die Luft-, Licht- und Raumverhältniſſe der Schulhäuſer, die zum Theil ſchon aus dem vorigen Jahrhundert ſtammen; in unſerem Jahrhundert tritt die ſanitäre Arbeitspolizei der Kinder in den Fabriken hinzu, daneben beginnt das eigentlich pädagogiſche Princip der leiblichen Er- ziehung in dem Turnunterricht aufzutreten, deſſen große Vortheile zuerſt Frank, Medicinalpolizei III. 3. 3. nachdrücklich und vortrefflich hervorhob. Gehört iſt er genug, befolgt nur wenig. Nur das erſtere kann als ein europäiſcher Theil des Verwaltungsrechts angeſehen wer- den. Die phyſiſche Erziehung durch Turnunterricht gehört dem deut- ſchen Leben ausſchließlich an, und iſt auch hier noch nicht gemeingültig. Die allgemeinen Grundſätze für die hierin liegenden Forderungen ſind nun ſo einfach, daß es eigentlich nirgends ſo ſehr darauf ankam, ſie

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/89>, abgerufen am 25.11.2024.