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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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daß die in den obigen Bestimmungen liegenden Elemente eines allge-
meinen Seuchenwesens, sehr unklar und ungleichartig entwickelt im
vorigen Jahrhundert, zu einem förmlichen, allgemeinen System erst
durch den mächtigen Anstoß geworden sind, den seit 1830 die Cholera
gegeben. Dieselbe ist ohne allen Zweifel eine der einflußreichsten Er-
scheinungen im ganzen Gebiete des öffentlichen Gesundheitswesens. Ihre
Wirkung war eine doppelte. Einerseits hat sie, und das ist vielleicht
das bei weitem wichtigste, die Erkenntniß festgestellt, daß die Bedingungen
des Sieges über die Seuchen vorzugsweise in der Herstellung der Be-
dingungen der allgemeinen Gesundheit, also in dem höheren Sanitäts-
wesen liegen. Andererseits aber hat sie, da man sie nicht durch einzelne
Mittel beseitigen konnte, Veranlassung gegeben, die Seuchenpolizei für
alle ansteckenden und selbst für die miasmatischen Krankheiten zu einem
die gesammte Thätigkeit der Gesundheitsverwaltung umfassenden System
zusammen zu fassen, für welches das Charakteristische in dem Aufstellen
von Instruktionen und Anstalten für jede ansteckende Krankheit besteht.
Namentlich zeichnen sich hier die bereits erwähnten preußischen Gesetze
aus. Man kann nun wohl sagen, daß in England das Seuchen-
wesen bei der Gesundheitspolizei stehen geblieben und nicht zu einer
Seuchenpolizei übergegangen ist, daß in Frankreich zwar eine Seuchen-
ordnung, aber mehr in allgemeinen Aufträgen an die Verwaltung als in
speziellen Vorschriften besteht, daß diese speziellen Vorschriften namentlich
in Oesterreich für einzelne Seuchen sehr ausgebildet sind, während da-
gegen in Preußen die organische, die gesammte Verwaltung umfassende
Gesetzgebung sehr ausgebildet ist, ohne der dennoch reichhaltigen besonderen
Seuchenpolizei Abbruch zu thun. Der Natur der Sache nach liegt dabei
das Gebiet der administrativen Thätigkeit mehr innerhalb der allgemeinen
Gesundheitspolizei, als in der medicinischen Thätigkeit, die natürlich durch
die Seuche selbst bedingt ist. Aber gerade das erstere scheint uns der bei
weitem wichtigere, und einer großen Entwicklung fähige Punkt, während
eben durch ihn wieder das Princip der Absperrungen auf sein geringstes
zulässiges Maß reducirt, und dem Verkehr seine Freiheit wiedergegeben ist.


Das englische System, schon früher in einzelnen Bestimmungen
angedeutet, dann aber doch erst durch die Cholera ins Leben gerufen,
beruht auf zwei Grundlagen, die wir bereits früher bezeichnet haben,
und die eine allgemeine Seuchengesetzgebung verhindern, zuerst und
wesentlich auf der Einführung eines gesetzlichen Systems der örtlichen
Gesundheitspolizei durch die Local-Health und Nuicances Removal
Acts
(s. oben); daneben aber hat, wie erwähnt, das Privy Council,

Stein, die Verwaltungslehre. III. 4

daß die in den obigen Beſtimmungen liegenden Elemente eines allge-
meinen Seuchenweſens, ſehr unklar und ungleichartig entwickelt im
vorigen Jahrhundert, zu einem förmlichen, allgemeinen Syſtem erſt
durch den mächtigen Anſtoß geworden ſind, den ſeit 1830 die Cholera
gegeben. Dieſelbe iſt ohne allen Zweifel eine der einflußreichſten Er-
ſcheinungen im ganzen Gebiete des öffentlichen Geſundheitsweſens. Ihre
Wirkung war eine doppelte. Einerſeits hat ſie, und das iſt vielleicht
das bei weitem wichtigſte, die Erkenntniß feſtgeſtellt, daß die Bedingungen
des Sieges über die Seuchen vorzugsweiſe in der Herſtellung der Be-
dingungen der allgemeinen Geſundheit, alſo in dem höheren Sanitäts-
weſen liegen. Andererſeits aber hat ſie, da man ſie nicht durch einzelne
Mittel beſeitigen konnte, Veranlaſſung gegeben, die Seuchenpolizei für
alle anſteckenden und ſelbſt für die miasmatiſchen Krankheiten zu einem
die geſammte Thätigkeit der Geſundheitsverwaltung umfaſſenden Syſtem
zuſammen zu faſſen, für welches das Charakteriſtiſche in dem Aufſtellen
von Inſtruktionen und Anſtalten für jede anſteckende Krankheit beſteht.
Namentlich zeichnen ſich hier die bereits erwähnten preußiſchen Geſetze
aus. Man kann nun wohl ſagen, daß in England das Seuchen-
weſen bei der Geſundheitspolizei ſtehen geblieben und nicht zu einer
Seuchenpolizei übergegangen iſt, daß in Frankreich zwar eine Seuchen-
ordnung, aber mehr in allgemeinen Aufträgen an die Verwaltung als in
ſpeziellen Vorſchriften beſteht, daß dieſe ſpeziellen Vorſchriften namentlich
in Oeſterreich für einzelne Seuchen ſehr ausgebildet ſind, während da-
gegen in Preußen die organiſche, die geſammte Verwaltung umfaſſende
Geſetzgebung ſehr ausgebildet iſt, ohne der dennoch reichhaltigen beſonderen
Seuchenpolizei Abbruch zu thun. Der Natur der Sache nach liegt dabei
das Gebiet der adminiſtrativen Thätigkeit mehr innerhalb der allgemeinen
Geſundheitspolizei, als in der mediciniſchen Thätigkeit, die natürlich durch
die Seuche ſelbſt bedingt iſt. Aber gerade das erſtere ſcheint uns der bei
weitem wichtigere, und einer großen Entwicklung fähige Punkt, während
eben durch ihn wieder das Princip der Abſperrungen auf ſein geringſtes
zuläſſiges Maß reducirt, und dem Verkehr ſeine Freiheit wiedergegeben iſt.


Das engliſche Syſtem, ſchon früher in einzelnen Beſtimmungen
angedeutet, dann aber doch erſt durch die Cholera ins Leben gerufen,
beruht auf zwei Grundlagen, die wir bereits früher bezeichnet haben,
und die eine allgemeine Seuchengeſetzgebung verhindern, zuerſt und
weſentlich auf der Einführung eines geſetzlichen Syſtems der örtlichen
Geſundheitspolizei durch die Local-Health und Nuicances Removal
Acts
(ſ. oben); daneben aber hat, wie erwähnt, das Privy Council,

Stein, die Verwaltungslehre. III. 4
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[49/0065] daß die in den obigen Beſtimmungen liegenden Elemente eines allge- meinen Seuchenweſens, ſehr unklar und ungleichartig entwickelt im vorigen Jahrhundert, zu einem förmlichen, allgemeinen Syſtem erſt durch den mächtigen Anſtoß geworden ſind, den ſeit 1830 die Cholera gegeben. Dieſelbe iſt ohne allen Zweifel eine der einflußreichſten Er- ſcheinungen im ganzen Gebiete des öffentlichen Geſundheitsweſens. Ihre Wirkung war eine doppelte. Einerſeits hat ſie, und das iſt vielleicht das bei weitem wichtigſte, die Erkenntniß feſtgeſtellt, daß die Bedingungen des Sieges über die Seuchen vorzugsweiſe in der Herſtellung der Be- dingungen der allgemeinen Geſundheit, alſo in dem höheren Sanitäts- weſen liegen. Andererſeits aber hat ſie, da man ſie nicht durch einzelne Mittel beſeitigen konnte, Veranlaſſung gegeben, die Seuchenpolizei für alle anſteckenden und ſelbſt für die miasmatiſchen Krankheiten zu einem die geſammte Thätigkeit der Geſundheitsverwaltung umfaſſenden Syſtem zuſammen zu faſſen, für welches das Charakteriſtiſche in dem Aufſtellen von Inſtruktionen und Anſtalten für jede anſteckende Krankheit beſteht. Namentlich zeichnen ſich hier die bereits erwähnten preußiſchen Geſetze aus. Man kann nun wohl ſagen, daß in England das Seuchen- weſen bei der Geſundheitspolizei ſtehen geblieben und nicht zu einer Seuchenpolizei übergegangen iſt, daß in Frankreich zwar eine Seuchen- ordnung, aber mehr in allgemeinen Aufträgen an die Verwaltung als in ſpeziellen Vorſchriften beſteht, daß dieſe ſpeziellen Vorſchriften namentlich in Oeſterreich für einzelne Seuchen ſehr ausgebildet ſind, während da- gegen in Preußen die organiſche, die geſammte Verwaltung umfaſſende Geſetzgebung ſehr ausgebildet iſt, ohne der dennoch reichhaltigen beſonderen Seuchenpolizei Abbruch zu thun. Der Natur der Sache nach liegt dabei das Gebiet der adminiſtrativen Thätigkeit mehr innerhalb der allgemeinen Geſundheitspolizei, als in der mediciniſchen Thätigkeit, die natürlich durch die Seuche ſelbſt bedingt iſt. Aber gerade das erſtere ſcheint uns der bei weitem wichtigere, und einer großen Entwicklung fähige Punkt, während eben durch ihn wieder das Princip der Abſperrungen auf ſein geringſtes zuläſſiges Maß reducirt, und dem Verkehr ſeine Freiheit wiedergegeben iſt. Das engliſche Syſtem, ſchon früher in einzelnen Beſtimmungen angedeutet, dann aber doch erſt durch die Cholera ins Leben gerufen, beruht auf zwei Grundlagen, die wir bereits früher bezeichnet haben, und die eine allgemeine Seuchengeſetzgebung verhindern, zuerſt und weſentlich auf der Einführung eines geſetzlichen Syſtems der örtlichen Geſundheitspolizei durch die Local-Health und Nuicances Removal Acts (ſ. oben); daneben aber hat, wie erwähnt, das Privy Council, Stein, die Verwaltungslehre. III. 4

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/65>, abgerufen am 22.11.2024.