Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

auf sein natürliches Gebiet einzelner, namentlich fremdartiger
Krankheiten beschränkt, und besteht dasselbe daher nur noch als aus-
nahmsweise und örtliche, nur mit großer Vorsicht und bei dringender
Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen Ansteckung
liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen
Schutzsystem.


Das französische Recht ist wohl das formell klarste. Unterschied
zwischen Contagions de l'exterieur und epidemies de l'interieur. Unter
Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Beschränkung auf
die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des Quarantäne-
Rechts und Verfahrens
ist die Verordnung vom 3. März 1822;
das neueste Recht, das Gesetz vom 24. Dec. 1850. Der Chef de l'Etat
trifft die Maßregeln, Organisation der "Agents;" Quarantänebehörden
als Staatsbeamten unter dem Directeur de la sante im Haupthafen;
die Commissions sanitaires werden daneben vom Conseil municipal
gewählt. Funktion aller Behörden auf diese Organe übertragen, nament-
lich Testamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen etc. Das Verfahren bei
der Quarantaine gut zusammengestellt, so wie Bezeichnung der übrigen
Verhältnisse von Foubert, Regime sanitaire (Block, Droit d'adm).
Von Frankreich sind verschiedene Versuche ausgegangen, die Pestpolizei
zum Gegenstand eines internationalen Vertragsrechts zu machen (Con-
ferences sanitaires
von Paris 1831 und 1852 und Convention vom
27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua-
rantäne). -- Bei inneren Seuchen ist schon durch Dekret vom
16. August 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt "du soin de les pre-
venir par les precautions convenable;"
später soll er berichten an
den Sousprefet, der einen medecin des epidemies par arrondissement
einzusetzen hat (Arr. vom 30. Sept. 1831). Der Minister des Innern
kann eine Commission sanitaire im Departement ernennen. Ein Arr.
vom 13. April 1835 schreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi-
demien (le service des epidemies) weitläufig vor, namentlich den In-
halt der abzustattenden Berichte. Vollständig bei Tardieu, Diction-
naire d'hygiene publique
Bd. II. S. 381--415. -- Contumaz- und Qua-
rantänewesen in Oesterreich: Erste Pestpolizeiordnung von 1728; hier
ist Cordon und Quarantäne geschieden. Für den (seit der Cholera
nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neueste Verordnung vom
30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelabsperrung im Falle des wirk-
lichen Ausbruches der Pest; Errichtung von Pestspitälern, Gesundheits-
pässe, Reinigung der Häuser etc. Strenge Strafbestimmungen für Ueber-
schreitung der Andordnungen seit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur

auf ſein natürliches Gebiet einzelner, namentlich fremdartiger
Krankheiten beſchränkt, und beſteht daſſelbe daher nur noch als aus-
nahmsweiſe und örtliche, nur mit großer Vorſicht und bei dringender
Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen Anſteckung
liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen
Schutzſyſtem.


Das franzöſiſche Recht iſt wohl das formell klarſte. Unterſchied
zwiſchen Contagions de l’extérieur und epidémies de l’intérieur. Unter
Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Beſchränkung auf
die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des Quarantäne-
Rechts und Verfahrens
iſt die Verordnung vom 3. März 1822;
das neueſte Recht, das Geſetz vom 24. Dec. 1850. Der Chef de l’Etat
trifft die Maßregeln, Organiſation der „Agents;“ Quarantänebehörden
als Staatsbeamten unter dem Directeur de la santé im Haupthafen;
die Commissions sanitaires werden daneben vom Conseil municipal
gewählt. Funktion aller Behörden auf dieſe Organe übertragen, nament-
lich Teſtamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen ꝛc. Das Verfahren bei
der Quarantaine gut zuſammengeſtellt, ſo wie Bezeichnung der übrigen
Verhältniſſe von Foubert, Régime sanitaire (Block, Droit d’adm).
Von Frankreich ſind verſchiedene Verſuche ausgegangen, die Peſtpolizei
zum Gegenſtand eines internationalen Vertragsrechts zu machen (Con-
férences sanitaires
von Paris 1831 und 1852 und Convention vom
27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua-
rantäne). — Bei inneren Seuchen iſt ſchon durch Dekret vom
16. Auguſt 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt „du soin de les pré-
venir par les précautions convenable;“
ſpäter ſoll er berichten an
den Souspréfet, der einen médecin des epidémies par arrondissement
einzuſetzen hat (Arr. vom 30. Sept. 1831). Der Miniſter des Innern
kann eine Commission sanitaire im Departement ernennen. Ein Arr.
vom 13. April 1835 ſchreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi-
demien (le service des epidémies) weitläufig vor, namentlich den In-
halt der abzuſtattenden Berichte. Vollſtändig bei Tardieu, Diction-
naire d’hygiène publique
Bd. II. S. 381—415. — Contumaz- und Qua-
rantäneweſen in Oeſterreich: Erſte Peſtpolizeiordnung von 1728; hier
iſt Cordon und Quarantäne geſchieden. Für den (ſeit der Cholera
nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neueſte Verordnung vom
30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelabſperrung im Falle des wirk-
lichen Ausbruches der Peſt; Errichtung von Peſtſpitälern, Geſundheits-
päſſe, Reinigung der Häuſer ꝛc. Strenge Strafbeſtimmungen für Ueber-
ſchreitung der Andordnungen ſeit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0060" n="44"/>
auf &#x017F;ein natürliches Gebiet <hi rendition="#g">einzelner</hi>, namentlich <hi rendition="#g">fremdartiger</hi><lb/>
Krankheiten be&#x017F;chränkt, und be&#x017F;teht da&#x017F;&#x017F;elbe daher nur noch als aus-<lb/>
nahmswei&#x017F;e und örtliche, nur mit großer Vor&#x017F;icht und bei dringender<lb/>
Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen An&#x017F;teckung<lb/>
liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen<lb/>
Schutz&#x017F;y&#x017F;tem.</p><lb/>
                <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
                <p>Das franzö&#x017F;i&#x017F;che Recht i&#x017F;t wohl das formell klar&#x017F;te. Unter&#x017F;chied<lb/>
zwi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">Contagions de l&#x2019;extérieur</hi> und <hi rendition="#aq">epidémies de l&#x2019;intérieur.</hi> Unter<lb/>
Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Be&#x017F;chränkung auf<lb/>
die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des <hi rendition="#g">Quarantäne-<lb/>
Rechts und Verfahrens</hi> i&#x017F;t die Verordnung vom 3. März 1822;<lb/>
das neue&#x017F;te Recht, das Ge&#x017F;etz vom 24. Dec. 1850. Der <hi rendition="#aq">Chef de l&#x2019;Etat</hi><lb/>
trifft die Maßregeln, Organi&#x017F;ation der <hi rendition="#aq">&#x201E;Agents;&#x201C;</hi> Quarantänebehörden<lb/>
als Staatsbeamten unter dem <hi rendition="#aq">Directeur de la santé</hi> im Haupthafen;<lb/>
die <hi rendition="#aq">Commissions sanitaires</hi> werden daneben vom <hi rendition="#aq">Conseil municipal</hi><lb/>
gewählt. Funktion aller Behörden auf die&#x017F;e Organe übertragen, nament-<lb/>
lich Te&#x017F;tamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen &#xA75B;c. Das Verfahren bei<lb/>
der Quarantaine gut zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt, &#x017F;o wie Bezeichnung der übrigen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Foubert</hi>, Régime sanitaire (Block, Droit d&#x2019;adm).</hi><lb/>
Von Frankreich &#x017F;ind ver&#x017F;chiedene Ver&#x017F;uche ausgegangen, die Pe&#x017F;tpolizei<lb/>
zum Gegen&#x017F;tand eines internationalen Vertragsrechts zu machen (<hi rendition="#aq">Con-<lb/>
férences sanitaires</hi> von Paris 1831 und 1852 und Convention vom<lb/>
27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua-<lb/>
rantäne). &#x2014; Bei <hi rendition="#g">inneren</hi> Seuchen i&#x017F;t &#x017F;chon durch Dekret vom<lb/>
16. Augu&#x017F;t 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt <hi rendition="#aq">&#x201E;du soin de les pré-<lb/>
venir par les précautions convenable;&#x201C;</hi> &#x017F;päter &#x017F;oll er berichten an<lb/>
den <hi rendition="#aq">Souspréfet,</hi> der einen <hi rendition="#aq">médecin des epidémies par arrondissement</hi><lb/>
einzu&#x017F;etzen hat (<hi rendition="#aq">Arr.</hi> vom 30. Sept. 1831). Der Mini&#x017F;ter des Innern<lb/>
kann eine <hi rendition="#aq">Commission sanitaire</hi> im Departement ernennen. Ein <hi rendition="#aq">Arr.</hi><lb/>
vom 13. April 1835 &#x017F;chreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi-<lb/>
demien (<hi rendition="#aq">le service des epidémies</hi>) weitläufig vor, namentlich den In-<lb/>
halt der abzu&#x017F;tattenden Berichte. Voll&#x017F;tändig bei <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Tardieu</hi>, Diction-<lb/>
naire d&#x2019;hygiène publique</hi> Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 381&#x2014;415. &#x2014; Contumaz- und Qua-<lb/>
rantänewe&#x017F;en in <hi rendition="#g">Oe&#x017F;terreich</hi>: Er&#x017F;te Pe&#x017F;tpolizeiordnung von 1728; hier<lb/>
i&#x017F;t Cordon und Quarantäne ge&#x017F;chieden. Für den (&#x017F;eit der Cholera<lb/>
nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neue&#x017F;te Verordnung vom<lb/>
30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelab&#x017F;perrung im Falle des wirk-<lb/>
lichen Ausbruches der Pe&#x017F;t; Errichtung von Pe&#x017F;t&#x017F;pitälern, Ge&#x017F;undheits-<lb/>&#x017F;&#x017F;e, Reinigung der Häu&#x017F;er &#xA75B;c. Strenge Strafbe&#x017F;timmungen für Ueber-<lb/>
&#x017F;chreitung der Andordnungen &#x017F;eit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0060] auf ſein natürliches Gebiet einzelner, namentlich fremdartiger Krankheiten beſchränkt, und beſteht daſſelbe daher nur noch als aus- nahmsweiſe und örtliche, nur mit großer Vorſicht und bei dringender Gefahr anzuwendende Polizeimaßregel. Der Kampf gegen Anſteckung liegt jetzt vielmehr in dem, durch die Cholera ausgebildeten rationellen Schutzſyſtem. Das franzöſiſche Recht iſt wohl das formell klarſte. Unterſchied zwiſchen Contagions de l’extérieur und epidémies de l’intérieur. Unter Aufhebung aller Maßregeln gegen den Landverkehr Beſchränkung auf die Quarantäne im Seeverkehr. Die Grundlage des Quarantäne- Rechts und Verfahrens iſt die Verordnung vom 3. März 1822; das neueſte Recht, das Geſetz vom 24. Dec. 1850. Der Chef de l’Etat trifft die Maßregeln, Organiſation der „Agents;“ Quarantänebehörden als Staatsbeamten unter dem Directeur de la santé im Haupthafen; die Commissions sanitaires werden daneben vom Conseil municipal gewählt. Funktion aller Behörden auf dieſe Organe übertragen, nament- lich Teſtamentsaufnahmen, Zeugenaufnahmen ꝛc. Das Verfahren bei der Quarantaine gut zuſammengeſtellt, ſo wie Bezeichnung der übrigen Verhältniſſe von Foubert, Régime sanitaire (Block, Droit d’adm). Von Frankreich ſind verſchiedene Verſuche ausgegangen, die Peſtpolizei zum Gegenſtand eines internationalen Vertragsrechts zu machen (Con- férences sanitaires von Paris 1831 und 1852 und Convention vom 27. Mai 1853. Vertrag vom 24. Juni 1864 mit Italien über Qua- rantäne). — Bei inneren Seuchen iſt ſchon durch Dekret vom 16. Auguſt 1790 der Maire örtlich bevollmächtigt „du soin de les pré- venir par les précautions convenable;“ ſpäter ſoll er berichten an den Souspréfet, der einen médecin des epidémies par arrondissement einzuſetzen hat (Arr. vom 30. Sept. 1831). Der Miniſter des Innern kann eine Commission sanitaire im Departement ernennen. Ein Arr. vom 13. April 1835 ſchreibt dann das ärztliche Verfahren bei den Epi- demien (le service des epidémies) weitläufig vor, namentlich den In- halt der abzuſtattenden Berichte. Vollſtändig bei Tardieu, Diction- naire d’hygiène publique Bd. II. S. 381—415. — Contumaz- und Qua- rantäneweſen in Oeſterreich: Erſte Peſtpolizeiordnung von 1728; hier iſt Cordon und Quarantäne geſchieden. Für den (ſeit der Cholera nicht mehr gebräuchlichen) Cordon gilt die neueſte Verordnung vom 30. Januar 1837. Doch gilt die Einzelabſperrung im Falle des wirk- lichen Ausbruches der Peſt; Errichtung von Peſtſpitälern, Geſundheits- päſſe, Reinigung der Häuſer ꝛc. Strenge Strafbeſtimmungen für Ueber- ſchreitung der Andordnungen ſeit Patent vom 21. Mai 1805 bis zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/60
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/60>, abgerufen am 04.05.2024.