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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Wesentlichen dem englischen an. In beiden Ländern ist der Kern der
innern Verwaltung gerade wie in England den Gemeinden übergeben,
und ein unmittelbares Eingreifen der Regierung hier so wenig als bei
der Sicherheitspolizei zugelassen. Es gab daher bis jetzt in beiden Län-
dern keine codificirte, vollständige Gesetzgebung über das Gesundheits-
wesen; nur die dringendsten einzelnen Punkte der Sanitätspolizei, wie
Quarantäne und Begräbnißwesen, haben ein öffentliches Recht gefunden.
Allein die Grundlage der Verwaltung ist dennoch von der englischen
verschieden. Die ganze übrige Sanitätspolizei ist eine örtliche, welche
der Bürgermeister allein ausübt, und zwar ohne daß ein Gesetz wie
das englische zum Grunde läge. Dafür nun wird der Bürgermeister
wieder von der Regierung bestellt, und so wäre der Keim zu einer
Sanitätsgesetzgebung zwar gegeben, aber ausgebildet ist er nicht. Bel-
gien namentlich hat nur noch einzelne sanitätspolizeiliche Verordnungen,
die wir unten mittheilen werden, und selbst de Fooz hat sich in seinem
belgischen Verwaltungsrecht wenig damit beschäftigt. (Siehe Droit ad-
ministratif belge, T. III. Tit. II. 1865. Sauveur, Histoire de la legis-
lation medicale belge.
) Bis zum vorigen Jahre war es ebenso in
Holland. Selbst der einsichtige J. de Bosch-Kemper hat in seiner
"Handleiding tot Kennis van het Nederlandsche Staatsregt en Staats-
bestur" (Neueste Ausgabe 1865) der "Gezondheidspolicie" nur Eine
Seite gewidmet (S. 813). Er sagt grundsätzlich: "Obwohl die Beförderung
der allgemeinen Gesundheit sicher der öffentlichen Sorge der Gemeinde-
verwaltung (Staatszorg der (?) Gemeendebesturen) angehört, muß doch der
freien Thätigkeit der Angesessenen so viel möglich überlassen werden, die
der Gesundheit nützlichen Anstalten herzustellen" (S. 813). Indeß sind
im vorvorigen Jahre vier Gesetze erlassen, alle vom 1. Juni 1865, welche
als die Grundlage des künftigen Gesundheitswesens angesehen werden
müssen, von denen drei sich nur noch mit dem Medicinalwesen beschäftigen
(Bildung der Aerzte, ärztliche und Hebammenpraxis, Apothekerwesen),
während durch das Gesetz über die Organisation der Gesundheitsverwal-
tung die Ordnung für die Oberaufsicht des Staats über die Gemeinde-
verwaltung selbständig hergestellt und damit ein eigentliches Gesundheits-
wesen erst möglich gemacht wird. So ist das hier im Werden begriffen.

Im Allgemeinen wird man daher sagen, daß die drei großen
Kulturvölker die Heimath eines selbständigen Gesundheitswesens bilden,
wenn auch mit verschiedenem Charakter, während die übrigen Völker,
und zum Theil auch einzelne deutsche Staaten, zu einer organischen
Entwicklung nicht gediehen sind. Doch mangeln uns noch viele Quellen,
und die territoriale Gestalt des Ganzen ist vielfach selbst in der Mitte
Europas noch unbekannt.


Weſentlichen dem engliſchen an. In beiden Ländern iſt der Kern der
innern Verwaltung gerade wie in England den Gemeinden übergeben,
und ein unmittelbares Eingreifen der Regierung hier ſo wenig als bei
der Sicherheitspolizei zugelaſſen. Es gab daher bis jetzt in beiden Län-
dern keine codificirte, vollſtändige Geſetzgebung über das Geſundheits-
weſen; nur die dringendſten einzelnen Punkte der Sanitätspolizei, wie
Quarantäne und Begräbnißweſen, haben ein öffentliches Recht gefunden.
Allein die Grundlage der Verwaltung iſt dennoch von der engliſchen
verſchieden. Die ganze übrige Sanitätspolizei iſt eine örtliche, welche
der Bürgermeiſter allein ausübt, und zwar ohne daß ein Geſetz wie
das engliſche zum Grunde läge. Dafür nun wird der Bürgermeiſter
wieder von der Regierung beſtellt, und ſo wäre der Keim zu einer
Sanitätsgeſetzgebung zwar gegeben, aber ausgebildet iſt er nicht. Bel-
gien namentlich hat nur noch einzelne ſanitätspolizeiliche Verordnungen,
die wir unten mittheilen werden, und ſelbſt de Fooz hat ſich in ſeinem
belgiſchen Verwaltungsrecht wenig damit beſchäftigt. (Siehe Droit ad-
ministratif belge, T. III. Tit. II. 1865. Sauveur, Histoire de la legis-
lation médicale belge.
) Bis zum vorigen Jahre war es ebenſo in
Holland. Selbſt der einſichtige J. de Boſch-Kemper hat in ſeiner
„Handleiding tot Kennis van het Nederlandſche Staatsregt en Staats-
beſtur“ (Neueſte Ausgabe 1865) der „Gezondheidspolicie“ nur Eine
Seite gewidmet (S. 813). Er ſagt grundſätzlich: „Obwohl die Beförderung
der allgemeinen Geſundheit ſicher der öffentlichen Sorge der Gemeinde-
verwaltung (Staatszorg der (?) Gemeendebeſturen) angehört, muß doch der
freien Thätigkeit der Angeſeſſenen ſo viel möglich überlaſſen werden, die
der Geſundheit nützlichen Anſtalten herzuſtellen“ (S. 813). Indeß ſind
im vorvorigen Jahre vier Geſetze erlaſſen, alle vom 1. Juni 1865, welche
als die Grundlage des künftigen Geſundheitsweſens angeſehen werden
müſſen, von denen drei ſich nur noch mit dem Medicinalweſen beſchäftigen
(Bildung der Aerzte, ärztliche und Hebammenpraxis, Apothekerweſen),
während durch das Geſetz über die Organiſation der Geſundheitsverwal-
tung die Ordnung für die Oberaufſicht des Staats über die Gemeinde-
verwaltung ſelbſtändig hergeſtellt und damit ein eigentliches Geſundheits-
weſen erſt möglich gemacht wird. So iſt das hier im Werden begriffen.

Im Allgemeinen wird man daher ſagen, daß die drei großen
Kulturvölker die Heimath eines ſelbſtändigen Geſundheitsweſens bilden,
wenn auch mit verſchiedenem Charakter, während die übrigen Völker,
und zum Theil auch einzelne deutſche Staaten, zu einer organiſchen
Entwicklung nicht gediehen ſind. Doch mangeln uns noch viele Quellen,
und die territoriale Geſtalt des Ganzen iſt vielfach ſelbſt in der Mitte
Europas noch unbekannt.


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[21/0037] Weſentlichen dem engliſchen an. In beiden Ländern iſt der Kern der innern Verwaltung gerade wie in England den Gemeinden übergeben, und ein unmittelbares Eingreifen der Regierung hier ſo wenig als bei der Sicherheitspolizei zugelaſſen. Es gab daher bis jetzt in beiden Län- dern keine codificirte, vollſtändige Geſetzgebung über das Geſundheits- weſen; nur die dringendſten einzelnen Punkte der Sanitätspolizei, wie Quarantäne und Begräbnißweſen, haben ein öffentliches Recht gefunden. Allein die Grundlage der Verwaltung iſt dennoch von der engliſchen verſchieden. Die ganze übrige Sanitätspolizei iſt eine örtliche, welche der Bürgermeiſter allein ausübt, und zwar ohne daß ein Geſetz wie das engliſche zum Grunde läge. Dafür nun wird der Bürgermeiſter wieder von der Regierung beſtellt, und ſo wäre der Keim zu einer Sanitätsgeſetzgebung zwar gegeben, aber ausgebildet iſt er nicht. Bel- gien namentlich hat nur noch einzelne ſanitätspolizeiliche Verordnungen, die wir unten mittheilen werden, und ſelbſt de Fooz hat ſich in ſeinem belgiſchen Verwaltungsrecht wenig damit beſchäftigt. (Siehe Droit ad- ministratif belge, T. III. Tit. II. 1865. Sauveur, Histoire de la legis- lation médicale belge.) Bis zum vorigen Jahre war es ebenſo in Holland. Selbſt der einſichtige J. de Boſch-Kemper hat in ſeiner „Handleiding tot Kennis van het Nederlandſche Staatsregt en Staats- beſtur“ (Neueſte Ausgabe 1865) der „Gezondheidspolicie“ nur Eine Seite gewidmet (S. 813). Er ſagt grundſätzlich: „Obwohl die Beförderung der allgemeinen Geſundheit ſicher der öffentlichen Sorge der Gemeinde- verwaltung (Staatszorg der (?) Gemeendebeſturen) angehört, muß doch der freien Thätigkeit der Angeſeſſenen ſo viel möglich überlaſſen werden, die der Geſundheit nützlichen Anſtalten herzuſtellen“ (S. 813). Indeß ſind im vorvorigen Jahre vier Geſetze erlaſſen, alle vom 1. Juni 1865, welche als die Grundlage des künftigen Geſundheitsweſens angeſehen werden müſſen, von denen drei ſich nur noch mit dem Medicinalweſen beſchäftigen (Bildung der Aerzte, ärztliche und Hebammenpraxis, Apothekerweſen), während durch das Geſetz über die Organiſation der Geſundheitsverwal- tung die Ordnung für die Oberaufſicht des Staats über die Gemeinde- verwaltung ſelbſtändig hergeſtellt und damit ein eigentliches Geſundheits- weſen erſt möglich gemacht wird. So iſt das hier im Werden begriffen. Im Allgemeinen wird man daher ſagen, daß die drei großen Kulturvölker die Heimath eines ſelbſtändigen Geſundheitsweſens bilden, wenn auch mit verſchiedenem Charakter, während die übrigen Völker, und zum Theil auch einzelne deutſche Staaten, zu einer organiſchen Entwicklung nicht gediehen ſind. Doch mangeln uns noch viele Quellen, und die territoriale Geſtalt des Ganzen iſt vielfach ſelbſt in der Mitte Europas noch unbekannt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/37>, abgerufen am 28.11.2024.