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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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ganz beschränktem Sinne geworden ist. In England ist vielmehr das
Gesundheitswesen grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde, der Selbstver-
waltung
. Das geltende englische Recht hat daher mit dem gesammten
Heilwesen, speziell mit den Verhältnissen des ärztlichen Personals sich
niemals abgegeben; dafür existiren gar keine Gesetze, während gerade
umgekehrt hierauf das Hauptgewicht des französischen und deutschen
Rechts liegt. Nur ganz einzelne Punkte, wie die Quarantäne, das
Blatternwesen, einige Bestimmungen der niedern Gesundheitspolizei waren
durch Gesetze geordnet. Erst die Cholera hat diesen Standpunkt ge-
ändert. Die Cholera bewies in sehr ernster Weise, daß man keineswegs
alles der Selbstverwaltung überlassen, und daß eine Vernachlässigung
der nothwendigen Bestimmungen höchst bedenklich werden kann. Seit
1830 kommen daher eine Reihe einzelner Maßregeln vor, die aber fast
alle die Aufgabe haben, in den größern Städten durch Beseitigung
unmittelbar gefährlicher oder nachtheiliger Zustände die Ursachen der
Seuchen und ihre Verbreitung zu beseitigen; das sind Gesetze über Ab-
zugskanäle (Sewers), Wohn- und Bauverhältnisse (Building Acts),
Kirchhofs- und Bäderordnung u. s. w. Diese einzelnen Bestimmungen
wurden nun im Jahre 1848 durch zwei große Gesetze zusammengefaßt,
welche den ganzen Charakter der englischen Verwaltung so deutlich charak-
terisiren, wie vielleicht wenig andere, die General Health Act (11, 12
Vict. 63) und die Nuisances Removal and Diseases Prevention Act
(11, 12 Vict. 123), deren Inhalt und Verhältniß folgender ist, und die
wir hier genauer bezeichnen müssen, weil sie eben den ganzen Zustand des
öffentlichen Gesundheitswesens in England enthalten und charakterisiren.

Die General Health Act nämlich hatte die Aufgabe, nicht etwa
das gesammte Gesundheitswesen zu codificiren, sondern nur die Maß-
regeln der örtlichen, niederen und höheren Gesundheitspolizei, und zwar
wieder nur für die "Städte und volkreichen Orte" gesetzlich festzustellen
und einer gemeinsamen Verwaltung zu unterwerfen. Das Gesetz be-
stimmt demnach die Grundsätze für die gesundheitspolizeiliche Trocken-
legung von Häusern und Straßen, die Pflasterung, die Reinlichkeit,
die Wasserordnung und die sanitäre Baupolizei, und stellt zu dem Zweck
die Organisation der General und der Local Boards of Health auf
(s. unten). In dem Gesetze ist eigentlich eben nur diese Organisation
das Neue; die einzelnen sanitätspolizeilichen Vorschriften sind nur, wie
das der Charakter aller sogenannten General Acts ist, eine Zusammen-
stellung der einzelnen bisher bestehenden Bestimmungen. Das Gefühl
nun, daß eine solche Organisation, die noch dazu nur auf Verlangen
der Einwohner hergestellt wird, nicht ausreicht, sondern alles der ört-
lichen Willkür überläßt, zeigte die Nothwendigkeit, einen Schritt weiter

ganz beſchränktem Sinne geworden iſt. In England iſt vielmehr das
Geſundheitsweſen grundſätzlich Aufgabe der Gemeinde, der Selbſtver-
waltung
. Das geltende engliſche Recht hat daher mit dem geſammten
Heilweſen, ſpeziell mit den Verhältniſſen des ärztlichen Perſonals ſich
niemals abgegeben; dafür exiſtiren gar keine Geſetze, während gerade
umgekehrt hierauf das Hauptgewicht des franzöſiſchen und deutſchen
Rechts liegt. Nur ganz einzelne Punkte, wie die Quarantäne, das
Blatternweſen, einige Beſtimmungen der niedern Geſundheitspolizei waren
durch Geſetze geordnet. Erſt die Cholera hat dieſen Standpunkt ge-
ändert. Die Cholera bewies in ſehr ernſter Weiſe, daß man keineswegs
alles der Selbſtverwaltung überlaſſen, und daß eine Vernachläſſigung
der nothwendigen Beſtimmungen höchſt bedenklich werden kann. Seit
1830 kommen daher eine Reihe einzelner Maßregeln vor, die aber faſt
alle die Aufgabe haben, in den größern Städten durch Beſeitigung
unmittelbar gefährlicher oder nachtheiliger Zuſtände die Urſachen der
Seuchen und ihre Verbreitung zu beſeitigen; das ſind Geſetze über Ab-
zugskanäle (Sewers), Wohn- und Bauverhältniſſe (Building Acts),
Kirchhofs- und Bäderordnung u. ſ. w. Dieſe einzelnen Beſtimmungen
wurden nun im Jahre 1848 durch zwei große Geſetze zuſammengefaßt,
welche den ganzen Charakter der engliſchen Verwaltung ſo deutlich charak-
teriſiren, wie vielleicht wenig andere, die General Health Act (11, 12
Vict. 63) und die Nuisances Removal and Diseases Prevention Act
(11, 12 Vict. 123), deren Inhalt und Verhältniß folgender iſt, und die
wir hier genauer bezeichnen müſſen, weil ſie eben den ganzen Zuſtand des
öffentlichen Geſundheitsweſens in England enthalten und charakteriſiren.

Die General Health Act nämlich hatte die Aufgabe, nicht etwa
das geſammte Geſundheitsweſen zu codificiren, ſondern nur die Maß-
regeln der örtlichen, niederen und höheren Geſundheitspolizei, und zwar
wieder nur für die „Städte und volkreichen Orte“ geſetzlich feſtzuſtellen
und einer gemeinſamen Verwaltung zu unterwerfen. Das Geſetz be-
ſtimmt demnach die Grundſätze für die geſundheitspolizeiliche Trocken-
legung von Häuſern und Straßen, die Pflaſterung, die Reinlichkeit,
die Waſſerordnung und die ſanitäre Baupolizei, und ſtellt zu dem Zweck
die Organiſation der General und der Local Boards of Health auf
(ſ. unten). In dem Geſetze iſt eigentlich eben nur dieſe Organiſation
das Neue; die einzelnen ſanitätspolizeilichen Vorſchriften ſind nur, wie
das der Charakter aller ſogenannten General Acts iſt, eine Zuſammen-
ſtellung der einzelnen bisher beſtehenden Beſtimmungen. Das Gefühl
nun, daß eine ſolche Organiſation, die noch dazu nur auf Verlangen
der Einwohner hergeſtellt wird, nicht ausreicht, ſondern alles der ört-
lichen Willkür überläßt, zeigte die Nothwendigkeit, einen Schritt weiter

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[19/0035] ganz beſchränktem Sinne geworden iſt. In England iſt vielmehr das Geſundheitsweſen grundſätzlich Aufgabe der Gemeinde, der Selbſtver- waltung. Das geltende engliſche Recht hat daher mit dem geſammten Heilweſen, ſpeziell mit den Verhältniſſen des ärztlichen Perſonals ſich niemals abgegeben; dafür exiſtiren gar keine Geſetze, während gerade umgekehrt hierauf das Hauptgewicht des franzöſiſchen und deutſchen Rechts liegt. Nur ganz einzelne Punkte, wie die Quarantäne, das Blatternweſen, einige Beſtimmungen der niedern Geſundheitspolizei waren durch Geſetze geordnet. Erſt die Cholera hat dieſen Standpunkt ge- ändert. Die Cholera bewies in ſehr ernſter Weiſe, daß man keineswegs alles der Selbſtverwaltung überlaſſen, und daß eine Vernachläſſigung der nothwendigen Beſtimmungen höchſt bedenklich werden kann. Seit 1830 kommen daher eine Reihe einzelner Maßregeln vor, die aber faſt alle die Aufgabe haben, in den größern Städten durch Beſeitigung unmittelbar gefährlicher oder nachtheiliger Zuſtände die Urſachen der Seuchen und ihre Verbreitung zu beſeitigen; das ſind Geſetze über Ab- zugskanäle (Sewers), Wohn- und Bauverhältniſſe (Building Acts), Kirchhofs- und Bäderordnung u. ſ. w. Dieſe einzelnen Beſtimmungen wurden nun im Jahre 1848 durch zwei große Geſetze zuſammengefaßt, welche den ganzen Charakter der engliſchen Verwaltung ſo deutlich charak- teriſiren, wie vielleicht wenig andere, die General Health Act (11, 12 Vict. 63) und die Nuisances Removal and Diseases Prevention Act (11, 12 Vict. 123), deren Inhalt und Verhältniß folgender iſt, und die wir hier genauer bezeichnen müſſen, weil ſie eben den ganzen Zuſtand des öffentlichen Geſundheitsweſens in England enthalten und charakteriſiren. Die General Health Act nämlich hatte die Aufgabe, nicht etwa das geſammte Geſundheitsweſen zu codificiren, ſondern nur die Maß- regeln der örtlichen, niederen und höheren Geſundheitspolizei, und zwar wieder nur für die „Städte und volkreichen Orte“ geſetzlich feſtzuſtellen und einer gemeinſamen Verwaltung zu unterwerfen. Das Geſetz be- ſtimmt demnach die Grundſätze für die geſundheitspolizeiliche Trocken- legung von Häuſern und Straßen, die Pflaſterung, die Reinlichkeit, die Waſſerordnung und die ſanitäre Baupolizei, und ſtellt zu dem Zweck die Organiſation der General und der Local Boards of Health auf (ſ. unten). In dem Geſetze iſt eigentlich eben nur dieſe Organiſation das Neue; die einzelnen ſanitätspolizeilichen Vorſchriften ſind nur, wie das der Charakter aller ſogenannten General Acts iſt, eine Zuſammen- ſtellung der einzelnen bisher beſtehenden Beſtimmungen. Das Gefühl nun, daß eine ſolche Organiſation, die noch dazu nur auf Verlangen der Einwohner hergeſtellt wird, nicht ausreicht, ſondern alles der ört- lichen Willkür überläßt, zeigte die Nothwendigkeit, einen Schritt weiter

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/35>, abgerufen am 25.11.2024.