Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

eine amtliche und öffentliche sei, daß dieselbe daher unter einer gemein-
schaftlichen Leitung stehen, und ein selbständiges Glied des Verwal-
tungsorganismus sein müsse. Die beiden Haupterscheinungen auf diesem
Gebiete sind die preußische Gesetzgebung von 1725 und die öster-
reichische
von 1770. Damals wie jetzt schlossen sich an beide die
Gesetzgebungen der übrigen Staaten an, und so entsteht ein System
von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Gesundheitswesen zu einem
integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden
die bisher bestehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen diesen großen
Gesetzen untergeordnet. Allein andererseits blieben die kleinen Sou-
veränetäten der Reichsstände noch bestehen. Auf diese haben jene großen
Gesetze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner-
halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört-
liche Execution behält. So gut also auch theoretisch jene, von den
bedeutendsten Männern der Wissenschaft entworfenen Gesetze sein mochten,
die wirkliche Gesundheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück.
Die Lücke zwischen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß
war um so weniger der Fall, als die Gesetzgebung selbst an vielen
Orten noch auf einem niederen Standpunkt stand, und noch mit allerlei
traditionellen Vorstellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an
Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man andererseits kein
Bewußtsein von der entscheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund-
lagen der Gesundheit, der elementaren Bedingungen derselben; noch
erschöpfte sich, höchstens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze
Verwaltung des Gesundheitswesens vorzugsweise in der öffentlichen Ord-
nung des Heilpersonals, und erst gegen Ende des vorigen Jahrhun-
derts beginnen die Gesetzgebungen, sich einzelnen Lebensverhältnissen
und ihres Verhältnisses zur Gesundheit anzunehmen. Nach der ganzen
Gestalt der Entwicklung mußte dieselbe eben von der medicinischen
Wissenschaft
erwartet werden; es wird für das ganze Gesundheits-
wesen entscheidend, welches Princip und welchen Gang dieselbe annimmt.
Sie hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil-
dung dieses Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht
nicht bloß im Einzelnen sondern auch im Ganzen das Gesundheitswesen
unserer Zeit.


Für die ältere Geschichte des Gesundheitswesens existiren eine Reihe
trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je-
doch leicht ansieht, daß sie ausschließlich von Medicinern geschrieben sind,
indem sie auf die juristischen und administrativen Rechtsgrundsätze nur
wenig Rücksicht nehmen. Peter Frank hat diese Forschungen eingeleitet,

eine amtliche und öffentliche ſei, daß dieſelbe daher unter einer gemein-
ſchaftlichen Leitung ſtehen, und ein ſelbſtändiges Glied des Verwal-
tungsorganismus ſein müſſe. Die beiden Haupterſcheinungen auf dieſem
Gebiete ſind die preußiſche Geſetzgebung von 1725 und die öſter-
reichiſche
von 1770. Damals wie jetzt ſchloſſen ſich an beide die
Geſetzgebungen der übrigen Staaten an, und ſo entſteht ein Syſtem
von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Geſundheitsweſen zu einem
integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden
die bisher beſtehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen dieſen großen
Geſetzen untergeordnet. Allein andererſeits blieben die kleinen Sou-
veränetäten der Reichsſtände noch beſtehen. Auf dieſe haben jene großen
Geſetze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner-
halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört-
liche Execution behält. So gut alſo auch theoretiſch jene, von den
bedeutendſten Männern der Wiſſenſchaft entworfenen Geſetze ſein mochten,
die wirkliche Geſundheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück.
Die Lücke zwiſchen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß
war um ſo weniger der Fall, als die Geſetzgebung ſelbſt an vielen
Orten noch auf einem niederen Standpunkt ſtand, und noch mit allerlei
traditionellen Vorſtellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an
Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man andererſeits kein
Bewußtſein von der entſcheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund-
lagen der Geſundheit, der elementaren Bedingungen derſelben; noch
erſchöpfte ſich, höchſtens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze
Verwaltung des Geſundheitsweſens vorzugsweiſe in der öffentlichen Ord-
nung des Heilperſonals, und erſt gegen Ende des vorigen Jahrhun-
derts beginnen die Geſetzgebungen, ſich einzelnen Lebensverhältniſſen
und ihres Verhältniſſes zur Geſundheit anzunehmen. Nach der ganzen
Geſtalt der Entwicklung mußte dieſelbe eben von der mediciniſchen
Wiſſenſchaft
erwartet werden; es wird für das ganze Geſundheits-
weſen entſcheidend, welches Princip und welchen Gang dieſelbe annimmt.
Sie hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil-
dung dieſes Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht
nicht bloß im Einzelnen ſondern auch im Ganzen das Geſundheitsweſen
unſerer Zeit.


Für die ältere Geſchichte des Geſundheitsweſens exiſtiren eine Reihe
trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je-
doch leicht anſieht, daß ſie ausſchließlich von Medicinern geſchrieben ſind,
indem ſie auf die juriſtiſchen und adminiſtrativen Rechtsgrundſätze nur
wenig Rückſicht nehmen. Peter Frank hat dieſe Forſchungen eingeleitet,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0027" n="11"/>
eine amtliche und öffentliche &#x017F;ei, daß die&#x017F;elbe daher unter einer gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Leitung &#x017F;tehen, und ein &#x017F;elb&#x017F;tändiges Glied des Verwal-<lb/>
tungsorganismus &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e. Die beiden Haupter&#x017F;cheinungen auf die&#x017F;em<lb/>
Gebiete &#x017F;ind die <hi rendition="#g">preußi&#x017F;che</hi> Ge&#x017F;etzgebung von 1725 und die <hi rendition="#g">ö&#x017F;ter-<lb/>
reichi&#x017F;che</hi> von 1770. Damals wie jetzt &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich an beide die<lb/>
Ge&#x017F;etzgebungen der übrigen Staaten an, und &#x017F;o ent&#x017F;teht ein Sy&#x017F;tem<lb/>
von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;en zu einem<lb/>
integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden<lb/>
die bisher be&#x017F;tehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen die&#x017F;en großen<lb/>
Ge&#x017F;etzen untergeordnet. Allein anderer&#x017F;eits blieben die kleinen Sou-<lb/>
veränetäten der Reichs&#x017F;tände noch be&#x017F;tehen. Auf die&#x017F;e haben jene großen<lb/>
Ge&#x017F;etze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner-<lb/>
halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört-<lb/>
liche Execution behält. So gut al&#x017F;o auch theoreti&#x017F;ch jene, von den<lb/>
bedeutend&#x017F;ten Männern der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft entworfenen Ge&#x017F;etze &#x017F;ein mochten,<lb/>
die wirkliche Ge&#x017F;undheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück.<lb/>
Die Lücke zwi&#x017F;chen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß<lb/>
war um &#x017F;o weniger der Fall, als die Ge&#x017F;etzgebung &#x017F;elb&#x017F;t an vielen<lb/>
Orten noch auf einem niederen Standpunkt &#x017F;tand, und noch mit allerlei<lb/>
traditionellen Vor&#x017F;tellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an<lb/>
Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man anderer&#x017F;eits kein<lb/>
Bewußt&#x017F;ein von der ent&#x017F;cheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund-<lb/>
lagen der Ge&#x017F;undheit, der elementaren Bedingungen der&#x017F;elben; noch<lb/>
er&#x017F;chöpfte &#x017F;ich, höch&#x017F;tens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze<lb/>
Verwaltung des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens vorzugswei&#x017F;e in der öffentlichen Ord-<lb/>
nung des Heilper&#x017F;onals, und er&#x017F;t gegen Ende des vorigen Jahrhun-<lb/>
derts beginnen die Ge&#x017F;etzgebungen, &#x017F;ich einzelnen Lebensverhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und ihres Verhältni&#x017F;&#x017F;es zur Ge&#x017F;undheit anzunehmen. Nach der ganzen<lb/>
Ge&#x017F;talt der Entwicklung mußte die&#x017F;elbe eben von der <hi rendition="#g">medicini&#x017F;chen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi> erwartet werden; es wird für das ganze Ge&#x017F;undheits-<lb/>
we&#x017F;en ent&#x017F;cheidend, welches Princip und welchen Gang die&#x017F;elbe annimmt.<lb/><hi rendition="#g">Sie</hi> hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil-<lb/>
dung die&#x017F;es Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht<lb/>
nicht bloß im Einzelnen &#x017F;ondern auch im Ganzen das Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;en<lb/>
un&#x017F;erer Zeit.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Für die ältere Ge&#x017F;chichte des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens exi&#x017F;tiren eine Reihe<lb/>
trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je-<lb/>
doch leicht an&#x017F;ieht, daß &#x017F;ie aus&#x017F;chließlich von Medicinern ge&#x017F;chrieben &#x017F;ind,<lb/>
indem &#x017F;ie auf die juri&#x017F;ti&#x017F;chen und admini&#x017F;trativen Rechtsgrund&#x017F;ätze nur<lb/>
wenig Rück&#x017F;icht nehmen. Peter Frank hat die&#x017F;e For&#x017F;chungen eingeleitet,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0027] eine amtliche und öffentliche ſei, daß dieſelbe daher unter einer gemein- ſchaftlichen Leitung ſtehen, und ein ſelbſtändiges Glied des Verwal- tungsorganismus ſein müſſe. Die beiden Haupterſcheinungen auf dieſem Gebiete ſind die preußiſche Geſetzgebung von 1725 und die öſter- reichiſche von 1770. Damals wie jetzt ſchloſſen ſich an beide die Geſetzgebungen der übrigen Staaten an, und ſo entſteht ein Syſtem von Medicinal-Polizeiordnungen, welche das Geſundheitsweſen zu einem integrirenden Theile des öffentlichen Rechts machen. Natürlich wurden die bisher beſtehenden, örtlichen Medicinal-Polizeiordnungen dieſen großen Geſetzen untergeordnet. Allein andererſeits blieben die kleinen Sou- veränetäten der Reichsſtände noch beſtehen. Auf dieſe haben jene großen Geſetze keinen unmittelbaren Einfluß und dazu kommt, daß auch inner- halb der größeren Staaten die Grundherrlichkeit nach wie vor die ört- liche Execution behält. So gut alſo auch theoretiſch jene, von den bedeutendſten Männern der Wiſſenſchaft entworfenen Geſetze ſein mochten, die wirkliche Geſundheitspflege blieb dennoch weit hinter ihnen zurück. Die Lücke zwiſchen Theorie und Praxis war nicht ausgefüllt, und dieß war um ſo weniger der Fall, als die Geſetzgebung ſelbſt an vielen Orten noch auf einem niederen Standpunkt ſtand, und noch mit allerlei traditionellen Vorſtellungen zu kämpfen hatte. Noch glaubten viele an Zauberei, Mirakel, Wunderkuren; noch hatte man andererſeits kein Bewußtſein von der entſcheidenden Bedeutung der allgemeinen Grund- lagen der Geſundheit, der elementaren Bedingungen derſelben; noch erſchöpfte ſich, höchſtens mit Ausnahme einzelner Seuchen, die ganze Verwaltung des Geſundheitsweſens vorzugsweiſe in der öffentlichen Ord- nung des Heilperſonals, und erſt gegen Ende des vorigen Jahrhun- derts beginnen die Geſetzgebungen, ſich einzelnen Lebensverhältniſſen und ihres Verhältniſſes zur Geſundheit anzunehmen. Nach der ganzen Geſtalt der Entwicklung mußte dieſelbe eben von der mediciniſchen Wiſſenſchaft erwartet werden; es wird für das ganze Geſundheits- weſen entſcheidend, welches Princip und welchen Gang dieſelbe annimmt. Sie hat mit dem Schluß des vorigen Jahrhunderts daher die Ausbil- dung dieſes Gebietes der Verwaltung übernommen, und auf ihr beruht nicht bloß im Einzelnen ſondern auch im Ganzen das Geſundheitsweſen unſerer Zeit. Für die ältere Geſchichte des Geſundheitsweſens exiſtiren eine Reihe trefflicher einzelner Bearbeitungen und Materialien, denen man es je- doch leicht anſieht, daß ſie ausſchließlich von Medicinern geſchrieben ſind, indem ſie auf die juriſtiſchen und adminiſtrativen Rechtsgrundſätze nur wenig Rückſicht nehmen. Peter Frank hat dieſe Forſchungen eingeleitet,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/27
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/27>, abgerufen am 22.11.2024.