geltenden Rechts wissenschaftliche Sammlungen angelegt werden, wie sie von Weiske und zum Theil von Zachariä versucht worden sind, man dabei die Gemeindeangehörigkeit mit dem Gemeindebürgerthum für sich, und die Gesammtheit aller das Heimathsrecht betreffenden Be- stimmungen gleichfalls für sich ins Auge fasse. Nur dadurch, daß man in der Wissenschaft beide Gesichtspunkte trennt, wird man die Aufgabe der Gesetzgebung richtig beurtheilen.
Der zweite und wichtigere wäre der, sich darüber zu einigen, daß alle Bestrebungen, welche man in dem Rechte der freien Nieder- lassung, der Freizügigkeit, des gleichmäßig geordneten Heimathsrechts oder anders zusammenfaßt, als für sich bestehende zu keinem Re- sultate führen können und ziemlich leere Redensarten bleiben müssen. Das Heimathsrecht ist und bleibt eine Angehörigkeit oder Zuständigkeit an eine administrative Aufgabe, die Aufgabe der Armenpflege. Es ist daher grundsätzlich falsch, diese administrative Aufgabe nach einem gegebenen örtlichen Ganzen ohne Rücksicht auf seine Gränzen und Kräfte, also nach der Ortsgemeinde einzurichten, statt für diese Verwaltungsaufgabe einen ihr entsprechenden Verwaltungskörper, die Armengemeinde zu schaffen. Will man aber das, so muß man allerdings sich erst über die Aufgabe -- die Armenverwaltung und ihre Bestimmung -- einig sein, ehe man zur Bildung von Armen- gemeinden und zur Feststellung ihrer Verfassung fortschreitet. Bisher hat das deutsche Armenwesen den umgekehrten Weg eingeschlagen, und statt die Gemeinden nach dem Hülfswesen, das Hülfswesen nach den (Orts)-Gemeinden eingerichtet. Die Grundlage eines einheitlichen und guten Heimathsrechts in allen deutschen Staaten kann künftig nur ein gutes System der Armenverwaltung sein. Dieß aber wird wieder nur dann seinem Zweck entsprechen, wenn ihm die durch- greifende Unterscheidung der persönlich und wirthschaftlich Ar- men, der Erwerbsunfähigen und Fähigen, zum Grund gelegt, und somit die wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Armenwesen und Hülfswesen zur Basis der Verwaltung überhaupt, speziell zur Basis der Leistungen der Gemeinden, und damit der Angehörigkeit gemacht, und den Ortsgemeinden die Erwerbsunfähigen, den Armen- gemeinden die Erwerbsfähigen, und den Stiftungen die Kranken überwiesen werden.
Stein, die Verwaltungslehre. II. 23
geltenden Rechts wiſſenſchaftliche Sammlungen angelegt werden, wie ſie von Weiske und zum Theil von Zachariä verſucht worden ſind, man dabei die Gemeindeangehörigkeit mit dem Gemeindebürgerthum für ſich, und die Geſammtheit aller das Heimathsrecht betreffenden Be- ſtimmungen gleichfalls für ſich ins Auge faſſe. Nur dadurch, daß man in der Wiſſenſchaft beide Geſichtspunkte trennt, wird man die Aufgabe der Geſetzgebung richtig beurtheilen.
Der zweite und wichtigere wäre der, ſich darüber zu einigen, daß alle Beſtrebungen, welche man in dem Rechte der freien Nieder- laſſung, der Freizügigkeit, des gleichmäßig geordneten Heimathsrechts oder anders zuſammenfaßt, als für ſich beſtehende zu keinem Re- ſultate führen können und ziemlich leere Redensarten bleiben müſſen. Das Heimathsrecht iſt und bleibt eine Angehörigkeit oder Zuſtändigkeit an eine adminiſtrative Aufgabe, die Aufgabe der Armenpflege. Es iſt daher grundſätzlich falſch, dieſe adminiſtrative Aufgabe nach einem gegebenen örtlichen Ganzen ohne Rückſicht auf ſeine Gränzen und Kräfte, alſo nach der Ortsgemeinde einzurichten, ſtatt für dieſe Verwaltungsaufgabe einen ihr entſprechenden Verwaltungskörper, die Armengemeinde zu ſchaffen. Will man aber das, ſo muß man allerdings ſich erſt über die Aufgabe — die Armenverwaltung und ihre Beſtimmung — einig ſein, ehe man zur Bildung von Armen- gemeinden und zur Feſtſtellung ihrer Verfaſſung fortſchreitet. Bisher hat das deutſche Armenweſen den umgekehrten Weg eingeſchlagen, und ſtatt die Gemeinden nach dem Hülfsweſen, das Hülfsweſen nach den (Orts)-Gemeinden eingerichtet. Die Grundlage eines einheitlichen und guten Heimathsrechts in allen deutſchen Staaten kann künftig nur ein gutes Syſtem der Armenverwaltung ſein. Dieß aber wird wieder nur dann ſeinem Zweck entſprechen, wenn ihm die durch- greifende Unterſcheidung der perſönlich und wirthſchaftlich Ar- men, der Erwerbsunfähigen und Fähigen, zum Grund gelegt, und ſomit die wiſſenſchaftliche Unterſcheidung zwiſchen Armenweſen und Hülfsweſen zur Baſis der Verwaltung überhaupt, ſpeziell zur Baſis der Leiſtungen der Gemeinden, und damit der Angehörigkeit gemacht, und den Ortsgemeinden die Erwerbsunfähigen, den Armen- gemeinden die Erwerbsfähigen, und den Stiftungen die Kranken überwieſen werden.
Stein, die Verwaltungslehre. II. 23
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ſich, und die Geſammtheit aller das Heimathsrecht betreffenden Be-
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man in der Wiſſenſchaft beide Geſichtspunkte trennt, wird man die
Aufgabe der Geſetzgebung richtig beurtheilen.
Der zweite und wichtigere wäre der, ſich darüber zu einigen,
daß alle Beſtrebungen, welche man in dem Rechte der freien Nieder-
laſſung, der Freizügigkeit, des gleichmäßig geordneten Heimathsrechts
oder anders zuſammenfaßt, als für ſich beſtehende zu keinem Re-
ſultate führen können und ziemlich leere Redensarten bleiben müſſen.
Das Heimathsrecht iſt und bleibt eine Angehörigkeit oder Zuſtändigkeit
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Es iſt daher grundſätzlich falſch, dieſe adminiſtrative Aufgabe nach einem
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die Armengemeinde zu ſchaffen. Will man aber das, ſo muß man
allerdings ſich erſt über die Aufgabe — die Armenverwaltung und
ihre Beſtimmung — einig ſein, ehe man zur Bildung von Armen-
gemeinden und zur Feſtſtellung ihrer Verfaſſung fortſchreitet. Bisher
hat das deutſche Armenweſen den umgekehrten Weg eingeſchlagen, und
ſtatt die Gemeinden nach dem Hülfsweſen, das Hülfsweſen nach den
(Orts)-Gemeinden eingerichtet. Die Grundlage eines einheitlichen und
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nur ein gutes Syſtem der Armenverwaltung ſein. Dieß aber
wird wieder nur dann ſeinem Zweck entſprechen, wenn ihm die durch-
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men, der Erwerbsunfähigen und Fähigen, zum Grund gelegt, und
ſomit die wiſſenſchaftliche Unterſcheidung zwiſchen Armenweſen und
Hülfsweſen zur Baſis der Verwaltung überhaupt, ſpeziell zur Baſis
der Leiſtungen der Gemeinden, und damit der Angehörigkeit gemacht,
und den Ortsgemeinden die Erwerbsunfähigen, den Armen-
gemeinden die Erwerbsfähigen, und den Stiftungen die
Kranken überwieſen werden.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/375>, abgerufen am 16.07.2024.
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