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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Eheconsense führte. So entstand innerhalb des Gemeindeange-
hörigkeitsrechts das Recht der Niederlassung, oder die Formen
und Bedingungen, unter denen die Niederlassung als Gemeindeange-
hörigkeit noch ohne Heimathsrechtsrecht oder ohne Armenzuständig-
keit
erworben wurde; ein Verhältniß, das wiederum weder England
noch Frankreich kennen. -- Diesem Niederlassungsrecht, der negativen
Seite der Gemeindeangehörigkeit tritt nun natürlich das Princip der
freien Bewegung entschieden entgegen und fand seinen Ausdruck in der
Forderung, daß jeder an jedem Orte sich niederlassen dürfe, oder in
dem Rechte der Freizügigkeit. Beide standen in scharfem Wider-
spruch, und stehen noch darin. Das negative Niederlassungsrecht beruht
auf dem Gemeinderecht, das positive Freizügigkeitsrecht auf dem Staats-
bürgerrecht. Jenes hat seinen Grund im historischen Element der alten
Ortsgemeinde und im administrativen der Identität von Orts- und
Armengemeinde; dieses im Wesen des staatsbürgerlichen freien Gewerbes
und in dem Princip des freien Hilfswesens. Beide Rechte können nun diese
oder jene Form haben, aber es ist keinen Augenblick zweifelhaft, daß
sie sich principiell unter allen Formen gegenseitig aufheben. Es
ist absolut unthunlich, ein Freizügigkeitsrecht mit irgend einem
Niederlassungsrecht zu verbinden
. Hier gibt es daher gar kein
Auskunftsmittel, sondern nur ein neues Princip; und es ist schon hier
klar, daß, wenn die Freizügigkeit als nothwendig anerkannt wird, dies
als unbedingte Consequenz die Modifikation der Verpflichtung der Orts-
gemeinde für die Versorgung der heimathberechtigten Armen erzeugen muß.

Die zweite Frage nach dem Erwerb der gewerblichen Heimath war
dann die Dauer des Aufenthalts, welche dem Erwerbe vorausgehen
muß. Im Grunde kommt es dabei nicht viel darauf an, wie lang
man diese Dauer setzt, sondern nur darauf, daß sie für alle Gemeinden
gleich lang sey, da sonst der sich Niederlassende leicht ohne alle
gewerbliche Heimath sein kann, und auf die rein zufällige natürliche
Heimath zurückgeworfen wird. Um diese Dauer gleichmäßig herzustellen,
muß sie natürlich nicht mehr der Selbstbestimmung der Gemeinden,
sondern der Gesetzgebung überlassen werden. Das wird in denjenigen
Staaten nothwendig, wo auch die wirthschaftliche Armuth als Ver-
waltungsaufgabe des Staats und nicht als Sache der Privatwohl-
thätigkeit erkannt wird. Daher haben England und die deutschen
Staaten solche Gesetzgebungen, Frankreich aber nicht.

In Folge aller dieser Punkte tritt das Heimathswesen in Deutsch-
land in ein doppeltes wunderlich verwirrtes Verhältniß. Es ist zugleich
ein Theil der Gemeindezuständigkeit, und zugleich auch nicht. Es
gehört demselben, indem die Ortsgemeinde die Verwaltungs-

Eheconſenſe führte. So entſtand innerhalb des Gemeindeange-
hörigkeitsrechts das Recht der Niederlaſſung, oder die Formen
und Bedingungen, unter denen die Niederlaſſung als Gemeindeange-
hörigkeit noch ohne Heimathsrechtsrecht oder ohne Armenzuſtändig-
keit
erworben wurde; ein Verhältniß, das wiederum weder England
noch Frankreich kennen. — Dieſem Niederlaſſungsrecht, der negativen
Seite der Gemeindeangehörigkeit tritt nun natürlich das Princip der
freien Bewegung entſchieden entgegen und fand ſeinen Ausdruck in der
Forderung, daß jeder an jedem Orte ſich niederlaſſen dürfe, oder in
dem Rechte der Freizügigkeit. Beide ſtanden in ſcharfem Wider-
ſpruch, und ſtehen noch darin. Das negative Niederlaſſungsrecht beruht
auf dem Gemeinderecht, das poſitive Freizügigkeitsrecht auf dem Staats-
bürgerrecht. Jenes hat ſeinen Grund im hiſtoriſchen Element der alten
Ortsgemeinde und im adminiſtrativen der Identität von Orts- und
Armengemeinde; dieſes im Weſen des ſtaatsbürgerlichen freien Gewerbes
und in dem Princip des freien Hilfsweſens. Beide Rechte können nun dieſe
oder jene Form haben, aber es iſt keinen Augenblick zweifelhaft, daß
ſie ſich principiell unter allen Formen gegenſeitig aufheben. Es
iſt abſolut unthunlich, ein Freizügigkeitsrecht mit irgend einem
Niederlaſſungsrecht zu verbinden
. Hier gibt es daher gar kein
Auskunftsmittel, ſondern nur ein neues Princip; und es iſt ſchon hier
klar, daß, wenn die Freizügigkeit als nothwendig anerkannt wird, dies
als unbedingte Conſequenz die Modifikation der Verpflichtung der Orts-
gemeinde für die Verſorgung der heimathberechtigten Armen erzeugen muß.

Die zweite Frage nach dem Erwerb der gewerblichen Heimath war
dann die Dauer des Aufenthalts, welche dem Erwerbe vorausgehen
muß. Im Grunde kommt es dabei nicht viel darauf an, wie lang
man dieſe Dauer ſetzt, ſondern nur darauf, daß ſie für alle Gemeinden
gleich lang ſey, da ſonſt der ſich Niederlaſſende leicht ohne alle
gewerbliche Heimath ſein kann, und auf die rein zufällige natürliche
Heimath zurückgeworfen wird. Um dieſe Dauer gleichmäßig herzuſtellen,
muß ſie natürlich nicht mehr der Selbſtbeſtimmung der Gemeinden,
ſondern der Geſetzgebung überlaſſen werden. Das wird in denjenigen
Staaten nothwendig, wo auch die wirthſchaftliche Armuth als Ver-
waltungsaufgabe des Staats und nicht als Sache der Privatwohl-
thätigkeit erkannt wird. Daher haben England und die deutſchen
Staaten ſolche Geſetzgebungen, Frankreich aber nicht.

In Folge aller dieſer Punkte tritt das Heimathsweſen in Deutſch-
land in ein doppeltes wunderlich verwirrtes Verhältniß. Es iſt zugleich
ein Theil der Gemeindezuſtändigkeit, und zugleich auch nicht. Es
gehört demſelben, indem die Ortsgemeinde die Verwaltungs-

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[338/0360] Eheconſenſe führte. So entſtand innerhalb des Gemeindeange- hörigkeitsrechts das Recht der Niederlaſſung, oder die Formen und Bedingungen, unter denen die Niederlaſſung als Gemeindeange- hörigkeit noch ohne Heimathsrechtsrecht oder ohne Armenzuſtändig- keit erworben wurde; ein Verhältniß, das wiederum weder England noch Frankreich kennen. — Dieſem Niederlaſſungsrecht, der negativen Seite der Gemeindeangehörigkeit tritt nun natürlich das Princip der freien Bewegung entſchieden entgegen und fand ſeinen Ausdruck in der Forderung, daß jeder an jedem Orte ſich niederlaſſen dürfe, oder in dem Rechte der Freizügigkeit. Beide ſtanden in ſcharfem Wider- ſpruch, und ſtehen noch darin. Das negative Niederlaſſungsrecht beruht auf dem Gemeinderecht, das poſitive Freizügigkeitsrecht auf dem Staats- bürgerrecht. Jenes hat ſeinen Grund im hiſtoriſchen Element der alten Ortsgemeinde und im adminiſtrativen der Identität von Orts- und Armengemeinde; dieſes im Weſen des ſtaatsbürgerlichen freien Gewerbes und in dem Princip des freien Hilfsweſens. Beide Rechte können nun dieſe oder jene Form haben, aber es iſt keinen Augenblick zweifelhaft, daß ſie ſich principiell unter allen Formen gegenſeitig aufheben. Es iſt abſolut unthunlich, ein Freizügigkeitsrecht mit irgend einem Niederlaſſungsrecht zu verbinden. Hier gibt es daher gar kein Auskunftsmittel, ſondern nur ein neues Princip; und es iſt ſchon hier klar, daß, wenn die Freizügigkeit als nothwendig anerkannt wird, dies als unbedingte Conſequenz die Modifikation der Verpflichtung der Orts- gemeinde für die Verſorgung der heimathberechtigten Armen erzeugen muß. Die zweite Frage nach dem Erwerb der gewerblichen Heimath war dann die Dauer des Aufenthalts, welche dem Erwerbe vorausgehen muß. Im Grunde kommt es dabei nicht viel darauf an, wie lang man dieſe Dauer ſetzt, ſondern nur darauf, daß ſie für alle Gemeinden gleich lang ſey, da ſonſt der ſich Niederlaſſende leicht ohne alle gewerbliche Heimath ſein kann, und auf die rein zufällige natürliche Heimath zurückgeworfen wird. Um dieſe Dauer gleichmäßig herzuſtellen, muß ſie natürlich nicht mehr der Selbſtbeſtimmung der Gemeinden, ſondern der Geſetzgebung überlaſſen werden. Das wird in denjenigen Staaten nothwendig, wo auch die wirthſchaftliche Armuth als Ver- waltungsaufgabe des Staats und nicht als Sache der Privatwohl- thätigkeit erkannt wird. Daher haben England und die deutſchen Staaten ſolche Geſetzgebungen, Frankreich aber nicht. In Folge aller dieſer Punkte tritt das Heimathsweſen in Deutſch- land in ein doppeltes wunderlich verwirrtes Verhältniß. Es iſt zugleich ein Theil der Gemeindezuſtändigkeit, und zugleich auch nicht. Es gehört demſelben, indem die Ortsgemeinde die Verwaltungs-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/360>, abgerufen am 22.11.2024.