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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Neben ihr entsteht schon im 16. Jahrhundert die Polizei der herum-
wandernden, der nicht ansässigen Personen, die Polizei der Bettler und
und Vagabunden. Wir werden später die historische Entwicklung des
Begriffs der Vagabunden bezeichnen. Hier muß die bekannte Thatsache
genügen, daß die uralte Idee der Friedlosigkeit des Heimathlosen sich
auf diese Zeit vererbt, und der Vagabund und Bettler als ein Friede-
brecher hart, ja mit dem Tode bestraft wird. Die Gefahr, welche die-
selben bringen, kann nun zwar die einzelne Gemeinde dadurch be-
kämpfen, daß sie die Herumstreicher ausweist; allein jede Ausweisung
wirft sie am Ende doch nur von einer Gemeinde zur andern. Man
muß daher, namentlich seit dem dreißigjährigen Kriege, das Vagabunden-
thum durch ein eigenes Organ bekämpfen. So entsteht das Institut
der Landreiter, Landdragoner, Hatschiere, Gendarmen; mit ihnen der
Gedanke, die Sicherheitspolizei überhaupt zu einer selbständigen Funktion
zu erheben; mit diesem Gedanken die Nothwendigkeit, eine eigene Ein-
theilung des Landes, die Herstellung von Polizeidistrikten für sie einzu-
führen. Natürlich haben dieselben ihre eigene Competenz, und diese
Competenz als Theil der amtlichen Organisation, würde hier kaum
eine besondere Stelle finden, wenn sie nicht auf einen andern Punkt
hinüber geführt hätte. Dieser Punkt war das Heimathwesen und seine
gesetzliche Feststellung.

Offenbar nämlich konnte jenes bloße polizeiliche Ergreifen und Be-
strafen der Herumstreicher und Bettler nicht genügen. Man mußte ihnen
einen dauernden Aufenthalt anweisen, und endlich mußten sie an diesem
Aufenthalt auch verpflegt werden. So schloß sich an die Entstehung
und Ordnung der Sicherheits- und speciell der Bettelpolizei die Frage,
aus welcher in Deutschland wie in der ganzen Welt das Heimaths-
wesen entstanden ist, die Frage nach den Grundsätzen für die Ver-
pflichtung
zur Armenunterstützung.

Auch in Deutschland wie in der übrigen Welt war die Armen-
unterstützung so alt wie die gesellschaftliche Ordnung überhaupt. Sie
hatte sogar ihre eigenen Institute, zum Theil ihre eigenen Organe. Es
gab Krankenhäuser, Hospitäler, Almosen und anderes lange ehe man
an das Heimathswesen dachte. Allein diese Armenunterstützung war
anfangs eine sittliche, nur von der Kirche, und keine staatliche, von
der Verwaltung vertretene Pflicht. Als nun aber der Staat als
Sicherheitspolizei das erwerblose Herumwandern verbietet, kann er die
Aufnahme des Angehörigen in seine Gemeinde nicht mehr von dem
guten Willen derselben abhängig machen, und zweitens muß er die
Gemeinde verpflichten, den Aufgenommenen auch nothdürftig zu unter-
halten. Er muß daher eine Angehörigkeit setzen, die von ihm ausgeht,

Neben ihr entſteht ſchon im 16. Jahrhundert die Polizei der herum-
wandernden, der nicht anſäſſigen Perſonen, die Polizei der Bettler und
und Vagabunden. Wir werden ſpäter die hiſtoriſche Entwicklung des
Begriffs der Vagabunden bezeichnen. Hier muß die bekannte Thatſache
genügen, daß die uralte Idee der Friedloſigkeit des Heimathloſen ſich
auf dieſe Zeit vererbt, und der Vagabund und Bettler als ein Friede-
brecher hart, ja mit dem Tode beſtraft wird. Die Gefahr, welche die-
ſelben bringen, kann nun zwar die einzelne Gemeinde dadurch be-
kämpfen, daß ſie die Herumſtreicher ausweist; allein jede Ausweiſung
wirft ſie am Ende doch nur von einer Gemeinde zur andern. Man
muß daher, namentlich ſeit dem dreißigjährigen Kriege, das Vagabunden-
thum durch ein eigenes Organ bekämpfen. So entſteht das Inſtitut
der Landreiter, Landdragoner, Hatſchiere, Gendarmen; mit ihnen der
Gedanke, die Sicherheitspolizei überhaupt zu einer ſelbſtändigen Funktion
zu erheben; mit dieſem Gedanken die Nothwendigkeit, eine eigene Ein-
theilung des Landes, die Herſtellung von Polizeidiſtrikten für ſie einzu-
führen. Natürlich haben dieſelben ihre eigene Competenz, und dieſe
Competenz als Theil der amtlichen Organiſation, würde hier kaum
eine beſondere Stelle finden, wenn ſie nicht auf einen andern Punkt
hinüber geführt hätte. Dieſer Punkt war das Heimathweſen und ſeine
geſetzliche Feſtſtellung.

Offenbar nämlich konnte jenes bloße polizeiliche Ergreifen und Be-
ſtrafen der Herumſtreicher und Bettler nicht genügen. Man mußte ihnen
einen dauernden Aufenthalt anweiſen, und endlich mußten ſie an dieſem
Aufenthalt auch verpflegt werden. So ſchloß ſich an die Entſtehung
und Ordnung der Sicherheits- und ſpeciell der Bettelpolizei die Frage,
aus welcher in Deutſchland wie in der ganzen Welt das Heimaths-
weſen entſtanden iſt, die Frage nach den Grundſätzen für die Ver-
pflichtung
zur Armenunterſtützung.

Auch in Deutſchland wie in der übrigen Welt war die Armen-
unterſtützung ſo alt wie die geſellſchaftliche Ordnung überhaupt. Sie
hatte ſogar ihre eigenen Inſtitute, zum Theil ihre eigenen Organe. Es
gab Krankenhäuſer, Hoſpitäler, Almoſen und anderes lange ehe man
an das Heimathsweſen dachte. Allein dieſe Armenunterſtützung war
anfangs eine ſittliche, nur von der Kirche, und keine ſtaatliche, von
der Verwaltung vertretene Pflicht. Als nun aber der Staat als
Sicherheitspolizei das erwerbloſe Herumwandern verbietet, kann er die
Aufnahme des Angehörigen in ſeine Gemeinde nicht mehr von dem
guten Willen derſelben abhängig machen, und zweitens muß er die
Gemeinde verpflichten, den Aufgenommenen auch nothdürftig zu unter-
halten. Er muß daher eine Angehörigkeit ſetzen, die von ihm ausgeht,

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[325/0347] Neben ihr entſteht ſchon im 16. Jahrhundert die Polizei der herum- wandernden, der nicht anſäſſigen Perſonen, die Polizei der Bettler und und Vagabunden. Wir werden ſpäter die hiſtoriſche Entwicklung des Begriffs der Vagabunden bezeichnen. Hier muß die bekannte Thatſache genügen, daß die uralte Idee der Friedloſigkeit des Heimathloſen ſich auf dieſe Zeit vererbt, und der Vagabund und Bettler als ein Friede- brecher hart, ja mit dem Tode beſtraft wird. Die Gefahr, welche die- ſelben bringen, kann nun zwar die einzelne Gemeinde dadurch be- kämpfen, daß ſie die Herumſtreicher ausweist; allein jede Ausweiſung wirft ſie am Ende doch nur von einer Gemeinde zur andern. Man muß daher, namentlich ſeit dem dreißigjährigen Kriege, das Vagabunden- thum durch ein eigenes Organ bekämpfen. So entſteht das Inſtitut der Landreiter, Landdragoner, Hatſchiere, Gendarmen; mit ihnen der Gedanke, die Sicherheitspolizei überhaupt zu einer ſelbſtändigen Funktion zu erheben; mit dieſem Gedanken die Nothwendigkeit, eine eigene Ein- theilung des Landes, die Herſtellung von Polizeidiſtrikten für ſie einzu- führen. Natürlich haben dieſelben ihre eigene Competenz, und dieſe Competenz als Theil der amtlichen Organiſation, würde hier kaum eine beſondere Stelle finden, wenn ſie nicht auf einen andern Punkt hinüber geführt hätte. Dieſer Punkt war das Heimathweſen und ſeine geſetzliche Feſtſtellung. Offenbar nämlich konnte jenes bloße polizeiliche Ergreifen und Be- ſtrafen der Herumſtreicher und Bettler nicht genügen. Man mußte ihnen einen dauernden Aufenthalt anweiſen, und endlich mußten ſie an dieſem Aufenthalt auch verpflegt werden. So ſchloß ſich an die Entſtehung und Ordnung der Sicherheits- und ſpeciell der Bettelpolizei die Frage, aus welcher in Deutſchland wie in der ganzen Welt das Heimaths- weſen entſtanden iſt, die Frage nach den Grundſätzen für die Ver- pflichtung zur Armenunterſtützung. Auch in Deutſchland wie in der übrigen Welt war die Armen- unterſtützung ſo alt wie die geſellſchaftliche Ordnung überhaupt. Sie hatte ſogar ihre eigenen Inſtitute, zum Theil ihre eigenen Organe. Es gab Krankenhäuſer, Hoſpitäler, Almoſen und anderes lange ehe man an das Heimathsweſen dachte. Allein dieſe Armenunterſtützung war anfangs eine ſittliche, nur von der Kirche, und keine ſtaatliche, von der Verwaltung vertretene Pflicht. Als nun aber der Staat als Sicherheitspolizei das erwerbloſe Herumwandern verbietet, kann er die Aufnahme des Angehörigen in ſeine Gemeinde nicht mehr von dem guten Willen derſelben abhängig machen, und zweitens muß er die Gemeinde verpflichten, den Aufgenommenen auch nothdürftig zu unter- halten. Er muß daher eine Angehörigkeit ſetzen, die von ihm ausgeht,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/347>, abgerufen am 24.11.2024.