bedürfte, um sich in der Fülle und dem Drängen der unendlichen Einzel- heiten zurecht zu finden. Sie ist nicht eine formelle Begründung des Einzelnen, was man will oder verbietet. Die Idee des Staats ist vielmehr das Gewissen der Verwaltung. Sie ist der einzige Rechtstitel, der den Staat ermächtigt, in die freie Sphäre des indivi- duellen Daseins hineinzugreifen; sie ist dasjenige, was die Verantwort- lichkeit übernimmt, die dem Individuum unendlich viel zu groß ist; sie ist das versöhnende Element, wo die That der Verwaltung hart gefühlt wird und die Leidenden das als nothwendig Erkannte mit Klagen und Vorwürfen bekämpfen; sie ist der freie Blick in die Zukunft, wo die Verwirrung der Gegenwart uns über die Wahrheit und den Werth des für den Augenblick Zweifelhaften unsicher macht; niemand kann ihrer entbehren, denn immer und zu aller Zeit hat der Gang und das leitende Princip der Staatsverwaltung auf demjenigen beruht, was sich die leitenden Geister in dem Begriffe des Staats gedacht haben.
Und in diesem Sinne nun sagen wir, daß wenn man von innerer Verwaltung und Verwaltungslehre als einem Ganzen redet, die eigentliche Grundlage der Gestalt derselben, sowie ihrer Geschichte doch zuletzt nur in der Gestalt und der Geschichte der Staatsidee gegeben ist. Denn die ganze Verwaltungslehre, oder wie man sie bisher ge- nannt, Polizeiwissenschaft, erscheint in der That nur als Anwendung jener Idee des Staats auf die einzelnen Gebiete der innern Verwal- tung. Für den Gang der letzteren im Großen und Ganzen hat die Behandlung der einzelnen Theile um so weniger Bedeutung, als die- selbe zuletzt doch immer fast unwillkürlich auf die Idee des Staats zurückkommt. Und wenn es daher gelingt, die große Entwicklung des letzteren auf ihre einfachen Elemente und Grundformen zurückzuführen, so ist damit die wahre und einzige Grundlage der Geschichte der Ver- waltungslehre oder Polizeiwissenschaft gefunden.
Wir müssen das nachdrücklich hervorheben, denn in neuerer Zeit hat sich mehrfach, wie bei Mohl und zuletzt wieder bei Funk (Auffassung des Begriffes der Polizei im vorigen Jahrhundert, Zeitschrift für die Staatswissenschaft, Bd. XIX.) der Gedanke geltend gemacht, als könne man eine Geschichte der "Polizei" für sich aufstellen, und höchstens daneben die Geschichte des Staatsbegriffes als etwas, das auf jene "Einfluß" hat, hinstellen. Das ist falsch. Das was wir früher Polizei genannt und jetzt Verwaltungslehre nennen, hat gar keine Entwicklung, keine Geschichte für sich. Es ist nichts als der Reflex, die systematisirte An- wendung und Ausarbeitung des Staatsbegriffes für das Gebiet der Verwaltungsaufgaben desselben. Der "innige Zusammenhang" ist viel- mehr ein Verhalten des Ergänzt- und Beherrschtwerdens der letzteren
bedürfte, um ſich in der Fülle und dem Drängen der unendlichen Einzel- heiten zurecht zu finden. Sie iſt nicht eine formelle Begründung des Einzelnen, was man will oder verbietet. Die Idee des Staats iſt vielmehr das Gewiſſen der Verwaltung. Sie iſt der einzige Rechtstitel, der den Staat ermächtigt, in die freie Sphäre des indivi- duellen Daſeins hineinzugreifen; ſie iſt dasjenige, was die Verantwort- lichkeit übernimmt, die dem Individuum unendlich viel zu groß iſt; ſie iſt das verſöhnende Element, wo die That der Verwaltung hart gefühlt wird und die Leidenden das als nothwendig Erkannte mit Klagen und Vorwürfen bekämpfen; ſie iſt der freie Blick in die Zukunft, wo die Verwirrung der Gegenwart uns über die Wahrheit und den Werth des für den Augenblick Zweifelhaften unſicher macht; niemand kann ihrer entbehren, denn immer und zu aller Zeit hat der Gang und das leitende Princip der Staatsverwaltung auf demjenigen beruht, was ſich die leitenden Geiſter in dem Begriffe des Staats gedacht haben.
Und in dieſem Sinne nun ſagen wir, daß wenn man von innerer Verwaltung und Verwaltungslehre als einem Ganzen redet, die eigentliche Grundlage der Geſtalt derſelben, ſowie ihrer Geſchichte doch zuletzt nur in der Geſtalt und der Geſchichte der Staatsidee gegeben iſt. Denn die ganze Verwaltungslehre, oder wie man ſie bisher ge- nannt, Polizeiwiſſenſchaft, erſcheint in der That nur als Anwendung jener Idee des Staats auf die einzelnen Gebiete der innern Verwal- tung. Für den Gang der letzteren im Großen und Ganzen hat die Behandlung der einzelnen Theile um ſo weniger Bedeutung, als die- ſelbe zuletzt doch immer faſt unwillkürlich auf die Idee des Staats zurückkommt. Und wenn es daher gelingt, die große Entwicklung des letzteren auf ihre einfachen Elemente und Grundformen zurückzuführen, ſo iſt damit die wahre und einzige Grundlage der Geſchichte der Ver- waltungslehre oder Polizeiwiſſenſchaft gefunden.
Wir müſſen das nachdrücklich hervorheben, denn in neuerer Zeit hat ſich mehrfach, wie bei Mohl und zuletzt wieder bei Funk (Auffaſſung des Begriffes der Polizei im vorigen Jahrhundert, Zeitſchrift für die Staatswiſſenſchaft, Bd. XIX.) der Gedanke geltend gemacht, als könne man eine Geſchichte der „Polizei“ für ſich aufſtellen, und höchſtens daneben die Geſchichte des Staatsbegriffes als etwas, das auf jene „Einfluß“ hat, hinſtellen. Das iſt falſch. Das was wir früher Polizei genannt und jetzt Verwaltungslehre nennen, hat gar keine Entwicklung, keine Geſchichte für ſich. Es iſt nichts als der Reflex, die ſyſtematiſirte An- wendung und Ausarbeitung des Staatsbegriffes für das Gebiet der Verwaltungsaufgaben deſſelben. Der „innige Zuſammenhang“ iſt viel- mehr ein Verhalten des Ergänzt- und Beherrſchtwerdens der letzteren
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[10/0032]
bedürfte, um ſich in der Fülle und dem Drängen der unendlichen Einzel-
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vielmehr das Gewiſſen der Verwaltung. Sie iſt der einzige
Rechtstitel, der den Staat ermächtigt, in die freie Sphäre des indivi-
duellen Daſeins hineinzugreifen; ſie iſt dasjenige, was die Verantwort-
lichkeit übernimmt, die dem Individuum unendlich viel zu groß iſt; ſie
iſt das verſöhnende Element, wo die That der Verwaltung hart gefühlt
wird und die Leidenden das als nothwendig Erkannte mit Klagen
und Vorwürfen bekämpfen; ſie iſt der freie Blick in die Zukunft, wo
die Verwirrung der Gegenwart uns über die Wahrheit und den Werth
des für den Augenblick Zweifelhaften unſicher macht; niemand kann
ihrer entbehren, denn immer und zu aller Zeit hat der Gang und das
leitende Princip der Staatsverwaltung auf demjenigen beruht, was ſich
die leitenden Geiſter in dem Begriffe des Staats gedacht haben.
Und in dieſem Sinne nun ſagen wir, daß wenn man von innerer
Verwaltung und Verwaltungslehre als einem Ganzen redet, die
eigentliche Grundlage der Geſtalt derſelben, ſowie ihrer Geſchichte doch
zuletzt nur in der Geſtalt und der Geſchichte der Staatsidee gegeben
iſt. Denn die ganze Verwaltungslehre, oder wie man ſie bisher ge-
nannt, Polizeiwiſſenſchaft, erſcheint in der That nur als Anwendung
jener Idee des Staats auf die einzelnen Gebiete der innern Verwal-
tung. Für den Gang der letzteren im Großen und Ganzen hat die
Behandlung der einzelnen Theile um ſo weniger Bedeutung, als die-
ſelbe zuletzt doch immer faſt unwillkürlich auf die Idee des Staats
zurückkommt. Und wenn es daher gelingt, die große Entwicklung des
letzteren auf ihre einfachen Elemente und Grundformen zurückzuführen,
ſo iſt damit die wahre und einzige Grundlage der Geſchichte der Ver-
waltungslehre oder Polizeiwiſſenſchaft gefunden.
Wir müſſen das nachdrücklich hervorheben, denn in neuerer Zeit hat
ſich mehrfach, wie bei Mohl und zuletzt wieder bei Funk (Auffaſſung
des Begriffes der Polizei im vorigen Jahrhundert, Zeitſchrift für die
Staatswiſſenſchaft, Bd. XIX.) der Gedanke geltend gemacht, als könne man
eine Geſchichte der „Polizei“ für ſich aufſtellen, und höchſtens daneben
die Geſchichte des Staatsbegriffes als etwas, das auf jene „Einfluß“
hat, hinſtellen. Das iſt falſch. Das was wir früher Polizei genannt
und jetzt Verwaltungslehre nennen, hat gar keine Entwicklung, keine
Geſchichte für ſich. Es iſt nichts als der Reflex, die ſyſtematiſirte An-
wendung und Ausarbeitung des Staatsbegriffes für das Gebiet der
Verwaltungsaufgaben deſſelben. Der „innige Zuſammenhang“ iſt viel-
mehr ein Verhalten des Ergänzt- und Beherrſchtwerdens der letzteren
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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