Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Gemeinde gestattet ward; diese Entschädigung war das jus detractionis,
gabella detractionis, gabella traditoria,
Abzug, Abschoß, Erbsteuer,
Weddeschatz, die von der Reichsproceßordnung 1594, §. 82 zuerst als
ein gemeingültiges deutsches Recht auch formell anerkannt wurden. --
An die obigen Consequenzen schloß sich nun eine letzte. Derselbe Grund-
satz, der für das Gut des Todten galt, mußte natürlich auch für das
des Lebenden gelten. Zwar durfte der Unfreie natürlich überhaupt
nicht auswandern, da er ja an die Scholle gebunden war, und der
Lehnsherr (in dessen aveu er stand) das Recht auch auf seine Person
hatte. Allein der Freie durfte wandern. Nach der Geschlechterordnung
war er durch nichts darin gehindert; nur war es bei der Gemeinschaft
des Rechts der Bauern an der Gemarkung selbstverständlich, daß er
sein "Gut" zurückließ. Dieser vollständige Verlust des Gutes trat
nun in der späteren Lehensepoche in entschiedenen Widerspruch mit dem
Bedürfniß nach freierem Verkehr, und es lag daher nahe, auf den
Auswandernden und sein Gut denselben Grundsatz anzuwenden, wie
auf den fremden Erbberechtigten; denn in der That ward ja der Aus-
wanderer jetzt ein Fremder. Man gestattete daher auch die Auswan-
derung gegen eine Entschädigung an den Grundherrn oder die Ge-
meinde, und so entstand die zweite Form des detractus oder gabella:
der census oder die gabella emigrationis, die Nachsteuer, der
Nachschoß. Man faßte nun die Abzüge wegen Erbschaft und die
wegen Auswanderung vielfach als ein und dasselbe Recht, als jus
detractus
oder Detractrecht zusammen, wobei nur die Abzugs-
quote verschieden war, und bei der durchgreifenden Gemeinsamkeit der
Grundlage war das im Grunde ganz richtig, weßhalb auch die viel-
fachen juristischen Abhandlungen -- die, so viel wir sehen, mit Affel-
manns
Dissertation de jure seu gabella detractionis, Rost. 1622
beginnen -- sie stets gemeinsam behandeln. Wenn Fischer es Selchow
so gar sehr zum Vorwurf macht, daß auch er sie in seinem Element.
Juris German.
§. 223 zusammenfaßt, so beruht das darauf, daß die
Auffassung des Detractrechts zur Zeit des Ersteren schon eine ganz andere
war, wie wir gleich zeigen werden. Dieß Detractsrecht nun, ursprüng-
lich aus der Idee der Gemeinschaft des Gemeindebesitzes entstanden,
erschien mit dem 14. Jahrhundert schon als ein integrirendes Element
der Grundherrlichkeit, und hier wie auf fast allen Punkten ward es
daher mit dem Recht auf die Gerichtsbarkeit verschmolzen und mit
ihr als gegeben und identisch angenommen. Daher sagt Fischer mit
gutem Grunde, "daß jedem Gutsherrn, er mochte landsässig sein
oder nicht, der die Erbgerichtsbarkeit besaß; und jeder Stadt mit
Ober- und Untergericht das Abzugsrecht zukam" (§. 622). Ueber das

Gemeinde geſtattet ward; dieſe Entſchädigung war das jus detractionis,
gabella detractionis, gabella traditoria,
Abzug, Abſchoß, Erbſteuer,
Weddeſchatz, die von der Reichsproceßordnung 1594, §. 82 zuerſt als
ein gemeingültiges deutſches Recht auch formell anerkannt wurden. —
An die obigen Conſequenzen ſchloß ſich nun eine letzte. Derſelbe Grund-
ſatz, der für das Gut des Todten galt, mußte natürlich auch für das
des Lebenden gelten. Zwar durfte der Unfreie natürlich überhaupt
nicht auswandern, da er ja an die Scholle gebunden war, und der
Lehnsherr (in deſſen aveu er ſtand) das Recht auch auf ſeine Perſon
hatte. Allein der Freie durfte wandern. Nach der Geſchlechterordnung
war er durch nichts darin gehindert; nur war es bei der Gemeinſchaft
des Rechts der Bauern an der Gemarkung ſelbſtverſtändlich, daß er
ſein „Gut“ zurückließ. Dieſer vollſtändige Verluſt des Gutes trat
nun in der ſpäteren Lehensepoche in entſchiedenen Widerſpruch mit dem
Bedürfniß nach freierem Verkehr, und es lag daher nahe, auf den
Auswandernden und ſein Gut denſelben Grundſatz anzuwenden, wie
auf den fremden Erbberechtigten; denn in der That ward ja der Aus-
wanderer jetzt ein Fremder. Man geſtattete daher auch die Auswan-
derung gegen eine Entſchädigung an den Grundherrn oder die Ge-
meinde, und ſo entſtand die zweite Form des detractus oder gabella:
der census oder die gabella emigrationis, die Nachſteuer, der
Nachſchoß. Man faßte nun die Abzüge wegen Erbſchaft und die
wegen Auswanderung vielfach als ein und daſſelbe Recht, als jus
detractus
oder Detractrecht zuſammen, wobei nur die Abzugs-
quote verſchieden war, und bei der durchgreifenden Gemeinſamkeit der
Grundlage war das im Grunde ganz richtig, weßhalb auch die viel-
fachen juriſtiſchen Abhandlungen — die, ſo viel wir ſehen, mit Affel-
manns
Diſſertation de jure seu gabella detractionis, Rost. 1622
beginnen — ſie ſtets gemeinſam behandeln. Wenn Fiſcher es Selchow
ſo gar ſehr zum Vorwurf macht, daß auch er ſie in ſeinem Element.
Juris German.
§. 223 zuſammenfaßt, ſo beruht das darauf, daß die
Auffaſſung des Detractrechts zur Zeit des Erſteren ſchon eine ganz andere
war, wie wir gleich zeigen werden. Dieß Detractsrecht nun, urſprüng-
lich aus der Idee der Gemeinſchaft des Gemeindebeſitzes entſtanden,
erſchien mit dem 14. Jahrhundert ſchon als ein integrirendes Element
der Grundherrlichkeit, und hier wie auf faſt allen Punkten ward es
daher mit dem Recht auf die Gerichtsbarkeit verſchmolzen und mit
ihr als gegeben und identiſch angenommen. Daher ſagt Fiſcher mit
gutem Grunde, „daß jedem Gutsherrn, er mochte landſäſſig ſein
oder nicht, der die Erbgerichtsbarkeit beſaß; und jeder Stadt mit
Ober- und Untergericht das Abzugsrecht zukam“ (§. 622). Ueber das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0214" n="192"/>
Gemeinde ge&#x017F;tattet ward; die&#x017F;e Ent&#x017F;chädigung war das <hi rendition="#aq">jus detractionis,<lb/>
gabella detractionis, gabella traditoria,</hi> Abzug, Ab&#x017F;choß, Erb&#x017F;teuer,<lb/>
Wedde&#x017F;chatz, die von der Reichsproceßordnung 1594, §. 82 zuer&#x017F;t als<lb/>
ein gemeingültiges deut&#x017F;ches Recht auch formell anerkannt wurden. &#x2014;<lb/>
An die obigen Con&#x017F;equenzen &#x017F;chloß &#x017F;ich nun eine letzte. Der&#x017F;elbe Grund-<lb/>
&#x017F;atz, der für das Gut des Todten galt, mußte natürlich auch für das<lb/>
des Lebenden gelten. Zwar durfte der <hi rendition="#g">Unfreie</hi> natürlich überhaupt<lb/>
nicht auswandern, da er ja an die Scholle gebunden war, und der<lb/>
Lehnsherr (in de&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">aveu</hi> er &#x017F;tand) das Recht auch auf &#x017F;eine Per&#x017F;on<lb/>
hatte. Allein der <hi rendition="#g">Freie</hi> durfte wandern. Nach der Ge&#x017F;chlechterordnung<lb/>
war er durch nichts darin gehindert; nur war es bei der Gemein&#x017F;chaft<lb/>
des Rechts der Bauern an der Gemarkung &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich, daß er<lb/>
&#x017F;ein &#x201E;Gut&#x201C; zurückließ. Die&#x017F;er <hi rendition="#g">voll&#x017F;tändige</hi> Verlu&#x017F;t des Gutes trat<lb/>
nun in der &#x017F;päteren Lehensepoche in ent&#x017F;chiedenen Wider&#x017F;pruch mit dem<lb/>
Bedürfniß nach freierem Verkehr, und es lag daher nahe, auf den<lb/>
Auswandernden und &#x017F;ein Gut den&#x017F;elben Grund&#x017F;atz anzuwenden, wie<lb/>
auf den fremden Erbberechtigten; denn in der That ward ja der Aus-<lb/>
wanderer jetzt ein Fremder. Man ge&#x017F;tattete daher auch die Auswan-<lb/>
derung gegen eine <hi rendition="#g">Ent&#x017F;chädigung</hi> an den Grundherrn oder die Ge-<lb/>
meinde, und &#x017F;o ent&#x017F;tand die <hi rendition="#g">zweite</hi> Form des <hi rendition="#aq">detractus</hi> oder <hi rendition="#aq">gabella:</hi><lb/>
der <hi rendition="#aq">census</hi> oder die <hi rendition="#aq">gabella emigrationis,</hi> die <hi rendition="#g">Nach&#x017F;teuer</hi>, der<lb/><hi rendition="#g">Nach&#x017F;choß</hi>. Man faßte nun die Abzüge wegen Erb&#x017F;chaft und die<lb/>
wegen Auswanderung vielfach als ein und da&#x017F;&#x017F;elbe Recht, als <hi rendition="#aq">jus<lb/><hi rendition="#g">detractus</hi></hi> oder <hi rendition="#g">Detractrecht</hi> zu&#x017F;ammen, wobei nur die Abzugs-<lb/>
quote ver&#x017F;chieden war, und bei der durchgreifenden Gemein&#x017F;amkeit der<lb/>
Grundlage war das im Grunde ganz richtig, weßhalb auch die viel-<lb/>
fachen juri&#x017F;ti&#x017F;chen Abhandlungen &#x2014; die, &#x017F;o viel wir &#x017F;ehen, mit <hi rendition="#g">Affel-<lb/>
manns</hi> Di&#x017F;&#x017F;ertation <hi rendition="#aq">de jure seu gabella detractionis, Rost.</hi> 1622<lb/>
beginnen &#x2014; &#x017F;ie &#x017F;tets gemein&#x017F;am behandeln. Wenn <hi rendition="#g">Fi&#x017F;cher</hi> es <hi rendition="#g">Selchow</hi><lb/>
&#x017F;o gar &#x017F;ehr zum Vorwurf macht, daß auch er &#x017F;ie in &#x017F;einem <hi rendition="#aq">Element.<lb/>
Juris German.</hi> §. 223 zu&#x017F;ammenfaßt, &#x017F;o beruht das darauf, daß die<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Detractrechts zur Zeit des Er&#x017F;teren &#x017F;chon eine ganz andere<lb/>
war, wie wir gleich zeigen werden. Dieß Detractsrecht nun, ur&#x017F;prüng-<lb/>
lich aus der Idee der Gemein&#x017F;chaft des Gemeindebe&#x017F;itzes ent&#x017F;tanden,<lb/>
er&#x017F;chien mit dem 14. Jahrhundert &#x017F;chon als ein integrirendes Element<lb/>
der Grundherrlichkeit, und hier wie auf fa&#x017F;t allen Punkten ward es<lb/>
daher mit dem Recht auf die <hi rendition="#g">Gerichtsbarkeit</hi> ver&#x017F;chmolzen und mit<lb/>
ihr als gegeben und identi&#x017F;ch angenommen. Daher &#x017F;agt <hi rendition="#g">Fi&#x017F;cher</hi> mit<lb/>
gutem Grunde, &#x201E;daß <hi rendition="#g">jedem</hi> Gutsherrn, er mochte land&#x017F;ä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ein<lb/>
oder nicht, der die Erbgerichtsbarkeit be&#x017F;aß; und <hi rendition="#g">jeder</hi> Stadt mit<lb/>
Ober- und Untergericht das Abzugsrecht zukam&#x201C; (§. 622). Ueber das<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0214] Gemeinde geſtattet ward; dieſe Entſchädigung war das jus detractionis, gabella detractionis, gabella traditoria, Abzug, Abſchoß, Erbſteuer, Weddeſchatz, die von der Reichsproceßordnung 1594, §. 82 zuerſt als ein gemeingültiges deutſches Recht auch formell anerkannt wurden. — An die obigen Conſequenzen ſchloß ſich nun eine letzte. Derſelbe Grund- ſatz, der für das Gut des Todten galt, mußte natürlich auch für das des Lebenden gelten. Zwar durfte der Unfreie natürlich überhaupt nicht auswandern, da er ja an die Scholle gebunden war, und der Lehnsherr (in deſſen aveu er ſtand) das Recht auch auf ſeine Perſon hatte. Allein der Freie durfte wandern. Nach der Geſchlechterordnung war er durch nichts darin gehindert; nur war es bei der Gemeinſchaft des Rechts der Bauern an der Gemarkung ſelbſtverſtändlich, daß er ſein „Gut“ zurückließ. Dieſer vollſtändige Verluſt des Gutes trat nun in der ſpäteren Lehensepoche in entſchiedenen Widerſpruch mit dem Bedürfniß nach freierem Verkehr, und es lag daher nahe, auf den Auswandernden und ſein Gut denſelben Grundſatz anzuwenden, wie auf den fremden Erbberechtigten; denn in der That ward ja der Aus- wanderer jetzt ein Fremder. Man geſtattete daher auch die Auswan- derung gegen eine Entſchädigung an den Grundherrn oder die Ge- meinde, und ſo entſtand die zweite Form des detractus oder gabella: der census oder die gabella emigrationis, die Nachſteuer, der Nachſchoß. Man faßte nun die Abzüge wegen Erbſchaft und die wegen Auswanderung vielfach als ein und daſſelbe Recht, als jus detractus oder Detractrecht zuſammen, wobei nur die Abzugs- quote verſchieden war, und bei der durchgreifenden Gemeinſamkeit der Grundlage war das im Grunde ganz richtig, weßhalb auch die viel- fachen juriſtiſchen Abhandlungen — die, ſo viel wir ſehen, mit Affel- manns Diſſertation de jure seu gabella detractionis, Rost. 1622 beginnen — ſie ſtets gemeinſam behandeln. Wenn Fiſcher es Selchow ſo gar ſehr zum Vorwurf macht, daß auch er ſie in ſeinem Element. Juris German. §. 223 zuſammenfaßt, ſo beruht das darauf, daß die Auffaſſung des Detractrechts zur Zeit des Erſteren ſchon eine ganz andere war, wie wir gleich zeigen werden. Dieß Detractsrecht nun, urſprüng- lich aus der Idee der Gemeinſchaft des Gemeindebeſitzes entſtanden, erſchien mit dem 14. Jahrhundert ſchon als ein integrirendes Element der Grundherrlichkeit, und hier wie auf faſt allen Punkten ward es daher mit dem Recht auf die Gerichtsbarkeit verſchmolzen und mit ihr als gegeben und identiſch angenommen. Daher ſagt Fiſcher mit gutem Grunde, „daß jedem Gutsherrn, er mochte landſäſſig ſein oder nicht, der die Erbgerichtsbarkeit beſaß; und jeder Stadt mit Ober- und Untergericht das Abzugsrecht zukam“ (§. 622). Ueber das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/214
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/214>, abgerufen am 24.11.2024.