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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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alle Beschränkungen der Einwanderung aus dem ständischen Gesichts-
punkte beseitigt, und erkennt selbst in Nostrificationen etc. nur die An-
erkennung der theoretischen Fähigkeit, durch seinen Beruf seine Existenz
zu gründen.

2) Es folgt daraus, daß die Einwanderung nur dann noch als
ein Vortheil anzuerkennen ist, wenn der Einwandernde diese Bedingungen
bei der Einwanderung selbst mitbringt. Mit dieser Erkenntniß ist
dann die Gesammtheit aller derjenigen politischen Maßregeln weggefal-
len
, welche die Einwanderung entweder indirekt durch allerlei mate-
rielle Unterstützungen und Verleihung von Rechten, oder direkt durch
Hingabe eines Anlage- und Betriebscapitals zur Gründung eines Unter-
nehmens befördern wollen. Erfahrung und Theorie haben gemeinschaft-
lich bewirkt, daß die Verwaltungen sich die Enthaltung jeder Unter-
stützung der Einwanderung zum Grundsatz machen. Nur ganz einzelne
Fälle können in ganz besondern Verhältnissen davon eine Ausnahme
begründen, und haben es gethan, wie in Oesterreich und zum Theil in
Rußland.

3) In Beziehung auf die unter dieser Voraussetzung entscheidende
Frage, ob der Fremde, der durch die Niederlassung zum Einwanderer
wird, nun auch wirklich jene Bedingungen der wirthschaft-
lichen Selbständigkeit mitbringt oder nicht
, steht das innere
öffentliche Recht auf folgendem Standpunkt, den wir als den Stand-
punkt des freien Einwanderungswesens bezeichnen können.

a) Die (amtliche) Staatsgewalt kümmert sich um die wirthschaft-
liche Existenz des Einzelnen nicht, sondern läßt es seine eigene Sache
sein, sich dieselbe innerhalb ihrer Gränzen zu gewinnen. Sie gibt ihm
keine Mittel zur Verwerthung seiner Erwerbsfähigkeit; wohl aber gibt
sie ihm die allgemeinen Bedingungen, diese Verwerthung selbst zu
suchen. Diese Bedingungen sind erstlich das freie Erwerbsrecht in der
Gewerbefreiheit, zweitens das freie Verkehrsrecht in der Paßfreiheit.
Beide zusammen bilden dasjenige, was wir kurz das freie Nieder-
lassungsrecht
oder das Recht der Freizügigkeit nennen (s. unten).

b) Auf Grundlage dieses Rechts ist zwar die Niederlassung unter
gewissen Bedingungen frei, allein diese Niederlassung ist noch keine
Einwanderung
, und dieser Unterschied muß gerade in dieser Epoche
als ein wesentlicher hervorgehoben werden; denn hier ist es, wo das
eigentliche Wesen der Einwanderung wieder hervortritt. Aus jener
freien, nur von dem Einzelnen abhängigen Niederlassung wird erst die
Einwanderung durch den Eintritt in den Selbstverwaltungs-
körper der Gemeinde
, dessen Inhalt und Bedingungen im Hei-
mathswesen
gegeben sind. Man muß daher festhalten, daß jede

Stein, die Verwaltungslehre. II 12

alle Beſchränkungen der Einwanderung aus dem ſtändiſchen Geſichts-
punkte beſeitigt, und erkennt ſelbſt in Noſtrificationen ꝛc. nur die An-
erkennung der theoretiſchen Fähigkeit, durch ſeinen Beruf ſeine Exiſtenz
zu gründen.

2) Es folgt daraus, daß die Einwanderung nur dann noch als
ein Vortheil anzuerkennen iſt, wenn der Einwandernde dieſe Bedingungen
bei der Einwanderung ſelbſt mitbringt. Mit dieſer Erkenntniß iſt
dann die Geſammtheit aller derjenigen politiſchen Maßregeln weggefal-
len
, welche die Einwanderung entweder indirekt durch allerlei mate-
rielle Unterſtützungen und Verleihung von Rechten, oder direkt durch
Hingabe eines Anlage- und Betriebscapitals zur Gründung eines Unter-
nehmens befördern wollen. Erfahrung und Theorie haben gemeinſchaft-
lich bewirkt, daß die Verwaltungen ſich die Enthaltung jeder Unter-
ſtützung der Einwanderung zum Grundſatz machen. Nur ganz einzelne
Fälle können in ganz beſondern Verhältniſſen davon eine Ausnahme
begründen, und haben es gethan, wie in Oeſterreich und zum Theil in
Rußland.

3) In Beziehung auf die unter dieſer Vorausſetzung entſcheidende
Frage, ob der Fremde, der durch die Niederlaſſung zum Einwanderer
wird, nun auch wirklich jene Bedingungen der wirthſchaft-
lichen Selbſtändigkeit mitbringt oder nicht
, ſteht das innere
öffentliche Recht auf folgendem Standpunkt, den wir als den Stand-
punkt des freien Einwanderungsweſens bezeichnen können.

a) Die (amtliche) Staatsgewalt kümmert ſich um die wirthſchaft-
liche Exiſtenz des Einzelnen nicht, ſondern läßt es ſeine eigene Sache
ſein, ſich dieſelbe innerhalb ihrer Gränzen zu gewinnen. Sie gibt ihm
keine Mittel zur Verwerthung ſeiner Erwerbsfähigkeit; wohl aber gibt
ſie ihm die allgemeinen Bedingungen, dieſe Verwerthung ſelbſt zu
ſuchen. Dieſe Bedingungen ſind erſtlich das freie Erwerbsrecht in der
Gewerbefreiheit, zweitens das freie Verkehrsrecht in der Paßfreiheit.
Beide zuſammen bilden dasjenige, was wir kurz das freie Nieder-
laſſungsrecht
oder das Recht der Freizügigkeit nennen (ſ. unten).

b) Auf Grundlage dieſes Rechts iſt zwar die Niederlaſſung unter
gewiſſen Bedingungen frei, allein dieſe Niederlaſſung iſt noch keine
Einwanderung
, und dieſer Unterſchied muß gerade in dieſer Epoche
als ein weſentlicher hervorgehoben werden; denn hier iſt es, wo das
eigentliche Weſen der Einwanderung wieder hervortritt. Aus jener
freien, nur von dem Einzelnen abhängigen Niederlaſſung wird erſt die
Einwanderung durch den Eintritt in den Selbſtverwaltungs-
körper der Gemeinde
, deſſen Inhalt und Bedingungen im Hei-
mathsweſen
gegeben ſind. Man muß daher feſthalten, daß jede

Stein, die Verwaltungslehre. II 12
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[177/0199] alle Beſchränkungen der Einwanderung aus dem ſtändiſchen Geſichts- punkte beſeitigt, und erkennt ſelbſt in Noſtrificationen ꝛc. nur die An- erkennung der theoretiſchen Fähigkeit, durch ſeinen Beruf ſeine Exiſtenz zu gründen. 2) Es folgt daraus, daß die Einwanderung nur dann noch als ein Vortheil anzuerkennen iſt, wenn der Einwandernde dieſe Bedingungen bei der Einwanderung ſelbſt mitbringt. Mit dieſer Erkenntniß iſt dann die Geſammtheit aller derjenigen politiſchen Maßregeln weggefal- len, welche die Einwanderung entweder indirekt durch allerlei mate- rielle Unterſtützungen und Verleihung von Rechten, oder direkt durch Hingabe eines Anlage- und Betriebscapitals zur Gründung eines Unter- nehmens befördern wollen. Erfahrung und Theorie haben gemeinſchaft- lich bewirkt, daß die Verwaltungen ſich die Enthaltung jeder Unter- ſtützung der Einwanderung zum Grundſatz machen. Nur ganz einzelne Fälle können in ganz beſondern Verhältniſſen davon eine Ausnahme begründen, und haben es gethan, wie in Oeſterreich und zum Theil in Rußland. 3) In Beziehung auf die unter dieſer Vorausſetzung entſcheidende Frage, ob der Fremde, der durch die Niederlaſſung zum Einwanderer wird, nun auch wirklich jene Bedingungen der wirthſchaft- lichen Selbſtändigkeit mitbringt oder nicht, ſteht das innere öffentliche Recht auf folgendem Standpunkt, den wir als den Stand- punkt des freien Einwanderungsweſens bezeichnen können. a) Die (amtliche) Staatsgewalt kümmert ſich um die wirthſchaft- liche Exiſtenz des Einzelnen nicht, ſondern läßt es ſeine eigene Sache ſein, ſich dieſelbe innerhalb ihrer Gränzen zu gewinnen. Sie gibt ihm keine Mittel zur Verwerthung ſeiner Erwerbsfähigkeit; wohl aber gibt ſie ihm die allgemeinen Bedingungen, dieſe Verwerthung ſelbſt zu ſuchen. Dieſe Bedingungen ſind erſtlich das freie Erwerbsrecht in der Gewerbefreiheit, zweitens das freie Verkehrsrecht in der Paßfreiheit. Beide zuſammen bilden dasjenige, was wir kurz das freie Nieder- laſſungsrecht oder das Recht der Freizügigkeit nennen (ſ. unten). b) Auf Grundlage dieſes Rechts iſt zwar die Niederlaſſung unter gewiſſen Bedingungen frei, allein dieſe Niederlaſſung iſt noch keine Einwanderung, und dieſer Unterſchied muß gerade in dieſer Epoche als ein weſentlicher hervorgehoben werden; denn hier iſt es, wo das eigentliche Weſen der Einwanderung wieder hervortritt. Aus jener freien, nur von dem Einzelnen abhängigen Niederlaſſung wird erſt die Einwanderung durch den Eintritt in den Selbſtverwaltungs- körper der Gemeinde, deſſen Inhalt und Bedingungen im Hei- mathsweſen gegeben ſind. Man muß daher feſthalten, daß jede Stein, die Verwaltungslehre. II 12

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/199>, abgerufen am 24.11.2024.