Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.1) Das öffentliche Eherecht der Geschlechterordnung. (Das väterliche Consensrecht und der neue Charakter desselben. -- Das Das öffentliche Eherecht der Geschlechterordnung beruht darauf, Stein, die Verwaltungslehre. II. 9
1) Das öffentliche Eherecht der Geſchlechterordnung. (Das väterliche Conſensrecht und der neue Charakter deſſelben. — Das Das öffentliche Eherecht der Geſchlechterordnung beruht darauf, Stein, die Verwaltungslehre. II. 9
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1) Das öffentliche Eherecht der Geſchlechterordnung.
(Das väterliche Conſensrecht und der neue Charakter deſſelben. — Das
Hageſtolzenrecht.)
Das öffentliche Eherecht der Geſchlechterordnung beruht darauf,
daß nicht der Einzelne, ſondern die Familie als öffentlich rechtliche
Perſönlichkeit gilt. Das erzeugt zwei Folgen, welche zum Theil in der
Sitte, zum Theil aber auch in förmlichen Geſetzen zur Erſcheinung
kommen. Die erſte iſt die, daß die Bewilligung des Familienhauptes
die unbedingte Vorausſetzung der Eingehung der Ehe iſt. Eine Ehe
ohne dieſelbe iſt vollkommen unmöglich. Die zweite Folge aber iſt
die, daß der Einzelne, ſo wie er ſelbſtändig iſt, die Pflicht hat, eine
Ehe einzugehen. Der juriſtiſche Ausdruck der individuellen Selbſtändig-
keit iſt darnach das sui juris esse; der ſociale Ausdruck dagegen iſt,
daß jeder homo sui juris als pater familias betrachtet wird. Die
Eheloſigkeit iſt daher nicht im Widerſpruch mit dem Wunſche, die Be-
völkerung wachſen zu ſehen, ſondern vielmehr im Widerſpruch mit dem
innerſten Princip der Geſchlechterordnung, die eben eine einzeln ſtehende
Perſönlichkeit überhaupt nicht anerkannte, ſondern nur die Familie.
Aus der Geſchlechterordnung geht daher jenes eigenthümliche Rechtsver-
hältniß hervor, das wir das „Hageſtolzenrecht“ nennen. Daſſelbe hängt
nicht mit der Bevölkerungsfrage, ſondern mit dem Principe der Ge-
ſchlechterordnung zuſammen; das Kinderrecht (ſiehe unten) tritt erſt
ſpäter aus ihm eignenden Gründen hinzu. Die Nichtverheirathung des
Mannbaren iſt ein Bruch der geſammten geſellſchaftlichen Ordnung,
und der Staat hält ſich daher für vollkommen berechtigt, die Verehe-
lichung geſetzlich zu erzwingen, oder doch dieſelbe mit großen Nachtheilen
zu belegen. So war es ſchon in Sparta und Athen, und denſelben
Standpunkt finden wir bei den Römern durchgeführt, die freilich ihrer-
ſeits das ganze Eheweſen wie alles andere weſentlich vom juriſtiſchen
Geſichtspunkt aus in der Theorie behandeln. Die germaniſche Welt,
die die Geſchlechterordnung nie ganz bei ſich aufgegeben, aber auch ſeit
der Völkerwanderung nie ganz hat feſthalten können, hat nun die obi-
gen Grundſätze allmählig umgeſtaltet. Das Recht zum Eheconſens von
Seiten des Familienhauptes iſt allerdings grundſätzlich beibehalten,
allein durch die Lehren der Kirche modificirt; es kann eine Ehe geben
ohne Conſens, und der Conſens hört auf, mit der Mündigkeit Bedin-
gung der Ehe zu ſein. Das Rechtsverhältniß der Hageſtolzen lebt im Ver-
ſtändniß der Germanen fort, allein durch ſeinen Widerſpruch mit dem
Princip der freien Perſönlichkeit geht es, wenn auch nur allmählig,
unter, um ſo mehr, als die adminiſtrative Ehebewilligung (ſiehe unten)
Stein, die Verwaltungslehre. II. 9
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