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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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ist, gar keine Bevölkerungspolitik mehr gibt, und daß an ihre
Stelle die Bevölkerungslehre getreten ist, welche die Bevölkerung
als die allgemeinste persönliche Thatsache des Staatslebens in ihrer
Bedeutung und ihren Gesetzen für sich zu behandeln hat. An die
Stelle der alten Bevölkerungspolitik ist der Grundsatz getreten, daß der
Einfluß des Staats auf Abnahme und Zunahme der Bevölkerung künftig
nur in dem Einfluß auf die Bedingungen dieser Ab- und Zunahme,
der Gesammtheit aller Lebensverhältnisse, liege, und daß die Zahl wie
die Dichtigkeit der Bevölkerung sich von selbst nach eben diesen Be-
dingungen ordne. Alle unmittelbare Thätigkeit der Verwaltung gegen-
über der Bevölkerung erscheint daher jetzt nur noch als Bevölkerungs-
recht
; und wenn wir daher noch eine Scheidung zwischen den Maß-
regeln der Bevölkerungspolitik und des eigentlichen Bevölkerungsrechts
aufrecht halten, so geschieht es in dem Sinne, daß die vier Objecte der
Bevölkerungspolitik durch ihre eigene Natur mit der Vermehrung
und Verminderung der Bevölkerung in Verbindung stehen, während die
übrigen Gegenstände des Bevölkerungsrechts mit dieser Bewegung nichts
zu thun haben. Außerdem aber gehören gerade jene Gebiete der Be-
völkerungspolitik zu den Theilen des Verwaltungsrechts, die an sich,
durch ihre Geschichte und ihre gegenwärtige Stellung, ein nicht geringes
eigenes Interesse darbieten.

Für die Beurtheilung der Literatur und Gesetzgebung der Gegenwart ist
es vom größten Werthe, die Masse dessen, was in Beziehung auf die Bevöl-
kerungspolitik gearbeitet wird, auf möglichst klare Kategorien zurückzuführen,
welche das ganze Gebiet umfassen, und auf welche man alle Arbeiten zurück-
führen muß. Diese Kategorien sind: die ziffermäßige Statistik der Bevöl-
kerung für sich, dann die Gesetze der Bewegung der Bevölkerung oder des
Wechsels ihrer Zahl, und endlich die Frage nach der Aufgabe der Verwaltung
gegenüber diesen Thatsachen. Denn es leuchtet wohl ein, daß mit diesen Punkten
so ziemlich alle Seiten der Frage wirklich erschöpft sind.

Man kann nun, wie wir glauben, die ganze Auffassung des Bevölkerungs-
wesens in drei große Grundformen scheiden, die natürlich im engsten Zusammen-
hange mit einander stehen, aber dennoch ihre wesentlich verschiedenen Standpunkte
klar genug zeigen.

Die erste ist die rein volkswirthschaftliche der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, die namentlich von den Engländern vertreten ist. Die zweite
ist die sociale, die mit Montesquieu beginnt, aber schon durch Süßmilch in
die politische Arithmetik hinüber geführt wird. Die dritte ist die eigentlich po-
pulationistische
, welcher das Verständniß dessen zum Grunde liegt, was wir
am besten mit einem Worte die Physiologie der Bevölkerung nennen.

Die erste Epoche oder Gestalt ist von den Engländern vertreten, deren
Arbeiten von hoher Bedeutung sind. Sie beruhen auf der Ueberzeugung, daß

iſt, gar keine Bevölkerungspolitik mehr gibt, und daß an ihre
Stelle die Bevölkerungslehre getreten iſt, welche die Bevölkerung
als die allgemeinſte perſönliche Thatſache des Staatslebens in ihrer
Bedeutung und ihren Geſetzen für ſich zu behandeln hat. An die
Stelle der alten Bevölkerungspolitik iſt der Grundſatz getreten, daß der
Einfluß des Staats auf Abnahme und Zunahme der Bevölkerung künftig
nur in dem Einfluß auf die Bedingungen dieſer Ab- und Zunahme,
der Geſammtheit aller Lebensverhältniſſe, liege, und daß die Zahl wie
die Dichtigkeit der Bevölkerung ſich von ſelbſt nach eben dieſen Be-
dingungen ordne. Alle unmittelbare Thätigkeit der Verwaltung gegen-
über der Bevölkerung erſcheint daher jetzt nur noch als Bevölkerungs-
recht
; und wenn wir daher noch eine Scheidung zwiſchen den Maß-
regeln der Bevölkerungspolitik und des eigentlichen Bevölkerungsrechts
aufrecht halten, ſo geſchieht es in dem Sinne, daß die vier Objecte der
Bevölkerungspolitik durch ihre eigene Natur mit der Vermehrung
und Verminderung der Bevölkerung in Verbindung ſtehen, während die
übrigen Gegenſtände des Bevölkerungsrechts mit dieſer Bewegung nichts
zu thun haben. Außerdem aber gehören gerade jene Gebiete der Be-
völkerungspolitik zu den Theilen des Verwaltungsrechts, die an ſich,
durch ihre Geſchichte und ihre gegenwärtige Stellung, ein nicht geringes
eigenes Intereſſe darbieten.

Für die Beurtheilung der Literatur und Geſetzgebung der Gegenwart iſt
es vom größten Werthe, die Maſſe deſſen, was in Beziehung auf die Bevöl-
kerungspolitik gearbeitet wird, auf möglichſt klare Kategorien zurückzuführen,
welche das ganze Gebiet umfaſſen, und auf welche man alle Arbeiten zurück-
führen muß. Dieſe Kategorien ſind: die ziffermäßige Statiſtik der Bevöl-
kerung für ſich, dann die Geſetze der Bewegung der Bevölkerung oder des
Wechſels ihrer Zahl, und endlich die Frage nach der Aufgabe der Verwaltung
gegenüber dieſen Thatſachen. Denn es leuchtet wohl ein, daß mit dieſen Punkten
ſo ziemlich alle Seiten der Frage wirklich erſchöpft ſind.

Man kann nun, wie wir glauben, die ganze Auffaſſung des Bevölkerungs-
weſens in drei große Grundformen ſcheiden, die natürlich im engſten Zuſammen-
hange mit einander ſtehen, aber dennoch ihre weſentlich verſchiedenen Standpunkte
klar genug zeigen.

Die erſte iſt die rein volkswirthſchaftliche der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, die namentlich von den Engländern vertreten iſt. Die zweite
iſt die ſociale, die mit Montesquieu beginnt, aber ſchon durch Süßmilch in
die politiſche Arithmetik hinüber geführt wird. Die dritte iſt die eigentlich po-
pulationiſtiſche
, welcher das Verſtändniß deſſen zum Grunde liegt, was wir
am beſten mit einem Worte die Phyſiologie der Bevölkerung nennen.

Die erſte Epoche oder Geſtalt iſt von den Engländern vertreten, deren
Arbeiten von hoher Bedeutung ſind. Sie beruhen auf der Ueberzeugung, daß

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[114/0136] iſt, gar keine Bevölkerungspolitik mehr gibt, und daß an ihre Stelle die Bevölkerungslehre getreten iſt, welche die Bevölkerung als die allgemeinſte perſönliche Thatſache des Staatslebens in ihrer Bedeutung und ihren Geſetzen für ſich zu behandeln hat. An die Stelle der alten Bevölkerungspolitik iſt der Grundſatz getreten, daß der Einfluß des Staats auf Abnahme und Zunahme der Bevölkerung künftig nur in dem Einfluß auf die Bedingungen dieſer Ab- und Zunahme, der Geſammtheit aller Lebensverhältniſſe, liege, und daß die Zahl wie die Dichtigkeit der Bevölkerung ſich von ſelbſt nach eben dieſen Be- dingungen ordne. Alle unmittelbare Thätigkeit der Verwaltung gegen- über der Bevölkerung erſcheint daher jetzt nur noch als Bevölkerungs- recht; und wenn wir daher noch eine Scheidung zwiſchen den Maß- regeln der Bevölkerungspolitik und des eigentlichen Bevölkerungsrechts aufrecht halten, ſo geſchieht es in dem Sinne, daß die vier Objecte der Bevölkerungspolitik durch ihre eigene Natur mit der Vermehrung und Verminderung der Bevölkerung in Verbindung ſtehen, während die übrigen Gegenſtände des Bevölkerungsrechts mit dieſer Bewegung nichts zu thun haben. Außerdem aber gehören gerade jene Gebiete der Be- völkerungspolitik zu den Theilen des Verwaltungsrechts, die an ſich, durch ihre Geſchichte und ihre gegenwärtige Stellung, ein nicht geringes eigenes Intereſſe darbieten. Für die Beurtheilung der Literatur und Geſetzgebung der Gegenwart iſt es vom größten Werthe, die Maſſe deſſen, was in Beziehung auf die Bevöl- kerungspolitik gearbeitet wird, auf möglichſt klare Kategorien zurückzuführen, welche das ganze Gebiet umfaſſen, und auf welche man alle Arbeiten zurück- führen muß. Dieſe Kategorien ſind: die ziffermäßige Statiſtik der Bevöl- kerung für ſich, dann die Geſetze der Bewegung der Bevölkerung oder des Wechſels ihrer Zahl, und endlich die Frage nach der Aufgabe der Verwaltung gegenüber dieſen Thatſachen. Denn es leuchtet wohl ein, daß mit dieſen Punkten ſo ziemlich alle Seiten der Frage wirklich erſchöpft ſind. Man kann nun, wie wir glauben, die ganze Auffaſſung des Bevölkerungs- weſens in drei große Grundformen ſcheiden, die natürlich im engſten Zuſammen- hange mit einander ſtehen, aber dennoch ihre weſentlich verſchiedenen Standpunkte klar genug zeigen. Die erſte iſt die rein volkswirthſchaftliche der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die namentlich von den Engländern vertreten iſt. Die zweite iſt die ſociale, die mit Montesquieu beginnt, aber ſchon durch Süßmilch in die politiſche Arithmetik hinüber geführt wird. Die dritte iſt die eigentlich po- pulationiſtiſche, welcher das Verſtändniß deſſen zum Grunde liegt, was wir am beſten mit einem Worte die Phyſiologie der Bevölkerung nennen. Die erſte Epoche oder Geſtalt iſt von den Engländern vertreten, deren Arbeiten von hoher Bedeutung ſind. Sie beruhen auf der Ueberzeugung, daß

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/136>, abgerufen am 05.12.2024.