Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt entsteht nun daraus, daß der einzelne persönliche Wille des Individuums sich der Vollziehung als dem persönlichen Willen des Staats ent- gegensetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß diesen Willen des Individuums sich unterwerfen, wenn es sein muß nicht bloß auf geistigem Wege, sondern durch Anwendung bestimmter Mittel. Die Fähigkeit, diese Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinstimmend zu machen, ist daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt, welche als Regierung das äußerlich erscheinende Leben der Gemeinschaft in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des persönlichen Staats in Uebereinstimmung bringen soll; und diese Gewalt in bestimmter Be- ziehung auf die einzelne Persönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben nennen wir die Polizeigewalt. Es versteht sich auch dabei von selbst, daß diese Polizeigewalt eben so wie die Verordnungs- und Or- ganisationsgewalt sowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erscheinung gelangt.
Das sind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächst nun muß man dieselben allerdings als einfach neben einander stehend betrachten, um ihr eigenthümliches Wesen bestimmen zu können. In der Wirklichkeit aber können sie weder äußerlich getrennt sein, noch sind sie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt nämlich ihr organisches Leben erst dadurch, daß diese drei Formen der Regierungsgewalt mit einander in beständiger organischer Verbindung stehen und einander gegenseitig erfüllen. So nothwendig das ist für das wirkliche Leben, so sehr hat es anderseits zur Unklarheit in der Auffassung über Begriff und Wesen der Regierungsgewalt selbst bei- getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieses gegenseitige Ver- halten auf seine möglichst einfachen Elemente zurückzuführen. Diese aber sind folgende.
Organisches Verhältniß der drei Gewalten.
Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derselben über- haupt erst zur Erscheinung gebracht worden, so ergibt sich der Grund- satz, daß jede dieser drei Gewalten immer nur die Vollziehung der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt. Darnach entscheiden sich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten.
Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht sich stets entweder auf die Organisation im weitern Sinne, oder auf die Polizeigewalt und ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält stets die Bestimmung
Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt entſteht nun daraus, daß der einzelne perſönliche Wille des Individuums ſich der Vollziehung als dem perſönlichen Willen des Staats ent- gegenſetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß dieſen Willen des Individuums ſich unterwerfen, wenn es ſein muß nicht bloß auf geiſtigem Wege, ſondern durch Anwendung beſtimmter Mittel. Die Fähigkeit, dieſe Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinſtimmend zu machen, iſt daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt, welche als Regierung das äußerlich erſcheinende Leben der Gemeinſchaft in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des perſönlichen Staats in Uebereinſtimmung bringen ſoll; und dieſe Gewalt in beſtimmter Be- ziehung auf die einzelne Perſönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben nennen wir die Polizeigewalt. Es verſteht ſich auch dabei von ſelbſt, daß dieſe Polizeigewalt eben ſo wie die Verordnungs- und Or- ganiſationsgewalt ſowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erſcheinung gelangt.
Das ſind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächſt nun muß man dieſelben allerdings als einfach neben einander ſtehend betrachten, um ihr eigenthümliches Weſen beſtimmen zu können. In der Wirklichkeit aber können ſie weder äußerlich getrennt ſein, noch ſind ſie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt nämlich ihr organiſches Leben erſt dadurch, daß dieſe drei Formen der Regierungsgewalt mit einander in beſtändiger organiſcher Verbindung ſtehen und einander gegenſeitig erfüllen. So nothwendig das iſt für das wirkliche Leben, ſo ſehr hat es anderſeits zur Unklarheit in der Auffaſſung über Begriff und Weſen der Regierungsgewalt ſelbſt bei- getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieſes gegenſeitige Ver- halten auf ſeine möglichſt einfachen Elemente zurückzuführen. Dieſe aber ſind folgende.
Organiſches Verhältniß der drei Gewalten.
Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derſelben über- haupt erſt zur Erſcheinung gebracht worden, ſo ergibt ſich der Grund- ſatz, daß jede dieſer drei Gewalten immer nur die Vollziehung der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt. Darnach entſcheiden ſich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten.
Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht ſich ſtets entweder auf die Organiſation im weitern Sinne, oder auf die Polizeigewalt und ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält ſtets die Beſtimmung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0070"n="46"/><p>Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt<lb/>
entſteht nun daraus, daß der einzelne perſönliche Wille des Individuums<lb/>ſich der Vollziehung als dem perſönlichen Willen des Staats ent-<lb/>
gegenſetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß dieſen Willen<lb/>
des Individuums ſich unterwerfen, wenn es ſein muß nicht bloß auf<lb/>
geiſtigem Wege, ſondern durch Anwendung beſtimmter Mittel. Die<lb/>
Fähigkeit, dieſe Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen<lb/>
Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinſtimmend<lb/>
zu machen, iſt daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt,<lb/>
welche als Regierung das äußerlich erſcheinende Leben der Gemeinſchaft<lb/>
in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des perſönlichen Staats in<lb/>
Uebereinſtimmung bringen ſoll; und dieſe Gewalt in beſtimmter Be-<lb/>
ziehung auf die einzelne Perſönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben<lb/>
nennen wir die <hirendition="#g">Polizeigewalt</hi>. Es verſteht ſich auch dabei von<lb/>ſelbſt, daß dieſe Polizeigewalt eben ſo wie die Verordnungs- und Or-<lb/>
ganiſationsgewalt ſowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die<lb/>
einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erſcheinung gelangt.</p><lb/><p>Das ſind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächſt<lb/>
nun muß man dieſelben allerdings als einfach neben einander ſtehend<lb/>
betrachten, um ihr eigenthümliches Weſen beſtimmen zu können. In<lb/>
der Wirklichkeit aber können ſie weder äußerlich getrennt ſein, noch<lb/>ſind ſie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt<lb/>
nämlich ihr organiſches Leben erſt dadurch, daß dieſe drei Formen der<lb/>
Regierungsgewalt mit einander in beſtändiger organiſcher Verbindung<lb/>ſtehen und einander gegenſeitig erfüllen. So nothwendig das iſt für<lb/>
das wirkliche Leben, ſo ſehr hat es anderſeits zur Unklarheit in der<lb/>
Auffaſſung über Begriff und Weſen der Regierungsgewalt ſelbſt bei-<lb/>
getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieſes gegenſeitige Ver-<lb/>
halten auf ſeine möglichſt einfachen Elemente zurückzuführen. Dieſe<lb/>
aber ſind folgende.</p></div><lb/><divn="4"><head>Organiſches Verhältniß der drei Gewalten.</head><lb/><p>Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derſelben über-<lb/>
haupt erſt zur Erſcheinung gebracht worden, ſo ergibt ſich der Grund-<lb/>ſatz, daß jede dieſer drei Gewalten <hirendition="#g">immer nur die Vollziehung<lb/>
der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt</hi>.<lb/>
Darnach entſcheiden ſich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten.</p><lb/><p>Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht ſich ſtets <hirendition="#g">entweder</hi> auf<lb/>
die Organiſation im weitern Sinne, <hirendition="#g">oder</hi> auf die Polizeigewalt und<lb/>
ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält ſtets die Beſtimmung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[46/0070]
Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt
entſteht nun daraus, daß der einzelne perſönliche Wille des Individuums
ſich der Vollziehung als dem perſönlichen Willen des Staats ent-
gegenſetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß dieſen Willen
des Individuums ſich unterwerfen, wenn es ſein muß nicht bloß auf
geiſtigem Wege, ſondern durch Anwendung beſtimmter Mittel. Die
Fähigkeit, dieſe Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen
Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinſtimmend
zu machen, iſt daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt,
welche als Regierung das äußerlich erſcheinende Leben der Gemeinſchaft
in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des perſönlichen Staats in
Uebereinſtimmung bringen ſoll; und dieſe Gewalt in beſtimmter Be-
ziehung auf die einzelne Perſönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben
nennen wir die Polizeigewalt. Es verſteht ſich auch dabei von
ſelbſt, daß dieſe Polizeigewalt eben ſo wie die Verordnungs- und Or-
ganiſationsgewalt ſowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die
einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erſcheinung gelangt.
Das ſind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächſt
nun muß man dieſelben allerdings als einfach neben einander ſtehend
betrachten, um ihr eigenthümliches Weſen beſtimmen zu können. In
der Wirklichkeit aber können ſie weder äußerlich getrennt ſein, noch
ſind ſie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt
nämlich ihr organiſches Leben erſt dadurch, daß dieſe drei Formen der
Regierungsgewalt mit einander in beſtändiger organiſcher Verbindung
ſtehen und einander gegenſeitig erfüllen. So nothwendig das iſt für
das wirkliche Leben, ſo ſehr hat es anderſeits zur Unklarheit in der
Auffaſſung über Begriff und Weſen der Regierungsgewalt ſelbſt bei-
getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieſes gegenſeitige Ver-
halten auf ſeine möglichſt einfachen Elemente zurückzuführen. Dieſe
aber ſind folgende.
Organiſches Verhältniß der drei Gewalten.
Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derſelben über-
haupt erſt zur Erſcheinung gebracht worden, ſo ergibt ſich der Grund-
ſatz, daß jede dieſer drei Gewalten immer nur die Vollziehung
der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt.
Darnach entſcheiden ſich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten.
Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht ſich ſtets entweder auf
die Organiſation im weitern Sinne, oder auf die Polizeigewalt und
ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält ſtets die Beſtimmung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/70>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.