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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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und in der Krankheit. Daraus entspringen dann große, ganze Län-
der umfassende, aber im Grunde ziemlich inhaltslose Gestaltungen
des Vereinslebens, namentlich für die Gesellen der einzelnen Gewerbe,
unter denen die Maurer sich am längsten und bedeutsamsten erhalten
haben. Dennoch sind es diese Vereine, welche das örtliche Band der
Gemeinde durchbrechen, und schon damals sich als ganz selbständig
neben das Gemeindewesen hinstellen; schon im Beginne der gewerblichen
Welt scheiden sich so die Selbstverwaltung und das Vereinswesen. Das
Princip der Waffenbruderschaft indessen erzeugt, selbständig fortwirkend,
ähnliche Gestaltungen auch unter den Grundbesitzern, an einigen Orten
wie in Dithmarschen sogar die Stellung der eigentlichen Gemeinde ganz
überragend, und die Grundlage der Verfassung bildend, in andern Ge-
genden, wie in Westphalen, sich zu einer geheimen Verbindung für die
Strafrechtsverwaltung organisirend, und in die Vehmgerichte sogar die
großen Grundherren aufnehmend; in ihrer letzten formlosen, aber den-
noch ethischen Gestalt sich zur "Ritterschaft" erweiternd, die dann wieder,
indem sie aus dem Unbestimmten der Ritterlichkeit heraus sich entweder
die Poesie in den Minnesängern zum speziellen Vereinszweck nimmt,
oder in den Ritterorden die Kirche und ihren Kampf, in jenen sich in
die Entwicklung der Kunst überhaupt auflöst, in diesen aber durch den
erworbenen oder eroberten Grundbesitz in die ständische Ordnung und
damit in die Verfassung übergeht. Trotz dem verliert sich das Element
der Waffenbruderschaft als solches nicht; es erhält sich namentlich in
den studentischen Verbindungen, den "Nationen" und "Bursen"; es
überdauert sogar das vorige Jahrhundert und erscheint in unserer Zeit
wieder in den Turnvereinen, mit den ihnen verwandten Schützen- und
Gesangvereinen, die, eine edlere, jugendkräftige Gestaltung des alten
Lebens, immerhin reich an guten Erfolgen im Kleinen und Einzelnen,
reicher aber an großen Anregungen für die Gesammtentwicklung des
geistigen, physischen und staatlichen Fortschrittes erscheinen. So hat
sich jenes erste Element hier erhalten und gestaltet.

Die eigentliche Gilde dagegen, einmal dem wirthschaftlichen Leben
und seinem materiellen Interesse zugewendet, sinkt allmählig in dasselbe
hinab. Die einzelnen Gewerbe, mit der Entwicklung der Städte zu
stark werden, um nur noch Glieder der alten Gilde zu sein, welche
sie alle ohne Unterschied umfaßte, scheiden sich aus und werden selb-
ständig. Sie sind und bleiben zwar anfangs noch Vereine, aber diese
Vereine sind schon so mächtig, daß sie in der städtischen Welt selbständig
etwas bedeuten. Sie werden daher jetzt, das alte Princip beibehaltend,
zu Waffenbruderschaften der Gewerbsgenossen, aber als solche wollen
sie von einer Herrschaft der Gemeinde über ihre Gewerbsverhältnisse

und in der Krankheit. Daraus entſpringen dann große, ganze Län-
der umfaſſende, aber im Grunde ziemlich inhaltsloſe Geſtaltungen
des Vereinslebens, namentlich für die Geſellen der einzelnen Gewerbe,
unter denen die Maurer ſich am längſten und bedeutſamſten erhalten
haben. Dennoch ſind es dieſe Vereine, welche das örtliche Band der
Gemeinde durchbrechen, und ſchon damals ſich als ganz ſelbſtändig
neben das Gemeindeweſen hinſtellen; ſchon im Beginne der gewerblichen
Welt ſcheiden ſich ſo die Selbſtverwaltung und das Vereinsweſen. Das
Princip der Waffenbruderſchaft indeſſen erzeugt, ſelbſtändig fortwirkend,
ähnliche Geſtaltungen auch unter den Grundbeſitzern, an einigen Orten
wie in Dithmarſchen ſogar die Stellung der eigentlichen Gemeinde ganz
überragend, und die Grundlage der Verfaſſung bildend, in andern Ge-
genden, wie in Weſtphalen, ſich zu einer geheimen Verbindung für die
Strafrechtsverwaltung organiſirend, und in die Vehmgerichte ſogar die
großen Grundherren aufnehmend; in ihrer letzten formloſen, aber den-
noch ethiſchen Geſtalt ſich zur „Ritterſchaft“ erweiternd, die dann wieder,
indem ſie aus dem Unbeſtimmten der Ritterlichkeit heraus ſich entweder
die Poeſie in den Minneſängern zum ſpeziellen Vereinszweck nimmt,
oder in den Ritterorden die Kirche und ihren Kampf, in jenen ſich in
die Entwicklung der Kunſt überhaupt auflöst, in dieſen aber durch den
erworbenen oder eroberten Grundbeſitz in die ſtändiſche Ordnung und
damit in die Verfaſſung übergeht. Trotz dem verliert ſich das Element
der Waffenbruderſchaft als ſolches nicht; es erhält ſich namentlich in
den ſtudentiſchen Verbindungen, den „Nationen“ und „Burſen“; es
überdauert ſogar das vorige Jahrhundert und erſcheint in unſerer Zeit
wieder in den Turnvereinen, mit den ihnen verwandten Schützen- und
Geſangvereinen, die, eine edlere, jugendkräftige Geſtaltung des alten
Lebens, immerhin reich an guten Erfolgen im Kleinen und Einzelnen,
reicher aber an großen Anregungen für die Geſammtentwicklung des
geiſtigen, phyſiſchen und ſtaatlichen Fortſchrittes erſcheinen. So hat
ſich jenes erſte Element hier erhalten und geſtaltet.

Die eigentliche Gilde dagegen, einmal dem wirthſchaftlichen Leben
und ſeinem materiellen Intereſſe zugewendet, ſinkt allmählig in daſſelbe
hinab. Die einzelnen Gewerbe, mit der Entwicklung der Städte zu
ſtark werden, um nur noch Glieder der alten Gilde zu ſein, welche
ſie alle ohne Unterſchied umfaßte, ſcheiden ſich aus und werden ſelb-
ſtändig. Sie ſind und bleiben zwar anfangs noch Vereine, aber dieſe
Vereine ſind ſchon ſo mächtig, daß ſie in der ſtädtiſchen Welt ſelbſtändig
etwas bedeuten. Sie werden daher jetzt, das alte Princip beibehaltend,
zu Waffenbruderſchaften der Gewerbsgenoſſen, aber als ſolche wollen
ſie von einer Herrſchaft der Gemeinde über ihre Gewerbsverhältniſſe

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[530/0554] und in der Krankheit. Daraus entſpringen dann große, ganze Län- der umfaſſende, aber im Grunde ziemlich inhaltsloſe Geſtaltungen des Vereinslebens, namentlich für die Geſellen der einzelnen Gewerbe, unter denen die Maurer ſich am längſten und bedeutſamſten erhalten haben. Dennoch ſind es dieſe Vereine, welche das örtliche Band der Gemeinde durchbrechen, und ſchon damals ſich als ganz ſelbſtändig neben das Gemeindeweſen hinſtellen; ſchon im Beginne der gewerblichen Welt ſcheiden ſich ſo die Selbſtverwaltung und das Vereinsweſen. Das Princip der Waffenbruderſchaft indeſſen erzeugt, ſelbſtändig fortwirkend, ähnliche Geſtaltungen auch unter den Grundbeſitzern, an einigen Orten wie in Dithmarſchen ſogar die Stellung der eigentlichen Gemeinde ganz überragend, und die Grundlage der Verfaſſung bildend, in andern Ge- genden, wie in Weſtphalen, ſich zu einer geheimen Verbindung für die Strafrechtsverwaltung organiſirend, und in die Vehmgerichte ſogar die großen Grundherren aufnehmend; in ihrer letzten formloſen, aber den- noch ethiſchen Geſtalt ſich zur „Ritterſchaft“ erweiternd, die dann wieder, indem ſie aus dem Unbeſtimmten der Ritterlichkeit heraus ſich entweder die Poeſie in den Minneſängern zum ſpeziellen Vereinszweck nimmt, oder in den Ritterorden die Kirche und ihren Kampf, in jenen ſich in die Entwicklung der Kunſt überhaupt auflöst, in dieſen aber durch den erworbenen oder eroberten Grundbeſitz in die ſtändiſche Ordnung und damit in die Verfaſſung übergeht. Trotz dem verliert ſich das Element der Waffenbruderſchaft als ſolches nicht; es erhält ſich namentlich in den ſtudentiſchen Verbindungen, den „Nationen“ und „Burſen“; es überdauert ſogar das vorige Jahrhundert und erſcheint in unſerer Zeit wieder in den Turnvereinen, mit den ihnen verwandten Schützen- und Geſangvereinen, die, eine edlere, jugendkräftige Geſtaltung des alten Lebens, immerhin reich an guten Erfolgen im Kleinen und Einzelnen, reicher aber an großen Anregungen für die Geſammtentwicklung des geiſtigen, phyſiſchen und ſtaatlichen Fortſchrittes erſcheinen. So hat ſich jenes erſte Element hier erhalten und geſtaltet. Die eigentliche Gilde dagegen, einmal dem wirthſchaftlichen Leben und ſeinem materiellen Intereſſe zugewendet, ſinkt allmählig in daſſelbe hinab. Die einzelnen Gewerbe, mit der Entwicklung der Städte zu ſtark werden, um nur noch Glieder der alten Gilde zu ſein, welche ſie alle ohne Unterſchied umfaßte, ſcheiden ſich aus und werden ſelb- ſtändig. Sie ſind und bleiben zwar anfangs noch Vereine, aber dieſe Vereine ſind ſchon ſo mächtig, daß ſie in der ſtädtiſchen Welt ſelbſtändig etwas bedeuten. Sie werden daher jetzt, das alte Princip beibehaltend, zu Waffenbruderſchaften der Gewerbsgenoſſen, aber als ſolche wollen ſie von einer Herrſchaft der Gemeinde über ihre Gewerbsverhältniſſe

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/554>, abgerufen am 22.11.2024.