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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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französischen Gemeindewesens hat übrigens eine große und zum Theil
ausgezeichnete Literatur, die ihren Gegenstand weit geistreicher und ein-
heitlicher behandelt als die Deutschen den ihrigen. Es ist nicht unsere
Sache, an diesem Orte darauf einzugehen. Hier möge es mit Hin-
weisung auf diese Schrift verstattet sein, den Gang der Dinge so kurz
als möglich zu charakterisiren, um den gegenwärtigen Zustand, wie ihn
namentlich der Artikel: Organisation Communale im Dict. de l'administ.
von Block sehr detaillirt aufführt, ohne sich weiter auf den historischen
Bildungsproceß einzulassen, in seinem inneren Zusammenhange mit dem
Obigen aufzufassen.

Es war bei den Bewegungen der französischen Revolution auf den
ersten Blick klar, daß gerade in der Verfassung der Ortsgemeinde der
Gegensatz der Principien, welche Frankreich bewegten, am deutlichsten
heraustreten mußte. Daher dann die leicht verständliche Erscheinung,
daß jeder große Abschnitt in jener Bewegung auch sein eigenes Muni-
cipalrecht erzeugte, während die übrigen Organe sich im Wesentlichen
gleich blieben. Die erste Form war das Municipalrecht von 1789.
Es ist die Gemeindeverfassung des noch jungfräulichen Gedankens der
Freiheit, und daher die freieste Gemeindeordnung der ganzen französischen
Geschichte. Noch hat das Volk Vertrauen zu seiner Freiheit und zur
Kraft derselben, sich durch sich selbst erhalten zu können. Die Gemeinde
wählt ihren gesammten Vorstand; dieser besteht aus dem Maire,
dem Bureau und dem Conseil (Bürgermeister, Magistrat und Gemeinde-
rath). Allerdings behält sich die Staatsverwaltung die Polizei vor,
jedoch, da der Maire sie ausübt, ist sie in der That faktisch eine Ge-
meindepolizei. Die Auflösung der centralen Gewalt, die den ersten
Bewegungen der Revolution folgte, hatte ihrerseits natürlich zur Folge,
daß die ganze Verwaltung der Ortsgemeinde eine thatsächlich ganz
unabhängige ward. Und hier war es nun, wo allerdings die Gefahr
für die Herrschaft der revolutionären Principien eine große ward. Die
Selbständigkeit der Commune bedrohte die Freiheit der Gesetzgebung.
Das Weiterschreiten der Revolution erzeugte daher, was unter diesen
Umständen nicht ausbleiben konnte. Die Schreckensregierung erschien
auch in der Communalverfassung als Despotie der Freiheit. Statt der
municipalen Organe der Verfassung traten die Commissaires der Re-
gierung auf, und in den blutigen Stürmen von 1793 und 1794 ging
das gesetzliche Maß unter der Gewaltherrschaft der Pariser Principien zu
Grunde, bis endlich unter dem Direktorium die Mittelklasse unter dem
Wahlspruch des Bedürfnisses nach "Ordnung" wieder ihre Herrschaft
gewinnt. Daraus nun geht das Gemeinderecht von 1795 hervor. Dieß
Gemeinderecht ist im Grunde nur die Organisirung der Gemeinde-

franzöſiſchen Gemeindeweſens hat übrigens eine große und zum Theil
ausgezeichnete Literatur, die ihren Gegenſtand weit geiſtreicher und ein-
heitlicher behandelt als die Deutſchen den ihrigen. Es iſt nicht unſere
Sache, an dieſem Orte darauf einzugehen. Hier möge es mit Hin-
weiſung auf dieſe Schrift verſtattet ſein, den Gang der Dinge ſo kurz
als möglich zu charakteriſiren, um den gegenwärtigen Zuſtand, wie ihn
namentlich der Artikel: Organisation Communale im Dict. de l’administ.
von Block ſehr detaillirt aufführt, ohne ſich weiter auf den hiſtoriſchen
Bildungsproceß einzulaſſen, in ſeinem inneren Zuſammenhange mit dem
Obigen aufzufaſſen.

Es war bei den Bewegungen der franzöſiſchen Revolution auf den
erſten Blick klar, daß gerade in der Verfaſſung der Ortsgemeinde der
Gegenſatz der Principien, welche Frankreich bewegten, am deutlichſten
heraustreten mußte. Daher dann die leicht verſtändliche Erſcheinung,
daß jeder große Abſchnitt in jener Bewegung auch ſein eigenes Muni-
cipalrecht erzeugte, während die übrigen Organe ſich im Weſentlichen
gleich blieben. Die erſte Form war das Municipalrecht von 1789.
Es iſt die Gemeindeverfaſſung des noch jungfräulichen Gedankens der
Freiheit, und daher die freieſte Gemeindeordnung der ganzen franzöſiſchen
Geſchichte. Noch hat das Volk Vertrauen zu ſeiner Freiheit und zur
Kraft derſelben, ſich durch ſich ſelbſt erhalten zu können. Die Gemeinde
wählt ihren geſammten Vorſtand; dieſer beſteht aus dem Maire,
dem Bureau und dem Conseil (Bürgermeiſter, Magiſtrat und Gemeinde-
rath). Allerdings behält ſich die Staatsverwaltung die Polizei vor,
jedoch, da der Maire ſie ausübt, iſt ſie in der That faktiſch eine Ge-
meindepolizei. Die Auflöſung der centralen Gewalt, die den erſten
Bewegungen der Revolution folgte, hatte ihrerſeits natürlich zur Folge,
daß die ganze Verwaltung der Ortsgemeinde eine thatſächlich ganz
unabhängige ward. Und hier war es nun, wo allerdings die Gefahr
für die Herrſchaft der revolutionären Principien eine große ward. Die
Selbſtändigkeit der Commune bedrohte die Freiheit der Geſetzgebung.
Das Weiterſchreiten der Revolution erzeugte daher, was unter dieſen
Umſtänden nicht ausbleiben konnte. Die Schreckensregierung erſchien
auch in der Communalverfaſſung als Deſpotie der Freiheit. Statt der
municipalen Organe der Verfaſſung traten die Commissaires der Re-
gierung auf, und in den blutigen Stürmen von 1793 und 1794 ging
das geſetzliche Maß unter der Gewaltherrſchaft der Pariſer Principien zu
Grunde, bis endlich unter dem Direktorium die Mittelklaſſe unter dem
Wahlſpruch des Bedürfniſſes nach „Ordnung“ wieder ihre Herrſchaft
gewinnt. Daraus nun geht das Gemeinderecht von 1795 hervor. Dieß
Gemeinderecht iſt im Grunde nur die Organiſirung der Gemeinde-

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[483/0507] franzöſiſchen Gemeindeweſens hat übrigens eine große und zum Theil ausgezeichnete Literatur, die ihren Gegenſtand weit geiſtreicher und ein- heitlicher behandelt als die Deutſchen den ihrigen. Es iſt nicht unſere Sache, an dieſem Orte darauf einzugehen. Hier möge es mit Hin- weiſung auf dieſe Schrift verſtattet ſein, den Gang der Dinge ſo kurz als möglich zu charakteriſiren, um den gegenwärtigen Zuſtand, wie ihn namentlich der Artikel: Organisation Communale im Dict. de l’administ. von Block ſehr detaillirt aufführt, ohne ſich weiter auf den hiſtoriſchen Bildungsproceß einzulaſſen, in ſeinem inneren Zuſammenhange mit dem Obigen aufzufaſſen. Es war bei den Bewegungen der franzöſiſchen Revolution auf den erſten Blick klar, daß gerade in der Verfaſſung der Ortsgemeinde der Gegenſatz der Principien, welche Frankreich bewegten, am deutlichſten heraustreten mußte. Daher dann die leicht verſtändliche Erſcheinung, daß jeder große Abſchnitt in jener Bewegung auch ſein eigenes Muni- cipalrecht erzeugte, während die übrigen Organe ſich im Weſentlichen gleich blieben. Die erſte Form war das Municipalrecht von 1789. Es iſt die Gemeindeverfaſſung des noch jungfräulichen Gedankens der Freiheit, und daher die freieſte Gemeindeordnung der ganzen franzöſiſchen Geſchichte. Noch hat das Volk Vertrauen zu ſeiner Freiheit und zur Kraft derſelben, ſich durch ſich ſelbſt erhalten zu können. Die Gemeinde wählt ihren geſammten Vorſtand; dieſer beſteht aus dem Maire, dem Bureau und dem Conseil (Bürgermeiſter, Magiſtrat und Gemeinde- rath). Allerdings behält ſich die Staatsverwaltung die Polizei vor, jedoch, da der Maire ſie ausübt, iſt ſie in der That faktiſch eine Ge- meindepolizei. Die Auflöſung der centralen Gewalt, die den erſten Bewegungen der Revolution folgte, hatte ihrerſeits natürlich zur Folge, daß die ganze Verwaltung der Ortsgemeinde eine thatſächlich ganz unabhängige ward. Und hier war es nun, wo allerdings die Gefahr für die Herrſchaft der revolutionären Principien eine große ward. Die Selbſtändigkeit der Commune bedrohte die Freiheit der Geſetzgebung. Das Weiterſchreiten der Revolution erzeugte daher, was unter dieſen Umſtänden nicht ausbleiben konnte. Die Schreckensregierung erſchien auch in der Communalverfaſſung als Deſpotie der Freiheit. Statt der municipalen Organe der Verfaſſung traten die Commissaires der Re- gierung auf, und in den blutigen Stürmen von 1793 und 1794 ging das geſetzliche Maß unter der Gewaltherrſchaft der Pariſer Principien zu Grunde, bis endlich unter dem Direktorium die Mittelklaſſe unter dem Wahlſpruch des Bedürfniſſes nach „Ordnung“ wieder ihre Herrſchaft gewinnt. Daraus nun geht das Gemeinderecht von 1795 hervor. Dieß Gemeinderecht iſt im Grunde nur die Organiſirung der Gemeinde-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/507>, abgerufen am 22.11.2024.