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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Verwaltung überhaupt, den Kreis und die Gemeinde nur in rein
administrativen Formen wiedergeben. Der Kreis ist in Frankreich das
Arrondissement; die Ortsgemeinde ist die Commune. Die Verwaltungs-
gemeinde mit den Aufgaben der Administration durch selbstgewählte
Körper zu vollziehen und so die örtliche Selbstverwaltung in die Hände
der Bürger zu legen, ist durch die Geschichte Frankreichs für die innere
Verwaltung unmöglich; sie existirt in kaum erkennbarer Form nur noch
für das Steuerwesen als Conseil general und d'Arrondissement, wäh-
rend der Canton mit seinem juge de paix nur eine Andeutung derselben
für die Rechtspflege enthalten, weßhalb die Franzosen über Werth und
Bedeutung des Cantons sich auch durchaus nicht recht klar sind, und
der damit so ganz in den Hintergrund tritt, daß man seiner nur bei-
läufig zu erwähnen pflegt.

Diesem äußeren Systeme entspricht nun das innere, das Verhältniß
dieser Selbstverwaltungskörper zur Staatsverwaltung. Dieß innere
System hatte dem Obigen gemäß die Aufgabe, beide Elemente zu
vereinigen, und in diesen Körpern einerseits die Verwaltung des Staats,
andererseits die freie Berechtigung des Staatsbürgerthums zur Geltung
zu bringen. Die französische Staatsbildung löste diese Aufgabe auf
einem sehr einfachen Wege, den wir schon bezeichnet haben, und der
das gesammte Verfassungsrecht jener Körper ausdrückt. Sie vertrat die
Macht der Staatsverwaltung dadurch, daß dieß vollziehende Organ
dieser Körper unter keiner Bedingung von der Staatsbürgerschaft ge-
wählt werden kann, sondern von dem Haupte der vollziehenden Gewalt,
dem Kaiser, eingesetzt werden muß. Zweitens vertrat sie dieselbe dadurch,
daß diese so eingesetzten Spitzen der örtlichen Verwaltungskörper unter
einander im dienstlich-hierarchischen Verhältniß stehen, der Maire unter
dem Sous-Prefet, der Sous-Prefet unter dem Prefet, dieser unter dem
Minister. Dadurch ist aber keineswegs ein bloß hierarchisches und for-
melles Verhältniß gesetzt, wie das zum Theil in den deutschen Gemeinden
der Fall ist. Dadurch nämlich, daß Maire und Sous-Prefet unter dem
Prefet stehen und dadurch in Wahrheit Beamtete sind, sind sie auch
jeder andern als der amtlichen Verantwortlichkeit entzogen
.
Sie sind nicht eigentliche Mitglieder der Gemeinde- und Kreisräthe,
sondern sie sind das amtliche Haupt derselben. Sie sind daher nicht
den Räthen verantwortlich dafür, daß sie ihre Beschlüsse überhaupt,
oder daß sie sie richtig vollziehen, sondern ihre Verantwortlichkeit besteht
nur gegenüber der höhern Behörde. Sie sind daher nicht etwa
rechtlich verpflichtet, diese Beschlüsse wirklich auszuführen, sondern sie
sind als Beamtete im Gegentheil verpflichtet, sie nicht auszuführen,
wenn sie fürchten, daß dieselben mit ihren amtlichen Pflichten collidiren.

Verwaltung überhaupt, den Kreis und die Gemeinde nur in rein
adminiſtrativen Formen wiedergeben. Der Kreis iſt in Frankreich das
Arrondissement; die Ortsgemeinde iſt die Commune. Die Verwaltungs-
gemeinde mit den Aufgaben der Adminiſtration durch ſelbſtgewählte
Körper zu vollziehen und ſo die örtliche Selbſtverwaltung in die Hände
der Bürger zu legen, iſt durch die Geſchichte Frankreichs für die innere
Verwaltung unmöglich; ſie exiſtirt in kaum erkennbarer Form nur noch
für das Steuerweſen als Conseil général und d’Arrondissement, wäh-
rend der Canton mit ſeinem juge de paix nur eine Andeutung derſelben
für die Rechtspflege enthalten, weßhalb die Franzoſen über Werth und
Bedeutung des Cantons ſich auch durchaus nicht recht klar ſind, und
der damit ſo ganz in den Hintergrund tritt, daß man ſeiner nur bei-
läufig zu erwähnen pflegt.

Dieſem äußeren Syſteme entſpricht nun das innere, das Verhältniß
dieſer Selbſtverwaltungskörper zur Staatsverwaltung. Dieß innere
Syſtem hatte dem Obigen gemäß die Aufgabe, beide Elemente zu
vereinigen, und in dieſen Körpern einerſeits die Verwaltung des Staats,
andererſeits die freie Berechtigung des Staatsbürgerthums zur Geltung
zu bringen. Die franzöſiſche Staatsbildung löste dieſe Aufgabe auf
einem ſehr einfachen Wege, den wir ſchon bezeichnet haben, und der
das geſammte Verfaſſungsrecht jener Körper ausdrückt. Sie vertrat die
Macht der Staatsverwaltung dadurch, daß dieß vollziehende Organ
dieſer Körper unter keiner Bedingung von der Staatsbürgerſchaft ge-
wählt werden kann, ſondern von dem Haupte der vollziehenden Gewalt,
dem Kaiſer, eingeſetzt werden muß. Zweitens vertrat ſie dieſelbe dadurch,
daß dieſe ſo eingeſetzten Spitzen der örtlichen Verwaltungskörper unter
einander im dienſtlich-hierarchiſchen Verhältniß ſtehen, der Maire unter
dem Sous-Préfet, der Sous-Préfet unter dem Préfet, dieſer unter dem
Miniſter. Dadurch iſt aber keineswegs ein bloß hierarchiſches und for-
melles Verhältniß geſetzt, wie das zum Theil in den deutſchen Gemeinden
der Fall iſt. Dadurch nämlich, daß Maire und Sous-Préfet unter dem
Préfet ſtehen und dadurch in Wahrheit Beamtete ſind, ſind ſie auch
jeder andern als der amtlichen Verantwortlichkeit entzogen
.
Sie ſind nicht eigentliche Mitglieder der Gemeinde- und Kreisräthe,
ſondern ſie ſind das amtliche Haupt derſelben. Sie ſind daher nicht
den Räthen verantwortlich dafür, daß ſie ihre Beſchlüſſe überhaupt,
oder daß ſie ſie richtig vollziehen, ſondern ihre Verantwortlichkeit beſteht
nur gegenüber der höhern Behörde. Sie ſind daher nicht etwa
rechtlich verpflichtet, dieſe Beſchlüſſe wirklich auszuführen, ſondern ſie
ſind als Beamtete im Gegentheil verpflichtet, ſie nicht auszuführen,
wenn ſie fürchten, daß dieſelben mit ihren amtlichen Pflichten collidiren.

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[479/0503] Verwaltung überhaupt, den Kreis und die Gemeinde nur in rein adminiſtrativen Formen wiedergeben. Der Kreis iſt in Frankreich das Arrondissement; die Ortsgemeinde iſt die Commune. Die Verwaltungs- gemeinde mit den Aufgaben der Adminiſtration durch ſelbſtgewählte Körper zu vollziehen und ſo die örtliche Selbſtverwaltung in die Hände der Bürger zu legen, iſt durch die Geſchichte Frankreichs für die innere Verwaltung unmöglich; ſie exiſtirt in kaum erkennbarer Form nur noch für das Steuerweſen als Conseil général und d’Arrondissement, wäh- rend der Canton mit ſeinem juge de paix nur eine Andeutung derſelben für die Rechtspflege enthalten, weßhalb die Franzoſen über Werth und Bedeutung des Cantons ſich auch durchaus nicht recht klar ſind, und der damit ſo ganz in den Hintergrund tritt, daß man ſeiner nur bei- läufig zu erwähnen pflegt. Dieſem äußeren Syſteme entſpricht nun das innere, das Verhältniß dieſer Selbſtverwaltungskörper zur Staatsverwaltung. Dieß innere Syſtem hatte dem Obigen gemäß die Aufgabe, beide Elemente zu vereinigen, und in dieſen Körpern einerſeits die Verwaltung des Staats, andererſeits die freie Berechtigung des Staatsbürgerthums zur Geltung zu bringen. Die franzöſiſche Staatsbildung löste dieſe Aufgabe auf einem ſehr einfachen Wege, den wir ſchon bezeichnet haben, und der das geſammte Verfaſſungsrecht jener Körper ausdrückt. Sie vertrat die Macht der Staatsverwaltung dadurch, daß dieß vollziehende Organ dieſer Körper unter keiner Bedingung von der Staatsbürgerſchaft ge- wählt werden kann, ſondern von dem Haupte der vollziehenden Gewalt, dem Kaiſer, eingeſetzt werden muß. Zweitens vertrat ſie dieſelbe dadurch, daß dieſe ſo eingeſetzten Spitzen der örtlichen Verwaltungskörper unter einander im dienſtlich-hierarchiſchen Verhältniß ſtehen, der Maire unter dem Sous-Préfet, der Sous-Préfet unter dem Préfet, dieſer unter dem Miniſter. Dadurch iſt aber keineswegs ein bloß hierarchiſches und for- melles Verhältniß geſetzt, wie das zum Theil in den deutſchen Gemeinden der Fall iſt. Dadurch nämlich, daß Maire und Sous-Préfet unter dem Préfet ſtehen und dadurch in Wahrheit Beamtete ſind, ſind ſie auch jeder andern als der amtlichen Verantwortlichkeit entzogen. Sie ſind nicht eigentliche Mitglieder der Gemeinde- und Kreisräthe, ſondern ſie ſind das amtliche Haupt derſelben. Sie ſind daher nicht den Räthen verantwortlich dafür, daß ſie ihre Beſchlüſſe überhaupt, oder daß ſie ſie richtig vollziehen, ſondern ihre Verantwortlichkeit beſteht nur gegenüber der höhern Behörde. Sie ſind daher nicht etwa rechtlich verpflichtet, dieſe Beſchlüſſe wirklich auszuführen, ſondern ſie ſind als Beamtete im Gegentheil verpflichtet, ſie nicht auszuführen, wenn ſie fürchten, daß dieſelben mit ihren amtlichen Pflichten collidiren.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/503>, abgerufen am 23.11.2024.