das Musterbild der Zustände, die gerade auf diesem Punkte von den unsern so wesentlich verschieden sind. Und das daraus folgende Princip der örtlichen Selbstverwaltung ergibt sich damit fast von selbst. Da nämlich die alte Grundlage der Geschlechterordnung, der freie Grund- besitz sich erhält, so wird er zur Grundlage aller Selbstverwal- tung. Das Princip derselben sowohl unter dem anglosächsischen als dem normännischen System ist der Satz, daß jeder freie Grundbesitz das Anrecht zur Theilnahme an der Selbstverwaltung gibt. Das ist die "visible profitable propriety;" dieser Ausdruck ist die juristische Formulirung eines gesellschaftlichen Begriffes. Das englische Princip kann daher keinen Körper der Selbstverwaltung auf Grundlage eines Werthbesitzes oder eines Einkommens begründen; es vermag nicht, als Basis derselben die Steuerpflicht, den Steuercensus, anzunehmen; es will eben einen Grundbesitz, und jeder Grundbesitz, gleichviel, ob in Stadt oder Land, gibt an und für sich das Recht auf Selbstverwaltung. Allerdings muß sich dieser Grundsatz in den Städten etwas modificiren; aber er geht nie so weit, daß das bloße Einkommen den Besitz ersetzte, sondern auch in den Städten ist die Bedingung der Theilnahme an der Selbstverwaltung die Ansässigkeit; das bearing scot und paying lot ist der Ausdruck der durch wirkliche, materielle Ansässigkeit gegebenen Berechtigung und Verpflichtung in dem Selfgovernment. Daraus folgt dann das zweite herrschende Princip für die letzteren. Wie das Recht, so ist auch die Pflicht mit dieser Ansässigkeit verbunden. Alle Lasten der Selbstverwaltung beruhen nicht wie auf dem Continent auf jenem, der reinen staatsbürgerlichen Gesellschaft angehörigen Begriffe des Einkommens, sondern auf dem Grundbesitze. Die Steuern des Selfgovernment sind deßhalb stets direkte Steuern, auf der propriety umgelegt; sie sind aber, wie die alte Dorfschaft, zugleich ursprüngliche Steuern, das heißt, sie erscheinen nicht wie die französische Selbstbe- steuerung, nur als Anschluß an die direkte Staatssteuer, als centimes additionnels oder Zuschläge, sondern die Grundbesitzer stellen für diese Selbstverwaltungssteuer ihren eigenen, selbstbeschlossenen Steuerfuß auf; wie ihre Verwaltung, so ist auch ihr Steuersystem eine ganz selb- ständige Finanzwirthschaft neb[ - 1 Zeichen fehlt]n den Staatsfinanzen. Diese Grundsätze, auf derselben Grundlage in ganz England beruhend, sind daher auch gleichmäßig gültig für alle Theile Englands. Allerdings ist ein Unter- schied zwischen Stadt und Land, und sogar ein Unterschied zwischen dem Gemeindebürgerthum in Stadt und Land; allein diese Unterschiede enthalten nicht etwa ein verschiedenes Princip, sondern sie sind nur Verschiedenheiten in demselben Princip. Und daraus entsteht nun das- jenige, was wir das System des englischen Selfgovernment nennen.
das Muſterbild der Zuſtände, die gerade auf dieſem Punkte von den unſern ſo weſentlich verſchieden ſind. Und das daraus folgende Princip der örtlichen Selbſtverwaltung ergibt ſich damit faſt von ſelbſt. Da nämlich die alte Grundlage der Geſchlechterordnung, der freie Grund- beſitz ſich erhält, ſo wird er zur Grundlage aller Selbſtverwal- tung. Das Princip derſelben ſowohl unter dem angloſächſiſchen als dem normänniſchen Syſtem iſt der Satz, daß jeder freie Grundbeſitz das Anrecht zur Theilnahme an der Selbſtverwaltung gibt. Das iſt die „visible profitable propriety;“ dieſer Ausdruck iſt die juriſtiſche Formulirung eines geſellſchaftlichen Begriffes. Das engliſche Princip kann daher keinen Körper der Selbſtverwaltung auf Grundlage eines Werthbeſitzes oder eines Einkommens begründen; es vermag nicht, als Baſis derſelben die Steuerpflicht, den Steuercenſus, anzunehmen; es will eben einen Grundbeſitz, und jeder Grundbeſitz, gleichviel, ob in Stadt oder Land, gibt an und für ſich das Recht auf Selbſtverwaltung. Allerdings muß ſich dieſer Grundſatz in den Städten etwas modificiren; aber er geht nie ſo weit, daß das bloße Einkommen den Beſitz erſetzte, ſondern auch in den Städten iſt die Bedingung der Theilnahme an der Selbſtverwaltung die Anſäſſigkeit; das bearing scot und paying lot iſt der Ausdruck der durch wirkliche, materielle Anſäſſigkeit gegebenen Berechtigung und Verpflichtung in dem Selfgovernment. Daraus folgt dann das zweite herrſchende Princip für die letzteren. Wie das Recht, ſo iſt auch die Pflicht mit dieſer Anſäſſigkeit verbunden. Alle Laſten der Selbſtverwaltung beruhen nicht wie auf dem Continent auf jenem, der reinen ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft angehörigen Begriffe des Einkommens, ſondern auf dem Grundbeſitze. Die Steuern des Selfgovernment ſind deßhalb ſtets direkte Steuern, auf der propriety umgelegt; ſie ſind aber, wie die alte Dorfſchaft, zugleich urſprüngliche Steuern, das heißt, ſie erſcheinen nicht wie die franzöſiſche Selbſtbe- ſteuerung, nur als Anſchluß an die direkte Staatsſteuer, als centimes additionnels oder Zuſchläge, ſondern die Grundbeſitzer ſtellen für dieſe Selbſtverwaltungsſteuer ihren eigenen, ſelbſtbeſchloſſenen Steuerfuß auf; wie ihre Verwaltung, ſo iſt auch ihr Steuerſyſtem eine ganz ſelb- ſtändige Finanzwirthſchaft neb[ – 1 Zeichen fehlt]n den Staatsfinanzen. Dieſe Grundſätze, auf derſelben Grundlage in ganz England beruhend, ſind daher auch gleichmäßig gültig für alle Theile Englands. Allerdings iſt ein Unter- ſchied zwiſchen Stadt und Land, und ſogar ein Unterſchied zwiſchen dem Gemeindebürgerthum in Stadt und Land; allein dieſe Unterſchiede enthalten nicht etwa ein verſchiedenes Princip, ſondern ſie ſind nur Verſchiedenheiten in demſelben Princip. Und daraus entſteht nun das- jenige, was wir das Syſtem des engliſchen Selfgovernment nennen.
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der örtlichen Selbſtverwaltung ergibt ſich damit faſt von ſelbſt. Da
nämlich die alte Grundlage der Geſchlechterordnung, der freie Grund-
beſitz ſich erhält, ſo wird er zur Grundlage aller Selbſtverwal-
tung. Das Princip derſelben ſowohl unter dem angloſächſiſchen als
dem normänniſchen Syſtem iſt der Satz, daß jeder freie Grundbeſitz
das Anrecht zur Theilnahme an der Selbſtverwaltung gibt. Das iſt
die „visible profitable propriety;“ dieſer Ausdruck iſt die juriſtiſche
Formulirung eines geſellſchaftlichen Begriffes. Das engliſche Princip
kann daher keinen Körper der Selbſtverwaltung auf Grundlage eines
Werthbeſitzes oder eines Einkommens begründen; es vermag nicht, als
Baſis derſelben die Steuerpflicht, den Steuercenſus, anzunehmen; es
will eben einen Grundbeſitz, und jeder Grundbeſitz, gleichviel, ob in
Stadt oder Land, gibt an und für ſich das Recht auf Selbſtverwaltung.
Allerdings muß ſich dieſer Grundſatz in den Städten etwas modificiren;
aber er geht nie ſo weit, daß das bloße Einkommen den Beſitz erſetzte,
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Selbſtverwaltung die Anſäſſigkeit; das bearing scot und paying lot
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Berechtigung und Verpflichtung in dem Selfgovernment. Daraus
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Recht, ſo iſt auch die Pflicht mit dieſer Anſäſſigkeit verbunden. Alle
Laſten der Selbſtverwaltung beruhen nicht wie auf dem Continent auf
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des Einkommens, ſondern auf dem Grundbeſitze. Die Steuern des
Selfgovernment ſind deßhalb ſtets direkte Steuern, auf der propriety
umgelegt; ſie ſind aber, wie die alte Dorfſchaft, zugleich urſprüngliche
Steuern, das heißt, ſie erſcheinen nicht wie die franzöſiſche Selbſtbe-
ſteuerung, nur als Anſchluß an die direkte Staatsſteuer, als centimes
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auf derſelben Grundlage in ganz England beruhend, ſind daher auch
gleichmäßig gültig für alle Theile Englands. Allerdings iſt ein Unter-
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dem Gemeindebürgerthum in Stadt und Land; allein dieſe Unterſchiede
enthalten nicht etwa ein verſchiedenes Princip, ſondern ſie ſind nur
Verſchiedenheiten in demſelben Princip. Und daraus entſteht nun das-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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