nicht weiter, als die Unterdrückung selbst; die Länder, in denen die Dorfschaften ihre Rechte erhalten konnten, blieben der Erhebung fern; die Grundholden endlich stehen zweifelhaft zur Seite, weil sie wissen, daß sie das Recht nie gehabt haben, für welches die Bauernschaften aufstehen; die herrschenden Geschlechter endlich halten als ständische Körperschaft zusammen, und haben das Uebergewicht der Waffenbildung und des Besitzes; und so geschieht es, daß in allen Ländern Europas, mit der einzigen Ausnahme der Schweiz, die Dorfschaft von der Herr- schaft gänzlich besiegt wird. Das war das Ende aller Bauernkriege, von der Jacquerie Frankreichs bis zum deutschen Bauernkrieg. Und mit diesem Ende war das Ende der Dorfschaft selbst gegeben. Der letzte Rest der Selbstverwaltung, die letzten selbständigen Rechte wurden genommen und in die herrschaftliche Verwaltung verschmolzen. Es gab keine Dorfschaft mehr, sondern nur noch Herrschaften, selbst wo jene noch blieben, wie in den Nord- und Ostseeländern, waren sie künftig ohne Bedeutung. Und damit standen sich jetzt die beiden großen Grund- formen der örtlichen Selbstverwaltung, die Herrschaft und die Stadt, einander ohne Zwischenglied gegenüber. Dieser Zustand ist die Grund- lage jener zweiten Epoche des städtischen Gemeindewesens und seiner Rechtsbildung.
5) So verschieden auch jene beiden Elemente, Stadt und Herrschaft waren, so war dennoch eine Gemeinschaft beider in öffentlichen Ange- legenheiten nothwendig. Das Organ dieser Gemeinschaft war der Land- tag. Das Auftreten der Städte in den Angelegenheiten des Landes hatte daher zur Bedingung, daß sie selbst als Stand erschienen. Das war eigentlich ein Widerspruch mit ihrem eigensten Wesen, das auf der freien staatsbürgerlichen Gesellschaft beruhte. Allein es war eine unabweisbare Bedingung ihrer Stellung im Staate. So entstand das, was die Zeit seit dem 14. Jahrhundert charakterisirt. Die Städte bilden den dritten Stand; das gewerbliche Capital nimmt einen ständischen Charakter an. Die Folgen davon konnten nicht ausbleiben; sie beherrschten diese ganze Epoche, die wir eben deßhalb die Epoche des ständischen Städtewesens nennen möchten. Zuerst gibt die ständische oder landschaftliche Stellung der Städte ihnen und ihrer Selbstverwaltung die Selbständigkeit, welche die Herrschaft hat; jede Stadt wird zunächst für ihre Angelegenheiten, gegenüber der Staats- gewalt, eine unabhängige Körperschaft, und als solche von derselben anerkannt. Zweitens aber tritt das Princip der ständischen Ordnung nunmehr auch von außen her über die Mauern der Städte hinweg in das gewerbliche Leben selbst hinein, und verkehrt das innerste Wesen desselben. Die Hauptformen des Gewerbes werden aus wirthschaftlichen
nicht weiter, als die Unterdrückung ſelbſt; die Länder, in denen die Dorfſchaften ihre Rechte erhalten konnten, blieben der Erhebung fern; die Grundholden endlich ſtehen zweifelhaft zur Seite, weil ſie wiſſen, daß ſie das Recht nie gehabt haben, für welches die Bauernſchaften aufſtehen; die herrſchenden Geſchlechter endlich halten als ſtändiſche Körperſchaft zuſammen, und haben das Uebergewicht der Waffenbildung und des Beſitzes; und ſo geſchieht es, daß in allen Ländern Europas, mit der einzigen Ausnahme der Schweiz, die Dorfſchaft von der Herr- ſchaft gänzlich beſiegt wird. Das war das Ende aller Bauernkriege, von der Jacquerie Frankreichs bis zum deutſchen Bauernkrieg. Und mit dieſem Ende war das Ende der Dorfſchaft ſelbſt gegeben. Der letzte Reſt der Selbſtverwaltung, die letzten ſelbſtändigen Rechte wurden genommen und in die herrſchaftliche Verwaltung verſchmolzen. Es gab keine Dorfſchaft mehr, ſondern nur noch Herrſchaften, ſelbſt wo jene noch blieben, wie in den Nord- und Oſtſeeländern, waren ſie künftig ohne Bedeutung. Und damit ſtanden ſich jetzt die beiden großen Grund- formen der örtlichen Selbſtverwaltung, die Herrſchaft und die Stadt, einander ohne Zwiſchenglied gegenüber. Dieſer Zuſtand iſt die Grund- lage jener zweiten Epoche des ſtädtiſchen Gemeindeweſens und ſeiner Rechtsbildung.
5) So verſchieden auch jene beiden Elemente, Stadt und Herrſchaft waren, ſo war dennoch eine Gemeinſchaft beider in öffentlichen Ange- legenheiten nothwendig. Das Organ dieſer Gemeinſchaft war der Land- tag. Das Auftreten der Städte in den Angelegenheiten des Landes hatte daher zur Bedingung, daß ſie ſelbſt als Stand erſchienen. Das war eigentlich ein Widerſpruch mit ihrem eigenſten Weſen, das auf der freien ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft beruhte. Allein es war eine unabweisbare Bedingung ihrer Stellung im Staate. So entſtand das, was die Zeit ſeit dem 14. Jahrhundert charakteriſirt. Die Städte bilden den dritten Stand; das gewerbliche Capital nimmt einen ſtändiſchen Charakter an. Die Folgen davon konnten nicht ausbleiben; ſie beherrſchten dieſe ganze Epoche, die wir eben deßhalb die Epoche des ſtändiſchen Städteweſens nennen möchten. Zuerſt gibt die ſtändiſche oder landſchaftliche Stellung der Städte ihnen und ihrer Selbſtverwaltung die Selbſtändigkeit, welche die Herrſchaft hat; jede Stadt wird zunächſt für ihre Angelegenheiten, gegenüber der Staats- gewalt, eine unabhängige Körperſchaft, und als ſolche von derſelben anerkannt. Zweitens aber tritt das Princip der ſtändiſchen Ordnung nunmehr auch von außen her über die Mauern der Städte hinweg in das gewerbliche Leben ſelbſt hinein, und verkehrt das innerſte Weſen deſſelben. Die Hauptformen des Gewerbes werden aus wirthſchaftlichen
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nicht weiter, als die Unterdrückung ſelbſt; die Länder, in denen die
Dorfſchaften ihre Rechte erhalten konnten, blieben der Erhebung fern;
die Grundholden endlich ſtehen zweifelhaft zur Seite, weil ſie wiſſen,
daß ſie das Recht nie gehabt haben, für welches die Bauernſchaften
aufſtehen; die herrſchenden Geſchlechter endlich halten als ſtändiſche
Körperſchaft zuſammen, und haben das Uebergewicht der Waffenbildung
und des Beſitzes; und ſo geſchieht es, daß in allen Ländern Europas,
mit der einzigen Ausnahme der Schweiz, die Dorfſchaft von der Herr-
ſchaft gänzlich beſiegt wird. Das war das Ende aller Bauernkriege,
von der Jacquerie Frankreichs bis zum deutſchen Bauernkrieg. Und
mit dieſem Ende war das Ende der Dorfſchaft ſelbſt gegeben. Der
letzte Reſt der Selbſtverwaltung, die letzten ſelbſtändigen Rechte wurden
genommen und in die herrſchaftliche Verwaltung verſchmolzen. Es gab
keine Dorfſchaft mehr, ſondern nur noch Herrſchaften, ſelbſt wo jene
noch blieben, wie in den Nord- und Oſtſeeländern, waren ſie künftig
ohne Bedeutung. Und damit ſtanden ſich jetzt die beiden großen Grund-
formen der örtlichen Selbſtverwaltung, die Herrſchaft und die Stadt,
einander ohne Zwiſchenglied gegenüber. Dieſer Zuſtand iſt die Grund-
lage jener zweiten Epoche des ſtädtiſchen Gemeindeweſens und ſeiner
Rechtsbildung.
5) So verſchieden auch jene beiden Elemente, Stadt und Herrſchaft
waren, ſo war dennoch eine Gemeinſchaft beider in öffentlichen Ange-
legenheiten nothwendig. Das Organ dieſer Gemeinſchaft war der Land-
tag. Das Auftreten der Städte in den Angelegenheiten des Landes
hatte daher zur Bedingung, daß ſie ſelbſt als Stand erſchienen. Das
war eigentlich ein Widerſpruch mit ihrem eigenſten Weſen, das auf
der freien ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft beruhte. Allein es war eine
unabweisbare Bedingung ihrer Stellung im Staate. So entſtand
das, was die Zeit ſeit dem 14. Jahrhundert charakteriſirt. Die Städte
bilden den dritten Stand; das gewerbliche Capital nimmt einen
ſtändiſchen Charakter an. Die Folgen davon konnten nicht ausbleiben;
ſie beherrſchten dieſe ganze Epoche, die wir eben deßhalb die Epoche
des ſtändiſchen Städteweſens nennen möchten. Zuerſt gibt die
ſtändiſche oder landſchaftliche Stellung der Städte ihnen und ihrer
Selbſtverwaltung die Selbſtändigkeit, welche die Herrſchaft hat; jede
Stadt wird zunächſt für ihre Angelegenheiten, gegenüber der Staats-
gewalt, eine unabhängige Körperſchaft, und als ſolche von derſelben
anerkannt. Zweitens aber tritt das Princip der ſtändiſchen Ordnung
nunmehr auch von außen her über die Mauern der Städte hinweg in
das gewerbliche Leben ſelbſt hinein, und verkehrt das innerſte Weſen
deſſelben. Die Hauptformen des Gewerbes werden aus wirthſchaftlichen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/479>, abgerufen am 22.11.2024.
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