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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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verwaltung dem Organismus des Staats selbständig gegenüber stehen,
sondern vielmehr nur eine Vertheilung der amtlichen Funktion ent-
halten. Namentlich die Conseils generaux sind eigentlich nur gewählte
amtliche Organe, soweit sie entscheidende Stimme haben, und gewählte
Räthe der Regierung für Landschaftsangelegenheiten, soweit sie berathen
und begutachten. Dennoch erscheinen sie als Formen der Selbstverwal-
tungskörper, denn das Departement ist die gesetzliche Landschaft, und
jene Funktionen beruhen auf Gesetzen und nicht auf dem Willen der
Regierung. Dagegen haben sie weder vollziehende Gewalt, noch Ver-
ordnungsgewalt, noch Steuergewalt, noch eine bürgerlich gerichtliche;
nur für den Verwaltungsproceß sind die Conseils de prefecture selb-
ständige Organe, aber doch nur erste Instanzen. Ebenso wenig sind
dieselben Ausdrücke selbständiger socialer Bildungen. Sie lassen den
Antheil des Volkes an der örtlichen Verwaltung nur als Consequenz
eines Princips, und nicht als Ausübung eines Rechts zu, und daher
sind sie sowohl wie die folgende Form des Gemeindewesens kurz gesagt
das, was wir als die romanische Form der Selbstverwaltung
gegenüber der germanischen
bezeichnen. Diese nun hat ihren
reinsten Ausdruck erst in Deutschland gefunden.

3) Deutschland. Die deutsche Landschaft, die ständischen Ver-
fassungen und die Provinzialstände
.

Obwohl der Gang der Dinge und der Mangel an vergleichender
Wissenschaft der Rechtsbildung die natürliche Auffassung des deutschen
Landschaftswesens sehr verwirrt hat, so sind dennoch die Grundlagen
desselben so einfach und durchgreifend, daß über ihre Richtigkeit und
Bedeutung kein Zweifel sein kann. In der That ist Deutschland die
Heimath des eigentlichen Landschaftswesens; hier hat es noch die beiden
Charaktere, welche es auszeichnen; es ist zugleich ein administrativer
und ein socialer Körper der Selbstverwaltung. Nur muß man dabei
einen etwas ungewöhnlichen Weg der Auffassung einschlagen.

Wir setzen die Geschichte der deutschen Landschaft bis zum Anfange
dieses Jahrhunderts als bekannt voraus. Mit den neuen Staaten-
bildungen in Deutschland empfängt sie ihre gegenwärtige Gestalt.

Als diese neue Staatenbildung beginnt, und die alten Reichskörper
in die neuen Bundeskörper aufgenommen werden, sehen wir zwei
große Thatsachen lebendig an der Schwelle unseres Jahrhunderts vor
uns stehen.

Die erste dieser Thatsachen ist das alte historische Recht der Land-
stände, unvernichtet, wenn auch verdeckt durch die landesherrliche Macht.
Dieß Recht ist wesentlich die Anerkennung der verfassungsmäßigen

verwaltung dem Organismus des Staats ſelbſtändig gegenüber ſtehen,
ſondern vielmehr nur eine Vertheilung der amtlichen Funktion ent-
halten. Namentlich die Conseils généraux ſind eigentlich nur gewählte
amtliche Organe, ſoweit ſie entſcheidende Stimme haben, und gewählte
Räthe der Regierung für Landſchaftsangelegenheiten, ſoweit ſie berathen
und begutachten. Dennoch erſcheinen ſie als Formen der Selbſtverwal-
tungskörper, denn das Departement iſt die geſetzliche Landſchaft, und
jene Funktionen beruhen auf Geſetzen und nicht auf dem Willen der
Regierung. Dagegen haben ſie weder vollziehende Gewalt, noch Ver-
ordnungsgewalt, noch Steuergewalt, noch eine bürgerlich gerichtliche;
nur für den Verwaltungsproceß ſind die Conseils de préfecture ſelb-
ſtändige Organe, aber doch nur erſte Inſtanzen. Ebenſo wenig ſind
dieſelben Ausdrücke ſelbſtändiger ſocialer Bildungen. Sie laſſen den
Antheil des Volkes an der örtlichen Verwaltung nur als Conſequenz
eines Princips, und nicht als Ausübung eines Rechts zu, und daher
ſind ſie ſowohl wie die folgende Form des Gemeindeweſens kurz geſagt
das, was wir als die romaniſche Form der Selbſtverwaltung
gegenüber der germaniſchen
bezeichnen. Dieſe nun hat ihren
reinſten Ausdruck erſt in Deutſchland gefunden.

3) Deutſchland. Die deutſche Landſchaft, die ſtändiſchen Ver-
faſſungen und die Provinzialſtände
.

Obwohl der Gang der Dinge und der Mangel an vergleichender
Wiſſenſchaft der Rechtsbildung die natürliche Auffaſſung des deutſchen
Landſchaftsweſens ſehr verwirrt hat, ſo ſind dennoch die Grundlagen
deſſelben ſo einfach und durchgreifend, daß über ihre Richtigkeit und
Bedeutung kein Zweifel ſein kann. In der That iſt Deutſchland die
Heimath des eigentlichen Landſchaftsweſens; hier hat es noch die beiden
Charaktere, welche es auszeichnen; es iſt zugleich ein adminiſtrativer
und ein ſocialer Körper der Selbſtverwaltung. Nur muß man dabei
einen etwas ungewöhnlichen Weg der Auffaſſung einſchlagen.

Wir ſetzen die Geſchichte der deutſchen Landſchaft bis zum Anfange
dieſes Jahrhunderts als bekannt voraus. Mit den neuen Staaten-
bildungen in Deutſchland empfängt ſie ihre gegenwärtige Geſtalt.

Als dieſe neue Staatenbildung beginnt, und die alten Reichskörper
in die neuen Bundeskörper aufgenommen werden, ſehen wir zwei
große Thatſachen lebendig an der Schwelle unſeres Jahrhunderts vor
uns ſtehen.

Die erſte dieſer Thatſachen iſt das alte hiſtoriſche Recht der Land-
ſtände, unvernichtet, wenn auch verdeckt durch die landesherrliche Macht.
Dieß Recht iſt weſentlich die Anerkennung der verfaſſungsmäßigen

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[425/0449] verwaltung dem Organismus des Staats ſelbſtändig gegenüber ſtehen, ſondern vielmehr nur eine Vertheilung der amtlichen Funktion ent- halten. Namentlich die Conseils généraux ſind eigentlich nur gewählte amtliche Organe, ſoweit ſie entſcheidende Stimme haben, und gewählte Räthe der Regierung für Landſchaftsangelegenheiten, ſoweit ſie berathen und begutachten. Dennoch erſcheinen ſie als Formen der Selbſtverwal- tungskörper, denn das Departement iſt die geſetzliche Landſchaft, und jene Funktionen beruhen auf Geſetzen und nicht auf dem Willen der Regierung. Dagegen haben ſie weder vollziehende Gewalt, noch Ver- ordnungsgewalt, noch Steuergewalt, noch eine bürgerlich gerichtliche; nur für den Verwaltungsproceß ſind die Conseils de préfecture ſelb- ſtändige Organe, aber doch nur erſte Inſtanzen. Ebenſo wenig ſind dieſelben Ausdrücke ſelbſtändiger ſocialer Bildungen. Sie laſſen den Antheil des Volkes an der örtlichen Verwaltung nur als Conſequenz eines Princips, und nicht als Ausübung eines Rechts zu, und daher ſind ſie ſowohl wie die folgende Form des Gemeindeweſens kurz geſagt das, was wir als die romaniſche Form der Selbſtverwaltung gegenüber der germaniſchen bezeichnen. Dieſe nun hat ihren reinſten Ausdruck erſt in Deutſchland gefunden. 3) Deutſchland. Die deutſche Landſchaft, die ſtändiſchen Ver- faſſungen und die Provinzialſtände. Obwohl der Gang der Dinge und der Mangel an vergleichender Wiſſenſchaft der Rechtsbildung die natürliche Auffaſſung des deutſchen Landſchaftsweſens ſehr verwirrt hat, ſo ſind dennoch die Grundlagen deſſelben ſo einfach und durchgreifend, daß über ihre Richtigkeit und Bedeutung kein Zweifel ſein kann. In der That iſt Deutſchland die Heimath des eigentlichen Landſchaftsweſens; hier hat es noch die beiden Charaktere, welche es auszeichnen; es iſt zugleich ein adminiſtrativer und ein ſocialer Körper der Selbſtverwaltung. Nur muß man dabei einen etwas ungewöhnlichen Weg der Auffaſſung einſchlagen. Wir ſetzen die Geſchichte der deutſchen Landſchaft bis zum Anfange dieſes Jahrhunderts als bekannt voraus. Mit den neuen Staaten- bildungen in Deutſchland empfängt ſie ihre gegenwärtige Geſtalt. Als dieſe neue Staatenbildung beginnt, und die alten Reichskörper in die neuen Bundeskörper aufgenommen werden, ſehen wir zwei große Thatſachen lebendig an der Schwelle unſeres Jahrhunderts vor uns ſtehen. Die erſte dieſer Thatſachen iſt das alte hiſtoriſche Recht der Land- ſtände, unvernichtet, wenn auch verdeckt durch die landesherrliche Macht. Dieß Recht iſt weſentlich die Anerkennung der verfaſſungsmäßigen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/449>, abgerufen am 22.11.2024.