Man wußte in Paris sehr gut, daß wenn man die Ausführung der Gesetze in die Hände der Communen und Departemente legte, diese Ausführung durch die Interessen und die Macht der Theilnehmer an der Selbstverwaltung niemals mit den Gesetzen in Harmonie sein würden. Es ließ sich sogar mit aller Bestimmtheit vorher berechnen, daß in einzelnen Theilen Frankreichs diese Selbstverwaltung, wenn man ihr eine entscheidende Stimme gab, gerade das Gegentheil von den erlassenen Gesetzen hervorbringen werde. Und diese Auffassung gewann nur zu sehr ihre volle Bestätigung, als die Erhebungen im Süden Frankreichs, in der Vendee, und namentlich als die Versuche der Gironde, Frankreich gegen Paris ins Feld zu führen, mit Schwert und Feuer unterdrückt werden mußten. Die Selbstverwaltung wäre eine Organisirung und Legalisirung des Vernichtungskampfes des histo- rischen Rechtes gegen das gesetzliche geworden; die Aufstellung beschließen- der Selbstverwaltungskörper hätte eben so viel Festungen der dem Untergange geweihten gesellschaftlichen Ordnungen der früheren Jahr- hunderte geschaffen; die Gesetze der Pariser Volksvertretung wären durch die örtlichen Volksvertretungen in ihrer ganzen Verwirklichung vernichtet worden, denn der Charakter der letzteren und namentlich der Landschaft, den Ausdruck und die Geltung der socialen Elemente zu bilden, ist ein unabänderlicher.
Es blieb daher nur Eins übrig, und dieß Eine große Princip ist es, das uns die ganze innere Verwaltung Frankreichs, ihr System und ihr Recht im Einzelnen wie im Ganzen erklärt: die gesetzgebende Ge- walt mußte die Ausführung ihrer Gesetze selbst in die Hand nehmen. Sie mußte aus sich selbst eine Verwaltung erzeugen, die nicht einmal verpflichtet war, dem örtlichen Gerichte Rede zu stehen, sondern die auch im Einzelnen, auch für die einzelnen Handlungen der ausführenden Organe nur dem gesetzgebenden Körper verantwortlich war. Nur durch diese grundsätzliche Beseitigung jeder praktischen Be- rechtigung der örtlichen Selbstverwaltung war eine Sicherheit für die wirkliche und rücksichtslose Ausführung der neuen Gesetze zu gewinnen. Wie das Gesetz, so mußte auch die Verwaltung rücksichtslos gegen jede Selbständigkeit vorgehen; wie jenes, so mußte diese vom Mittelpunkt aus alleinherrschend Frankreich ordnen, und das verfassungsmäßige Leben mußte seine Sicherung allein in der Unterwerfung der obersten Spitzen der Verwaltung unter die Gesetzgebung finden, die wieder ohne eine Unterwerfung aller Verwaltungsorgane unter die ersteren nicht denkbar war.
Auf diese Weise erzeugte die Despotie des abstrakten Princips eine gleiche Despotie der Vollziehung. Die Selbstverwaltung war in
Man wußte in Paris ſehr gut, daß wenn man die Ausführung der Geſetze in die Hände der Communen und Departemente legte, dieſe Ausführung durch die Intereſſen und die Macht der Theilnehmer an der Selbſtverwaltung niemals mit den Geſetzen in Harmonie ſein würden. Es ließ ſich ſogar mit aller Beſtimmtheit vorher berechnen, daß in einzelnen Theilen Frankreichs dieſe Selbſtverwaltung, wenn man ihr eine entſcheidende Stimme gab, gerade das Gegentheil von den erlaſſenen Geſetzen hervorbringen werde. Und dieſe Auffaſſung gewann nur zu ſehr ihre volle Beſtätigung, als die Erhebungen im Süden Frankreichs, in der Vendée, und namentlich als die Verſuche der Gironde, Frankreich gegen Paris ins Feld zu führen, mit Schwert und Feuer unterdrückt werden mußten. Die Selbſtverwaltung wäre eine Organiſirung und Legaliſirung des Vernichtungskampfes des hiſto- riſchen Rechtes gegen das geſetzliche geworden; die Aufſtellung beſchließen- der Selbſtverwaltungskörper hätte eben ſo viel Feſtungen der dem Untergange geweihten geſellſchaftlichen Ordnungen der früheren Jahr- hunderte geſchaffen; die Geſetze der Pariſer Volksvertretung wären durch die örtlichen Volksvertretungen in ihrer ganzen Verwirklichung vernichtet worden, denn der Charakter der letzteren und namentlich der Landſchaft, den Ausdruck und die Geltung der ſocialen Elemente zu bilden, iſt ein unabänderlicher.
Es blieb daher nur Eins übrig, und dieß Eine große Princip iſt es, das uns die ganze innere Verwaltung Frankreichs, ihr Syſtem und ihr Recht im Einzelnen wie im Ganzen erklärt: die geſetzgebende Ge- walt mußte die Ausführung ihrer Geſetze ſelbſt in die Hand nehmen. Sie mußte aus ſich ſelbſt eine Verwaltung erzeugen, die nicht einmal verpflichtet war, dem örtlichen Gerichte Rede zu ſtehen, ſondern die auch im Einzelnen, auch für die einzelnen Handlungen der ausführenden Organe nur dem geſetzgebenden Körper verantwortlich war. Nur durch dieſe grundſätzliche Beſeitigung jeder praktiſchen Be- rechtigung der örtlichen Selbſtverwaltung war eine Sicherheit für die wirkliche und rückſichtsloſe Ausführung der neuen Geſetze zu gewinnen. Wie das Geſetz, ſo mußte auch die Verwaltung rückſichtslos gegen jede Selbſtändigkeit vorgehen; wie jenes, ſo mußte dieſe vom Mittelpunkt aus alleinherrſchend Frankreich ordnen, und das verfaſſungsmäßige Leben mußte ſeine Sicherung allein in der Unterwerfung der oberſten Spitzen der Verwaltung unter die Geſetzgebung finden, die wieder ohne eine Unterwerfung aller Verwaltungsorgane unter die erſteren nicht denkbar war.
Auf dieſe Weiſe erzeugte die Despotie des abſtrakten Princips eine gleiche Despotie der Vollziehung. Die Selbſtverwaltung war in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0416"n="392"/>
Man wußte in Paris ſehr gut, daß wenn man die Ausführung<lb/>
der Geſetze in die Hände der Communen und Departemente legte,<lb/>
dieſe Ausführung durch die Intereſſen und die Macht der Theilnehmer<lb/>
an der Selbſtverwaltung <hirendition="#g">niemals</hi> mit den Geſetzen in Harmonie ſein<lb/>
würden. Es ließ ſich ſogar mit aller Beſtimmtheit vorher berechnen,<lb/>
daß in einzelnen Theilen Frankreichs dieſe Selbſtverwaltung, wenn<lb/>
man ihr eine entſcheidende Stimme gab, gerade das Gegentheil von den<lb/>
erlaſſenen Geſetzen hervorbringen werde. Und dieſe Auffaſſung gewann<lb/>
nur zu ſehr ihre volle Beſtätigung, als die Erhebungen im Süden<lb/>
Frankreichs, in der Vend<hirendition="#aq">é</hi>e, und namentlich als die Verſuche der<lb/>
Gironde, Frankreich gegen Paris ins Feld zu führen, mit Schwert<lb/>
und Feuer unterdrückt werden mußten. Die Selbſtverwaltung wäre<lb/>
eine Organiſirung und Legaliſirung des Vernichtungskampfes des hiſto-<lb/>
riſchen Rechtes gegen das geſetzliche geworden; die Aufſtellung beſchließen-<lb/>
der Selbſtverwaltungskörper hätte eben ſo viel Feſtungen der dem<lb/>
Untergange geweihten geſellſchaftlichen Ordnungen der früheren Jahr-<lb/>
hunderte geſchaffen; die Geſetze der Pariſer Volksvertretung wären<lb/>
durch die örtlichen Volksvertretungen in ihrer ganzen Verwirklichung<lb/>
vernichtet worden, denn der Charakter der letzteren und namentlich der<lb/>
Landſchaft, den Ausdruck und die Geltung der ſocialen Elemente zu<lb/>
bilden, iſt ein unabänderlicher.</p><lb/><p>Es blieb daher nur Eins übrig, und dieß Eine große Princip iſt<lb/>
es, das uns die ganze innere Verwaltung Frankreichs, ihr Syſtem und<lb/>
ihr Recht im Einzelnen wie im Ganzen erklärt: die geſetzgebende Ge-<lb/>
walt mußte die Ausführung ihrer Geſetze <hirendition="#g">ſelbſt in die Hand<lb/>
nehmen</hi>. Sie mußte aus ſich ſelbſt eine Verwaltung erzeugen, die<lb/>
nicht einmal verpflichtet war, dem örtlichen Gerichte Rede zu ſtehen,<lb/>ſondern die auch im Einzelnen, auch für die einzelnen Handlungen der<lb/>
ausführenden Organe nur dem geſetzgebenden Körper verantwortlich<lb/>
war. Nur durch dieſe grundſätzliche Beſeitigung jeder praktiſchen Be-<lb/>
rechtigung der örtlichen Selbſtverwaltung war eine Sicherheit für die<lb/>
wirkliche und rückſichtsloſe Ausführung der neuen Geſetze zu gewinnen.<lb/>
Wie das Geſetz, ſo mußte auch die Verwaltung rückſichtslos gegen jede<lb/>
Selbſtändigkeit vorgehen; wie jenes, ſo mußte dieſe vom Mittelpunkt<lb/>
aus alleinherrſchend Frankreich ordnen, und das verfaſſungsmäßige<lb/>
Leben mußte ſeine Sicherung allein in der Unterwerfung der oberſten<lb/>
Spitzen der Verwaltung unter die Geſetzgebung finden, die wieder ohne<lb/>
eine Unterwerfung <hirendition="#g">aller</hi> Verwaltungsorgane unter die erſteren nicht<lb/>
denkbar war.</p><lb/><p>Auf dieſe Weiſe erzeugte die Despotie des abſtrakten Princips<lb/>
eine gleiche Despotie der Vollziehung. Die Selbſtverwaltung war in<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[392/0416]
Man wußte in Paris ſehr gut, daß wenn man die Ausführung
der Geſetze in die Hände der Communen und Departemente legte,
dieſe Ausführung durch die Intereſſen und die Macht der Theilnehmer
an der Selbſtverwaltung niemals mit den Geſetzen in Harmonie ſein
würden. Es ließ ſich ſogar mit aller Beſtimmtheit vorher berechnen,
daß in einzelnen Theilen Frankreichs dieſe Selbſtverwaltung, wenn
man ihr eine entſcheidende Stimme gab, gerade das Gegentheil von den
erlaſſenen Geſetzen hervorbringen werde. Und dieſe Auffaſſung gewann
nur zu ſehr ihre volle Beſtätigung, als die Erhebungen im Süden
Frankreichs, in der Vendée, und namentlich als die Verſuche der
Gironde, Frankreich gegen Paris ins Feld zu führen, mit Schwert
und Feuer unterdrückt werden mußten. Die Selbſtverwaltung wäre
eine Organiſirung und Legaliſirung des Vernichtungskampfes des hiſto-
riſchen Rechtes gegen das geſetzliche geworden; die Aufſtellung beſchließen-
der Selbſtverwaltungskörper hätte eben ſo viel Feſtungen der dem
Untergange geweihten geſellſchaftlichen Ordnungen der früheren Jahr-
hunderte geſchaffen; die Geſetze der Pariſer Volksvertretung wären
durch die örtlichen Volksvertretungen in ihrer ganzen Verwirklichung
vernichtet worden, denn der Charakter der letzteren und namentlich der
Landſchaft, den Ausdruck und die Geltung der ſocialen Elemente zu
bilden, iſt ein unabänderlicher.
Es blieb daher nur Eins übrig, und dieß Eine große Princip iſt
es, das uns die ganze innere Verwaltung Frankreichs, ihr Syſtem und
ihr Recht im Einzelnen wie im Ganzen erklärt: die geſetzgebende Ge-
walt mußte die Ausführung ihrer Geſetze ſelbſt in die Hand
nehmen. Sie mußte aus ſich ſelbſt eine Verwaltung erzeugen, die
nicht einmal verpflichtet war, dem örtlichen Gerichte Rede zu ſtehen,
ſondern die auch im Einzelnen, auch für die einzelnen Handlungen der
ausführenden Organe nur dem geſetzgebenden Körper verantwortlich
war. Nur durch dieſe grundſätzliche Beſeitigung jeder praktiſchen Be-
rechtigung der örtlichen Selbſtverwaltung war eine Sicherheit für die
wirkliche und rückſichtsloſe Ausführung der neuen Geſetze zu gewinnen.
Wie das Geſetz, ſo mußte auch die Verwaltung rückſichtslos gegen jede
Selbſtändigkeit vorgehen; wie jenes, ſo mußte dieſe vom Mittelpunkt
aus alleinherrſchend Frankreich ordnen, und das verfaſſungsmäßige
Leben mußte ſeine Sicherung allein in der Unterwerfung der oberſten
Spitzen der Verwaltung unter die Geſetzgebung finden, die wieder ohne
eine Unterwerfung aller Verwaltungsorgane unter die erſteren nicht
denkbar war.
Auf dieſe Weiſe erzeugte die Despotie des abſtrakten Princips
eine gleiche Despotie der Vollziehung. Die Selbſtverwaltung war in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/416>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.