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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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ihnen; er hat seine eigenen Aufgaben, welche aber noch in die Sphäre
jener Selbstverwaltung nicht hineingreifen. Es ist die Periode der
Herrschaft der Selbstverwaltung.

Die zweite Periode beginnt, wo diese selbständigen einzelnen Körper
sich allmählig zu einem gemeinsamen Leben vereinigen. In dieser Ver-
einigung liegt einerseits der Keim der staatlichen Entwicklung, dann
aber auch der Grund der Bildung eines neuen Organs der Selbstver-
waltung, der Landschaft. Während das Königthum allmählig die
Beziehungen und den Streit jener selbständigen Körper seiner einheit-
lichen Thätigkeit in Finanzen, Gericht und Polizei unterwirft, entsteht
in der Landschaft der Begriff der Landesangelegenheiten. Diese
Landesangelegenheiten, verwaltet durch die Landtage, sind ihrem Um-
fange nach wesentlich unbestimmt; denn am Ende besteht jedes Reich
aus lauter Ländern, und die Gränze zwischen Reichs- und Landessachen
ist nirgends zu ziehen. Damit aber verschwindet auch die Gränze zwischen
dem Gebiete der Selbstverwaltung und der staatlichen Verwaltung, und
hier wie immer entsteht der Kampf zwischen den Organen, wo die prin-
cipiellen Gränzen ihres Rechts unsicher werden. Jetzt beginnt nun eine
Zeit, die bei aller Verschiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa
denselben Charakter hat. Die Organe der staatlichen Verwaltung be-
kämpfen, untergraben und vernichten zuerst die Selbstverwaltung der
Landtage im Namen des Königthums und des Reiches, dann greifen
sie entscheidend auch in die innere Verwaltung der einzelnen Körper
hinein, indem sie die oberaufsehende Gewalt zu einer wirklichen Ver-
waltungsgewalt machen, die Gränze zwischen Gesetzgebung und Verord-
nung aufheben, und so die gesammte Verwaltung der Reiche sich unter-
werfen. Die oberaufsehende Gewalt nämlich wird zu demjenigen Rechts-
titel, vermöge dessen die Organe der letzteren erst die einzelnen Thätigkeiten
der ersteren sich unterordnen, und die Berechtigung fordern, sie zu ver-
bieten oder zuzulassen, dann aber das Recht der körperschaftlichen Selbst-
verwaltung überhaupt in Frage ziehen, dasselbe von der landesherrlichen
Bewilligung abhängig machen, und so im Ganzen wie im Einzelnen
sich an die Stelle der letzteren setzen. Es wird durch diesen Proceß
eigentlich die Form der Selbstverwaltung und das äußerliche Neben-
einanderstehen der beiden Organisationen nicht viel geändert; im Gegen-
theil bleiben für die Organe der Selbstverwaltung sogar die Namen
und die nominellen Rechte und Ordnungen bestehen, wie dieselben auch
ihre Würde und ihre Symbole behalten; allein wesentlich geändert ist
das System des Verwaltungsrechts, indem die Competenz jener Organe
entweder geradezu vernichtet, oder doch derjenigen der landesherrlichen
Behörden ganz unterworfen wird. Bei alledem wird das Princip der

ihnen; er hat ſeine eigenen Aufgaben, welche aber noch in die Sphäre
jener Selbſtverwaltung nicht hineingreifen. Es iſt die Periode der
Herrſchaft der Selbſtverwaltung.

Die zweite Periode beginnt, wo dieſe ſelbſtändigen einzelnen Körper
ſich allmählig zu einem gemeinſamen Leben vereinigen. In dieſer Ver-
einigung liegt einerſeits der Keim der ſtaatlichen Entwicklung, dann
aber auch der Grund der Bildung eines neuen Organs der Selbſtver-
waltung, der Landſchaft. Während das Königthum allmählig die
Beziehungen und den Streit jener ſelbſtändigen Körper ſeiner einheit-
lichen Thätigkeit in Finanzen, Gericht und Polizei unterwirft, entſteht
in der Landſchaft der Begriff der Landesangelegenheiten. Dieſe
Landesangelegenheiten, verwaltet durch die Landtage, ſind ihrem Um-
fange nach weſentlich unbeſtimmt; denn am Ende beſteht jedes Reich
aus lauter Ländern, und die Gränze zwiſchen Reichs- und Landesſachen
iſt nirgends zu ziehen. Damit aber verſchwindet auch die Gränze zwiſchen
dem Gebiete der Selbſtverwaltung und der ſtaatlichen Verwaltung, und
hier wie immer entſteht der Kampf zwiſchen den Organen, wo die prin-
cipiellen Gränzen ihres Rechts unſicher werden. Jetzt beginnt nun eine
Zeit, die bei aller Verſchiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa
denſelben Charakter hat. Die Organe der ſtaatlichen Verwaltung be-
kämpfen, untergraben und vernichten zuerſt die Selbſtverwaltung der
Landtage im Namen des Königthums und des Reiches, dann greifen
ſie entſcheidend auch in die innere Verwaltung der einzelnen Körper
hinein, indem ſie die oberaufſehende Gewalt zu einer wirklichen Ver-
waltungsgewalt machen, die Gränze zwiſchen Geſetzgebung und Verord-
nung aufheben, und ſo die geſammte Verwaltung der Reiche ſich unter-
werfen. Die oberaufſehende Gewalt nämlich wird zu demjenigen Rechts-
titel, vermöge deſſen die Organe der letzteren erſt die einzelnen Thätigkeiten
der erſteren ſich unterordnen, und die Berechtigung fordern, ſie zu ver-
bieten oder zuzulaſſen, dann aber das Recht der körperſchaftlichen Selbſt-
verwaltung überhaupt in Frage ziehen, daſſelbe von der landesherrlichen
Bewilligung abhängig machen, und ſo im Ganzen wie im Einzelnen
ſich an die Stelle der letzteren ſetzen. Es wird durch dieſen Proceß
eigentlich die Form der Selbſtverwaltung und das äußerliche Neben-
einanderſtehen der beiden Organiſationen nicht viel geändert; im Gegen-
theil bleiben für die Organe der Selbſtverwaltung ſogar die Namen
und die nominellen Rechte und Ordnungen beſtehen, wie dieſelben auch
ihre Würde und ihre Symbole behalten; allein weſentlich geändert iſt
das Syſtem des Verwaltungsrechts, indem die Competenz jener Organe
entweder geradezu vernichtet, oder doch derjenigen der landesherrlichen
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[383/0407] ihnen; er hat ſeine eigenen Aufgaben, welche aber noch in die Sphäre jener Selbſtverwaltung nicht hineingreifen. Es iſt die Periode der Herrſchaft der Selbſtverwaltung. Die zweite Periode beginnt, wo dieſe ſelbſtändigen einzelnen Körper ſich allmählig zu einem gemeinſamen Leben vereinigen. In dieſer Ver- einigung liegt einerſeits der Keim der ſtaatlichen Entwicklung, dann aber auch der Grund der Bildung eines neuen Organs der Selbſtver- waltung, der Landſchaft. Während das Königthum allmählig die Beziehungen und den Streit jener ſelbſtändigen Körper ſeiner einheit- lichen Thätigkeit in Finanzen, Gericht und Polizei unterwirft, entſteht in der Landſchaft der Begriff der Landesangelegenheiten. Dieſe Landesangelegenheiten, verwaltet durch die Landtage, ſind ihrem Um- fange nach weſentlich unbeſtimmt; denn am Ende beſteht jedes Reich aus lauter Ländern, und die Gränze zwiſchen Reichs- und Landesſachen iſt nirgends zu ziehen. Damit aber verſchwindet auch die Gränze zwiſchen dem Gebiete der Selbſtverwaltung und der ſtaatlichen Verwaltung, und hier wie immer entſteht der Kampf zwiſchen den Organen, wo die prin- cipiellen Gränzen ihres Rechts unſicher werden. Jetzt beginnt nun eine Zeit, die bei aller Verſchiedenheit im Einzelnen dennoch in ganz Europa denſelben Charakter hat. Die Organe der ſtaatlichen Verwaltung be- kämpfen, untergraben und vernichten zuerſt die Selbſtverwaltung der Landtage im Namen des Königthums und des Reiches, dann greifen ſie entſcheidend auch in die innere Verwaltung der einzelnen Körper hinein, indem ſie die oberaufſehende Gewalt zu einer wirklichen Ver- waltungsgewalt machen, die Gränze zwiſchen Geſetzgebung und Verord- nung aufheben, und ſo die geſammte Verwaltung der Reiche ſich unter- werfen. Die oberaufſehende Gewalt nämlich wird zu demjenigen Rechts- titel, vermöge deſſen die Organe der letzteren erſt die einzelnen Thätigkeiten der erſteren ſich unterordnen, und die Berechtigung fordern, ſie zu ver- bieten oder zuzulaſſen, dann aber das Recht der körperſchaftlichen Selbſt- verwaltung überhaupt in Frage ziehen, daſſelbe von der landesherrlichen Bewilligung abhängig machen, und ſo im Ganzen wie im Einzelnen ſich an die Stelle der letzteren ſetzen. Es wird durch dieſen Proceß eigentlich die Form der Selbſtverwaltung und das äußerliche Neben- einanderſtehen der beiden Organiſationen nicht viel geändert; im Gegen- theil bleiben für die Organe der Selbſtverwaltung ſogar die Namen und die nominellen Rechte und Ordnungen beſtehen, wie dieſelben auch ihre Würde und ihre Symbole behalten; allein weſentlich geändert iſt das Syſtem des Verwaltungsrechts, indem die Competenz jener Organe entweder geradezu vernichtet, oder doch derjenigen der landesherrlichen Behörden ganz unterworfen wird. Bei alledem wird das Princip der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/407>, abgerufen am 25.11.2024.