Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

auch bei ihnen den Charakter des Rechts auf Gesetzgebung hatte,
verloren geht; sie haben es von jetzt an nur noch im Namen eines
Gesetzes, und werden dafür verantwortlich. Die Harmonie zwischen
Gesetzgebung und Verwaltung endlich, welche in dem Wesen der
ministeriellen Verantwortlichkeit ausgesprochen ist, erzeugt ein drittes
Verhältniß des Behördenwesens, welches wir das organische nennen
können. Dasselbe fordert erstlich einen unbedingten amtlichen Gehor-
sam der Behörden gegen die Weisungen der höchsten vollziehenden
Organe, des Ministeriums, weil nur durch einen solchen Gehor-
sam das letztere die Verantwortlichkeit auf sich nehmen kann; und
zweitens eine Organisation derselben, welche diesen Gehorsam auch
möglich macht. Diese letztere nun ist es, welche das eigentliche
Kennzeichen des Behördensystems der verfassungsmäßigen Verwaltung
bildet. Die Funktion des Ministerialsystems in dem von uns ange-
gebenen Sinn ist, wie wir gesehen, die Aufstellung und Durch-
führung der leitenden Principien der Gesetzesvollziehung im Allge-
meinen; die Funktion der einzelnen Behörde ist die ganz spezielle örtliche
Durchführung derselben. Die absolute Gleichmäßigkeit der letzteren
ist natürlich auf allen Punkten unmöglich; ebenso unmöglich ist eine
ausreichende Beurtheilung des nothwendigen Maßes der Modifikation
in der Ausführung durch die örtlichen Verhältnisse von Seiten des
Ministeriums. Die Forderung der verfassungsmäßigen Verwaltung
erzeugt daher jenes charakteristische Merkmal in der Organisation der
Behörden, welches wir die Mittelbehörden nennen. In der stän-
dischen Epoche gibt es keine Mittelbehörden; und diese sind auch nicht
aus Gründen bloß äußerlicher Zweckmäßigkeit entstanden. Sie sind
vielmehr dasjenige Organ, welches -- es läßt sich das eben nicht
schärfer definiren -- die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Ge-
setze dadurch zu erhalten haben, daß sie ein gewisses Gebiet gleich-
artiger örtlicher Verhältnisse zusammenfassen, und in die örtlich ver-
schiedene Thätigkeit der Behörden diese Gleichartigkeit hineinbringen.
Die Behörde ist dadurch im engeren Sinne jetzt die untere als Lokal-
ortsbehörde; die Mittelbehörde unter verschiedenen Namen umfaßt
größere Landesgebiete. Auf dem Verhältniß dieser beiden Elemente
des Behördenwesens beruht dann das, was wir das System der
Behörden nennen.

Dieß System der Behörden muß demnach von zwei Gesichtspunkten
betrachtet werden, von denen man sagen kann, daß die bisherige Theorie
den ersten nicht untersucht hat, weil er zu einfach, und den zweiten,
weil er zu mannigfaltig und scheinbar zu zufällig erschien. Dennoch gelten
auch hier durchgreifende Grundsätze. Wir können den ersten als das

auch bei ihnen den Charakter des Rechts auf Geſetzgebung hatte,
verloren geht; ſie haben es von jetzt an nur noch im Namen eines
Geſetzes, und werden dafür verantwortlich. Die Harmonie zwiſchen
Geſetzgebung und Verwaltung endlich, welche in dem Weſen der
miniſteriellen Verantwortlichkeit ausgeſprochen iſt, erzeugt ein drittes
Verhältniß des Behördenweſens, welches wir das organiſche nennen
können. Daſſelbe fordert erſtlich einen unbedingten amtlichen Gehor-
ſam der Behörden gegen die Weiſungen der höchſten vollziehenden
Organe, des Miniſteriums, weil nur durch einen ſolchen Gehor-
ſam das letztere die Verantwortlichkeit auf ſich nehmen kann; und
zweitens eine Organiſation derſelben, welche dieſen Gehorſam auch
möglich macht. Dieſe letztere nun iſt es, welche das eigentliche
Kennzeichen des Behördenſyſtems der verfaſſungsmäßigen Verwaltung
bildet. Die Funktion des Miniſterialſyſtems in dem von uns ange-
gebenen Sinn iſt, wie wir geſehen, die Aufſtellung und Durch-
führung der leitenden Principien der Geſetzesvollziehung im Allge-
meinen; die Funktion der einzelnen Behörde iſt die ganz ſpezielle örtliche
Durchführung derſelben. Die abſolute Gleichmäßigkeit der letzteren
iſt natürlich auf allen Punkten unmöglich; ebenſo unmöglich iſt eine
ausreichende Beurtheilung des nothwendigen Maßes der Modifikation
in der Ausführung durch die örtlichen Verhältniſſe von Seiten des
Miniſteriums. Die Forderung der verfaſſungsmäßigen Verwaltung
erzeugt daher jenes charakteriſtiſche Merkmal in der Organiſation der
Behörden, welches wir die Mittelbehörden nennen. In der ſtän-
diſchen Epoche gibt es keine Mittelbehörden; und dieſe ſind auch nicht
aus Gründen bloß äußerlicher Zweckmäßigkeit entſtanden. Sie ſind
vielmehr dasjenige Organ, welches — es läßt ſich das eben nicht
ſchärfer definiren — die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Ge-
ſetze dadurch zu erhalten haben, daß ſie ein gewiſſes Gebiet gleich-
artiger örtlicher Verhältniſſe zuſammenfaſſen, und in die örtlich ver-
ſchiedene Thätigkeit der Behörden dieſe Gleichartigkeit hineinbringen.
Die Behörde iſt dadurch im engeren Sinne jetzt die untere als Lokal-
ortsbehörde; die Mittelbehörde unter verſchiedenen Namen umfaßt
größere Landesgebiete. Auf dem Verhältniß dieſer beiden Elemente
des Behördenweſens beruht dann das, was wir das Syſtem der
Behörden nennen.

Dieß Syſtem der Behörden muß demnach von zwei Geſichtspunkten
betrachtet werden, von denen man ſagen kann, daß die bisherige Theorie
den erſten nicht unterſucht hat, weil er zu einfach, und den zweiten,
weil er zu mannigfaltig und ſcheinbar zu zufällig erſchien. Dennoch gelten
auch hier durchgreifende Grundſätze. Wir können den erſten als das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0351" n="327"/>
auch bei ihnen den Charakter des Rechts auf Ge&#x017F;etzgebung hatte,<lb/>
verloren geht; &#x017F;ie haben es von jetzt an nur noch im Namen eines<lb/>
Ge&#x017F;etzes, und werden dafür verantwortlich. Die Harmonie zwi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung und Verwaltung endlich, welche in dem We&#x017F;en der<lb/>
mini&#x017F;teriellen Verantwortlichkeit ausge&#x017F;prochen i&#x017F;t, erzeugt ein drittes<lb/>
Verhältniß des Behördenwe&#x017F;ens, welches wir das organi&#x017F;che nennen<lb/>
können. Da&#x017F;&#x017F;elbe fordert er&#x017F;tlich einen unbedingten amtlichen Gehor-<lb/>
&#x017F;am der Behörden gegen die Wei&#x017F;ungen der höch&#x017F;ten vollziehenden<lb/>
Organe, des Mini&#x017F;teriums, weil nur durch einen &#x017F;olchen Gehor-<lb/>
&#x017F;am das letztere die Verantwortlichkeit auf &#x017F;ich nehmen kann; und<lb/>
zweitens eine Organi&#x017F;ation der&#x017F;elben, welche die&#x017F;en Gehor&#x017F;am auch<lb/>
möglich macht. Die&#x017F;e letztere nun i&#x017F;t es, welche das eigentliche<lb/>
Kennzeichen des Behörden&#x017F;y&#x017F;tems der verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Verwaltung<lb/>
bildet. Die Funktion des Mini&#x017F;terial&#x017F;y&#x017F;tems in dem von uns ange-<lb/>
gebenen Sinn i&#x017F;t, wie wir ge&#x017F;ehen, die Auf&#x017F;tellung und Durch-<lb/>
führung der leitenden Principien der Ge&#x017F;etzesvollziehung im Allge-<lb/>
meinen; die Funktion der einzelnen Behörde i&#x017F;t die ganz &#x017F;pezielle örtliche<lb/>
Durchführung der&#x017F;elben. Die ab&#x017F;olute Gleichmäßigkeit der letzteren<lb/>
i&#x017F;t natürlich auf allen Punkten unmöglich; eben&#x017F;o unmöglich i&#x017F;t eine<lb/>
ausreichende Beurtheilung des nothwendigen Maßes der Modifikation<lb/>
in der Ausführung durch die örtlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e von Seiten des<lb/>
Mini&#x017F;teriums. Die Forderung der verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Verwaltung<lb/>
erzeugt daher jenes charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Merkmal in der Organi&#x017F;ation der<lb/>
Behörden, welches wir die <hi rendition="#g">Mittelbehörden</hi> nennen. In der &#x017F;tän-<lb/>
di&#x017F;chen Epoche gibt es keine Mittelbehörden; und die&#x017F;e &#x017F;ind auch nicht<lb/>
aus Gründen bloß äußerlicher Zweckmäßigkeit ent&#x017F;tanden. Sie &#x017F;ind<lb/>
vielmehr dasjenige Organ, welches &#x2014; es läßt &#x017F;ich das eben nicht<lb/>
&#x017F;chärfer definiren &#x2014; die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Ge-<lb/>
&#x017F;etze dadurch zu erhalten haben, daß &#x017F;ie ein gewi&#x017F;&#x017F;es Gebiet gleich-<lb/>
artiger örtlicher Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en, und in die örtlich ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Thätigkeit der Behörden die&#x017F;e Gleichartigkeit hineinbringen.<lb/>
Die Behörde i&#x017F;t dadurch im engeren Sinne jetzt die untere als Lokal-<lb/>
ortsbehörde; die Mittelbehörde unter ver&#x017F;chiedenen Namen umfaßt<lb/>
größere Landesgebiete. Auf dem Verhältniß die&#x017F;er beiden Elemente<lb/>
des Behördenwe&#x017F;ens beruht dann das, was wir das <hi rendition="#g">Sy&#x017F;tem</hi> der<lb/>
Behörden nennen.</p><lb/>
                <p>Dieß Sy&#x017F;tem der Behörden muß demnach von zwei Ge&#x017F;ichtspunkten<lb/>
betrachtet werden, von denen man &#x017F;agen kann, daß die bisherige Theorie<lb/>
den er&#x017F;ten nicht unter&#x017F;ucht hat, weil er zu einfach, und den zweiten,<lb/>
weil er zu mannigfaltig und &#x017F;cheinbar zu zufällig er&#x017F;chien. Dennoch gelten<lb/>
auch hier durchgreifende Grund&#x017F;ätze. Wir können den er&#x017F;ten als das<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0351] auch bei ihnen den Charakter des Rechts auf Geſetzgebung hatte, verloren geht; ſie haben es von jetzt an nur noch im Namen eines Geſetzes, und werden dafür verantwortlich. Die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Verwaltung endlich, welche in dem Weſen der miniſteriellen Verantwortlichkeit ausgeſprochen iſt, erzeugt ein drittes Verhältniß des Behördenweſens, welches wir das organiſche nennen können. Daſſelbe fordert erſtlich einen unbedingten amtlichen Gehor- ſam der Behörden gegen die Weiſungen der höchſten vollziehenden Organe, des Miniſteriums, weil nur durch einen ſolchen Gehor- ſam das letztere die Verantwortlichkeit auf ſich nehmen kann; und zweitens eine Organiſation derſelben, welche dieſen Gehorſam auch möglich macht. Dieſe letztere nun iſt es, welche das eigentliche Kennzeichen des Behördenſyſtems der verfaſſungsmäßigen Verwaltung bildet. Die Funktion des Miniſterialſyſtems in dem von uns ange- gebenen Sinn iſt, wie wir geſehen, die Aufſtellung und Durch- führung der leitenden Principien der Geſetzesvollziehung im Allge- meinen; die Funktion der einzelnen Behörde iſt die ganz ſpezielle örtliche Durchführung derſelben. Die abſolute Gleichmäßigkeit der letzteren iſt natürlich auf allen Punkten unmöglich; ebenſo unmöglich iſt eine ausreichende Beurtheilung des nothwendigen Maßes der Modifikation in der Ausführung durch die örtlichen Verhältniſſe von Seiten des Miniſteriums. Die Forderung der verfaſſungsmäßigen Verwaltung erzeugt daher jenes charakteriſtiſche Merkmal in der Organiſation der Behörden, welches wir die Mittelbehörden nennen. In der ſtän- diſchen Epoche gibt es keine Mittelbehörden; und dieſe ſind auch nicht aus Gründen bloß äußerlicher Zweckmäßigkeit entſtanden. Sie ſind vielmehr dasjenige Organ, welches — es läßt ſich das eben nicht ſchärfer definiren — die Gleichmäßigkeit in der Durchführung der Ge- ſetze dadurch zu erhalten haben, daß ſie ein gewiſſes Gebiet gleich- artiger örtlicher Verhältniſſe zuſammenfaſſen, und in die örtlich ver- ſchiedene Thätigkeit der Behörden dieſe Gleichartigkeit hineinbringen. Die Behörde iſt dadurch im engeren Sinne jetzt die untere als Lokal- ortsbehörde; die Mittelbehörde unter verſchiedenen Namen umfaßt größere Landesgebiete. Auf dem Verhältniß dieſer beiden Elemente des Behördenweſens beruht dann das, was wir das Syſtem der Behörden nennen. Dieß Syſtem der Behörden muß demnach von zwei Geſichtspunkten betrachtet werden, von denen man ſagen kann, daß die bisherige Theorie den erſten nicht unterſucht hat, weil er zu einfach, und den zweiten, weil er zu mannigfaltig und ſcheinbar zu zufällig erſchien. Dennoch gelten auch hier durchgreifende Grundſätze. Wir können den erſten als das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/351
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/351>, abgerufen am 05.05.2024.