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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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In dieser Epoche nimmt auch Recht und Thätigkeit des Amtswesens
eine andere Gestalt an. Schon im siebenzehnten Jahrhundert hat die
entstehende Rechtsphilosophie die vage Vorstellung von einem göttlichen
Rechte überwunden, und nach Gründen des Rechts und nach Zwecken
des Staats gesucht. Die Anschauungen, die sich um dieß Streben
krystallisiren, legen schon jetzt die Idee des Gemeinwohls, die salus
publica
zum Grunde; die Regeln, nach welchen es erzielt werden soll,
empfangen in ihrer Gesammtheit ihre Namen nach der Staatskunst der
Alten; die Politik soll die Aufgabe der königlichen Organe sein. An
diesen Namen schließt sich der der Polizei. Bei der Polizei fängt die
innere Thätigkeit der Monarchie an; die Polizei ist kein juristischer,
auch kein ethischer Begriff, sondern er ist ein staatswissenschaftlicher.
Er bezeichnet die Aufgabe des Königthums im Innern; er ist die
Thätigkeit des Staats in seinen Organen. Und wie der Staat selbst,
so hat auch er die Allgewalt, weil er die allgemeine Aufgabe ausspricht;
er ist das Kriterium dieser Epoche, und in der Polizeiherrschaft besteht
die erste Form einer wirklichen, das Ganze umfassenden und im indi-
viduellen Willen des Königs concentrirten Regierung.

In dieser Epoche nun hat sich während der Vernichtung der gesell-
schaftlichen Gewalten nur Eins erhalten. Das ist das Bewußtsein der
einzelnen freien Persönlichkeit. Sie ist als solche von dem Principe
des polizeilichen Gehorsams zwar unterdrückt, aber nicht zerstört. Sie
beginnt sich Bahn zu brechen, und zwar zuerst in den Philosophien
des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Revolution gewinnt sie festen
Boden und Gestalt; in der Industrie gewinnt sie die ihr entsprechende
Form des Besitzes; und so tritt die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung
ins Leben, welche das gegenwärtige Jahrhundert beherrscht. Sie erzeugt
sofort auch eine neue Gestaltung des Amtsbegriffes mit der neuen Idee
des Staates, die aus ihr hervorgeht.

Die Grundlage dieser Epoche, die freie Persönlichkeit, fordert zuerst
und vor allem die Gleichheit Aller gegenüber dem Staate, aber auch
das Recht jedes Einzelnen, den Willen des Staates seinerseits mit zu be-
stimmen. Das philosophische Princip der Gleichheit aller Staatsbürger
wird zum juristisch-administrativen Princip der Gleichheit ihrer Interessen.
Die Gleichheit der Interessen fordert aber, daß der Träger dieser Gleich-
heit, der Staat, auch auf jedem Punkte berechtigt und verpflichtet sei,
diese Gleichheit zu wahren. Damit geht der entscheidende Proceß vor
sich, durch welchen die Organe des Staats das ausschließliche Recht
empfangen, die Regierung und Verwaltung als ein Ganzes in die Hand
zu nehmen. Es gibt keine andere Quelle eines öffentlichen Rechts und
einer öffentlichen Funktion mehr, als den Staat; jede Verbindung einer

In dieſer Epoche nimmt auch Recht und Thätigkeit des Amtsweſens
eine andere Geſtalt an. Schon im ſiebenzehnten Jahrhundert hat die
entſtehende Rechtsphiloſophie die vage Vorſtellung von einem göttlichen
Rechte überwunden, und nach Gründen des Rechts und nach Zwecken
des Staats geſucht. Die Anſchauungen, die ſich um dieß Streben
kryſtalliſiren, legen ſchon jetzt die Idee des Gemeinwohls, die salus
publica
zum Grunde; die Regeln, nach welchen es erzielt werden ſoll,
empfangen in ihrer Geſammtheit ihre Namen nach der Staatskunſt der
Alten; die Politik ſoll die Aufgabe der königlichen Organe ſein. An
dieſen Namen ſchließt ſich der der Polizei. Bei der Polizei fängt die
innere Thätigkeit der Monarchie an; die Polizei iſt kein juriſtiſcher,
auch kein ethiſcher Begriff, ſondern er iſt ein ſtaatswiſſenſchaftlicher.
Er bezeichnet die Aufgabe des Königthums im Innern; er iſt die
Thätigkeit des Staats in ſeinen Organen. Und wie der Staat ſelbſt,
ſo hat auch er die Allgewalt, weil er die allgemeine Aufgabe ausſpricht;
er iſt das Kriterium dieſer Epoche, und in der Polizeiherrſchaft beſteht
die erſte Form einer wirklichen, das Ganze umfaſſenden und im indi-
viduellen Willen des Königs concentrirten Regierung.

In dieſer Epoche nun hat ſich während der Vernichtung der geſell-
ſchaftlichen Gewalten nur Eins erhalten. Das iſt das Bewußtſein der
einzelnen freien Perſönlichkeit. Sie iſt als ſolche von dem Principe
des polizeilichen Gehorſams zwar unterdrückt, aber nicht zerſtört. Sie
beginnt ſich Bahn zu brechen, und zwar zuerſt in den Philoſophien
des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Revolution gewinnt ſie feſten
Boden und Geſtalt; in der Induſtrie gewinnt ſie die ihr entſprechende
Form des Beſitzes; und ſo tritt die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung
ins Leben, welche das gegenwärtige Jahrhundert beherrſcht. Sie erzeugt
ſofort auch eine neue Geſtaltung des Amtsbegriffes mit der neuen Idee
des Staates, die aus ihr hervorgeht.

Die Grundlage dieſer Epoche, die freie Perſönlichkeit, fordert zuerſt
und vor allem die Gleichheit Aller gegenüber dem Staate, aber auch
das Recht jedes Einzelnen, den Willen des Staates ſeinerſeits mit zu be-
ſtimmen. Das philoſophiſche Princip der Gleichheit aller Staatsbürger
wird zum juriſtiſch-adminiſtrativen Princip der Gleichheit ihrer Intereſſen.
Die Gleichheit der Intereſſen fordert aber, daß der Träger dieſer Gleich-
heit, der Staat, auch auf jedem Punkte berechtigt und verpflichtet ſei,
dieſe Gleichheit zu wahren. Damit geht der entſcheidende Proceß vor
ſich, durch welchen die Organe des Staats das ausſchließliche Recht
empfangen, die Regierung und Verwaltung als ein Ganzes in die Hand
zu nehmen. Es gibt keine andere Quelle eines öffentlichen Rechts und
einer öffentlichen Funktion mehr, als den Staat; jede Verbindung einer

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[290/0314] In dieſer Epoche nimmt auch Recht und Thätigkeit des Amtsweſens eine andere Geſtalt an. Schon im ſiebenzehnten Jahrhundert hat die entſtehende Rechtsphiloſophie die vage Vorſtellung von einem göttlichen Rechte überwunden, und nach Gründen des Rechts und nach Zwecken des Staats geſucht. Die Anſchauungen, die ſich um dieß Streben kryſtalliſiren, legen ſchon jetzt die Idee des Gemeinwohls, die salus publica zum Grunde; die Regeln, nach welchen es erzielt werden ſoll, empfangen in ihrer Geſammtheit ihre Namen nach der Staatskunſt der Alten; die Politik ſoll die Aufgabe der königlichen Organe ſein. An dieſen Namen ſchließt ſich der der Polizei. Bei der Polizei fängt die innere Thätigkeit der Monarchie an; die Polizei iſt kein juriſtiſcher, auch kein ethiſcher Begriff, ſondern er iſt ein ſtaatswiſſenſchaftlicher. Er bezeichnet die Aufgabe des Königthums im Innern; er iſt die Thätigkeit des Staats in ſeinen Organen. Und wie der Staat ſelbſt, ſo hat auch er die Allgewalt, weil er die allgemeine Aufgabe ausſpricht; er iſt das Kriterium dieſer Epoche, und in der Polizeiherrſchaft beſteht die erſte Form einer wirklichen, das Ganze umfaſſenden und im indi- viduellen Willen des Königs concentrirten Regierung. In dieſer Epoche nun hat ſich während der Vernichtung der geſell- ſchaftlichen Gewalten nur Eins erhalten. Das iſt das Bewußtſein der einzelnen freien Perſönlichkeit. Sie iſt als ſolche von dem Principe des polizeilichen Gehorſams zwar unterdrückt, aber nicht zerſtört. Sie beginnt ſich Bahn zu brechen, und zwar zuerſt in den Philoſophien des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Revolution gewinnt ſie feſten Boden und Geſtalt; in der Induſtrie gewinnt ſie die ihr entſprechende Form des Beſitzes; und ſo tritt die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung ins Leben, welche das gegenwärtige Jahrhundert beherrſcht. Sie erzeugt ſofort auch eine neue Geſtaltung des Amtsbegriffes mit der neuen Idee des Staates, die aus ihr hervorgeht. Die Grundlage dieſer Epoche, die freie Perſönlichkeit, fordert zuerſt und vor allem die Gleichheit Aller gegenüber dem Staate, aber auch das Recht jedes Einzelnen, den Willen des Staates ſeinerſeits mit zu be- ſtimmen. Das philoſophiſche Princip der Gleichheit aller Staatsbürger wird zum juriſtiſch-adminiſtrativen Princip der Gleichheit ihrer Intereſſen. Die Gleichheit der Intereſſen fordert aber, daß der Träger dieſer Gleich- heit, der Staat, auch auf jedem Punkte berechtigt und verpflichtet ſei, dieſe Gleichheit zu wahren. Damit geht der entſcheidende Proceß vor ſich, durch welchen die Organe des Staats das ausſchließliche Recht empfangen, die Regierung und Verwaltung als ein Ganzes in die Hand zu nehmen. Es gibt keine andere Quelle eines öffentlichen Rechts und einer öffentlichen Funktion mehr, als den Staat; jede Verbindung einer

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/314>, abgerufen am 24.11.2024.