Räthen oder Abgeordneten schon zwei Systeme der Staatsgewalt vor- handen; jedes derselben hat seinen Boden und sein Recht und Ziel, und der Kampf zwischen beiden beginnt.
In diesem Kampfe wird nun das Königthum gezwungen, seine ihm eigenthümliche Macht, das Amtswesen, allmählig zu einem ein- heitlichen Ganzen zu organisiren. Es breitet sich durch dasselbe nach allen Seiten hin aus und nimmt das ganze Leben des Volkes in sich auf. Je weiter es aber geht, um so hartnäckiger wird der Widerstand der herrschenden Klasse. In dem Gefühle, daß es sich hier nicht um einzelne Rechte, sondern um die ganze ständische Herrschaft handelt, wird jeder Punkt dieses Rechtes von der letzteren auf das Aeußerste vertheidigt. Und hier zeigt es sich nun, daß es sich dabei nicht etwa um Macht gegen Macht, sondern um Princip gegen Princip handelt. In der That nämlich treten die Diener des Königthums zunächst nur als Vertreter des persönlichen Willens gegen das historische Recht der Stände auf. Das aber kann nicht genügen; sie bedürfen eines eigenen Rechtstitels, um dem an sich unzweifelhaften Rechtstitel der ständischen Herren ein Gegengewicht zu geben. Das Aufstellen dieses Rechtstitels ist eine der wichtigsten Erscheinungen im Staatsleben Europa's. Er ist nicht plötzlich entstanden, und auch nicht objektiv formulirt; aber er hat dem Theile der königlichen Gewalt, welche eben mit dem allgemeinen Interesse zu thun hat, erst das Wesen des Amts gegeben. Die nun entstehende Beamtenwelt nahm ihn theils aus dem römischen Recht, das dem Königthum das jus imperii gab, theils aus der Bibel, welche die Obrigkeit als eine göttliche Ordnung anerkennt. Das erste gab dem Rechtstitel die Form, das zweite gab ihm den ethischen Inhalt. Der Diener des Königs erhob sich dadurch über das Stadium des bloßen Dienstes; er trat gleichsam in den Dienst einer Idee; das Königthum war ihm das personificirte Haupt derselben, das Recht des Königthums nicht so sehr ein persönliches Recht des Königs, als ein Recht der Staats- idee; beide, Königthum und Amtswesen, schöpfen ihr Recht aus der- selben Quelle; und das ist es, wodurch allmählig aus dem Diener des Königs ein Beamteter wird. Den Wendepunkt aber bezeichnet das Auf- treten des Wortes: "Obrigkeit." Der Begriff der Obrigkeit ist mit dem des bloßen Dienstes unvereinbar: es ist kein organischer, sondern ein ethischer Begriff. Das Fundament des Amtswesens ist gelegt. Wir können sagen, daß die erste Epoche vollendet ist. Es ist das Ende des sechzehnten, der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.
In der That ist aber diese Epoche nur der Anfang der Entwicklung. Zwar ist das Rechtsprincip des Beamtenwesens klar, aber es ist weder faktisch noch rechtlich anerkannt. Die Idee des Staats, die in ihm
Räthen oder Abgeordneten ſchon zwei Syſteme der Staatsgewalt vor- handen; jedes derſelben hat ſeinen Boden und ſein Recht und Ziel, und der Kampf zwiſchen beiden beginnt.
In dieſem Kampfe wird nun das Königthum gezwungen, ſeine ihm eigenthümliche Macht, das Amtsweſen, allmählig zu einem ein- heitlichen Ganzen zu organiſiren. Es breitet ſich durch daſſelbe nach allen Seiten hin aus und nimmt das ganze Leben des Volkes in ſich auf. Je weiter es aber geht, um ſo hartnäckiger wird der Widerſtand der herrſchenden Klaſſe. In dem Gefühle, daß es ſich hier nicht um einzelne Rechte, ſondern um die ganze ſtändiſche Herrſchaft handelt, wird jeder Punkt dieſes Rechtes von der letzteren auf das Aeußerſte vertheidigt. Und hier zeigt es ſich nun, daß es ſich dabei nicht etwa um Macht gegen Macht, ſondern um Princip gegen Princip handelt. In der That nämlich treten die Diener des Königthums zunächſt nur als Vertreter des perſönlichen Willens gegen das hiſtoriſche Recht der Stände auf. Das aber kann nicht genügen; ſie bedürfen eines eigenen Rechtstitels, um dem an ſich unzweifelhaften Rechtstitel der ſtändiſchen Herren ein Gegengewicht zu geben. Das Aufſtellen dieſes Rechtstitels iſt eine der wichtigſten Erſcheinungen im Staatsleben Europa’s. Er iſt nicht plötzlich entſtanden, und auch nicht objektiv formulirt; aber er hat dem Theile der königlichen Gewalt, welche eben mit dem allgemeinen Intereſſe zu thun hat, erſt das Weſen des Amts gegeben. Die nun entſtehende Beamtenwelt nahm ihn theils aus dem römiſchen Recht, das dem Königthum das jus imperii gab, theils aus der Bibel, welche die Obrigkeit als eine göttliche Ordnung anerkennt. Das erſte gab dem Rechtstitel die Form, das zweite gab ihm den ethiſchen Inhalt. Der Diener des Königs erhob ſich dadurch über das Stadium des bloßen Dienſtes; er trat gleichſam in den Dienſt einer Idee; das Königthum war ihm das perſonificirte Haupt derſelben, das Recht des Königthums nicht ſo ſehr ein perſönliches Recht des Königs, als ein Recht der Staats- idee; beide, Königthum und Amtsweſen, ſchöpfen ihr Recht aus der- ſelben Quelle; und das iſt es, wodurch allmählig aus dem Diener des Königs ein Beamteter wird. Den Wendepunkt aber bezeichnet das Auf- treten des Wortes: „Obrigkeit.“ Der Begriff der Obrigkeit iſt mit dem des bloßen Dienſtes unvereinbar: es iſt kein organiſcher, ſondern ein ethiſcher Begriff. Das Fundament des Amtsweſens iſt gelegt. Wir können ſagen, daß die erſte Epoche vollendet iſt. Es iſt das Ende des ſechzehnten, der Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts.
In der That iſt aber dieſe Epoche nur der Anfang der Entwicklung. Zwar iſt das Rechtsprincip des Beamtenweſens klar, aber es iſt weder faktiſch noch rechtlich anerkannt. Die Idee des Staats, die in ihm
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Räthen oder Abgeordneten ſchon zwei Syſteme der Staatsgewalt vor-
handen; jedes derſelben hat ſeinen Boden und ſein Recht und Ziel,
und der Kampf zwiſchen beiden beginnt.
In dieſem Kampfe wird nun das Königthum gezwungen, ſeine
ihm eigenthümliche Macht, das Amtsweſen, allmählig zu einem ein-
heitlichen Ganzen zu organiſiren. Es breitet ſich durch daſſelbe nach
allen Seiten hin aus und nimmt das ganze Leben des Volkes in ſich
auf. Je weiter es aber geht, um ſo hartnäckiger wird der Widerſtand
der herrſchenden Klaſſe. In dem Gefühle, daß es ſich hier nicht um
einzelne Rechte, ſondern um die ganze ſtändiſche Herrſchaft handelt,
wird jeder Punkt dieſes Rechtes von der letzteren auf das Aeußerſte
vertheidigt. Und hier zeigt es ſich nun, daß es ſich dabei nicht etwa
um Macht gegen Macht, ſondern um Princip gegen Princip handelt.
In der That nämlich treten die Diener des Königthums zunächſt nur
als Vertreter des perſönlichen Willens gegen das hiſtoriſche Recht der
Stände auf. Das aber kann nicht genügen; ſie bedürfen eines eigenen
Rechtstitels, um dem an ſich unzweifelhaften Rechtstitel der ſtändiſchen
Herren ein Gegengewicht zu geben. Das Aufſtellen dieſes Rechtstitels
iſt eine der wichtigſten Erſcheinungen im Staatsleben Europa’s. Er iſt
nicht plötzlich entſtanden, und auch nicht objektiv formulirt; aber er hat
dem Theile der königlichen Gewalt, welche eben mit dem allgemeinen
Intereſſe zu thun hat, erſt das Weſen des Amts gegeben. Die nun
entſtehende Beamtenwelt nahm ihn theils aus dem römiſchen Recht,
das dem Königthum das jus imperii gab, theils aus der Bibel, welche
die Obrigkeit als eine göttliche Ordnung anerkennt. Das erſte gab dem
Rechtstitel die Form, das zweite gab ihm den ethiſchen Inhalt. Der
Diener des Königs erhob ſich dadurch über das Stadium des bloßen
Dienſtes; er trat gleichſam in den Dienſt einer Idee; das Königthum
war ihm das perſonificirte Haupt derſelben, das Recht des Königthums
nicht ſo ſehr ein perſönliches Recht des Königs, als ein Recht der Staats-
idee; beide, Königthum und Amtsweſen, ſchöpfen ihr Recht aus der-
ſelben Quelle; und das iſt es, wodurch allmählig aus dem Diener des
Königs ein Beamteter wird. Den Wendepunkt aber bezeichnet das Auf-
treten des Wortes: „Obrigkeit.“ Der Begriff der Obrigkeit iſt mit dem
des bloßen Dienſtes unvereinbar: es iſt kein organiſcher, ſondern ein
ethiſcher Begriff. Das Fundament des Amtsweſens iſt gelegt. Wir
können ſagen, daß die erſte Epoche vollendet iſt. Es iſt das Ende des
ſechzehnten, der Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts.
In der That iſt aber dieſe Epoche nur der Anfang der Entwicklung.
Zwar iſt das Rechtsprincip des Beamtenweſens klar, aber es iſt weder
faktiſch noch rechtlich anerkannt. Die Idee des Staats, die in ihm
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/312>, abgerufen am 24.11.2024.
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