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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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persönlichen Lebens, als die höchste Würde auftritt. Alles was öffent-
liche Ehre heißt, ist dann in der Staatspersönlichkeit vereinigt. Oeffent-
liche Ehre aber ist theils mit den öffentlichen Funktionen verbunden,
theils ein selbständiges Gut. In sofern dieß selbständige Gut im Be-
sitze einer Persönlichkeit ist, heißt es Würde. Die Würde des Staats
kann daher so gut wie die Funktionen desselben an einzelne Persönlich-
keiten vertheilt sein. Diese Vertheilung bildet dann das System der
höchsten Würden. Das Wesen dieser Würden besteht dann darin, daß
sie nicht etwas bedeuten durch das was sie thun, sondern durch das
was sie sind. Das unmittelbare Gefühl versteht den Unterschied sogleich;
die Abstraktion schwerer, weil der Gedanke nie das Seiende, sondern
stets nur den Lebensproceß desselben erfaßt. Das gilt auch von jenem
eigenthümlichen und doch so einfachen Organismus.

Höchste Staatswürden hat es gegeben, so lange es Staaten gab.
Allein ihre Bedeutung und Stellung war eine sehr verschiedene. Doch
läßt sich diese Verschiedenheit leicht auf einige einfache Sätze zurückführen.
Sie bilden mit der Grundlage der Geschichte der Würden zugleich das
Verständniß ihrer gegenwärtigen Stellung.

Da wo die Persönlichkeit des Staats ganz in die Persönlichkeit
des Staatsoberhauptes aufgeht, ist die Würde unbedingt von dem Willen
des Herrn abhängig und daher auch mit diesem Willen verbunden.
Sie ist daher keine wahre Würde, denn diese enthält stets das selb-
ständige Recht auf dieselbe; sie ist nur eine Ehre. Jeder Dienst des
Fürsten ist eine Ehre, und es gibt keine Ehre außer dem Dienste. Das
System der Ehren erscheint hier daher identisch mit dem Systeme des
königlichen Dienstes. Unser Begriff der Würden ist hier nicht anwend-
bar. Die Despotie kann große Ehren haben und verleihen, aber keine
Würden.

Eben so wenig gibt es Würden, wo die ganze Staatsgewalt statt
in dem Individuum des Monarchen, in der Gemeinschaft des Volkes
beruht. Auch hier gibt es nichts, was außerhalb des Willens des Volkes,
der gesetzgebenden Gewalt, stände. Auch hier hat niemand an und für
sich ein Recht auf eine öffentliche Ehre; dieselbe kommt nur da zur Er-
scheinung, wo die Republik den Einzelnen mit einer Funktion beauf-
tragt, dauert nur für die Funktion und bezeichnet nichts als dieselbe.
Auch die Republik hat Ehren, aber keine Würden.

Die Würde entsteht daher erst da, wo ein Recht auf eine öffent-
liche Ehre als ein selbständiges erscheint, das sowohl unabhängig von
einem persönlichen Dienste wie unter der Despotie, also unabhängig von
der rein vollziehenden Gewalt, als auch unabhängig von einer gesetzlich
übertragenen öffentlichen Funktion, also unabhängig von der Gesetz-

perſönlichen Lebens, als die höchſte Würde auftritt. Alles was öffent-
liche Ehre heißt, iſt dann in der Staatsperſönlichkeit vereinigt. Oeffent-
liche Ehre aber iſt theils mit den öffentlichen Funktionen verbunden,
theils ein ſelbſtändiges Gut. In ſofern dieß ſelbſtändige Gut im Be-
ſitze einer Perſönlichkeit iſt, heißt es Würde. Die Würde des Staats
kann daher ſo gut wie die Funktionen deſſelben an einzelne Perſönlich-
keiten vertheilt ſein. Dieſe Vertheilung bildet dann das Syſtem der
höchſten Würden. Das Weſen dieſer Würden beſteht dann darin, daß
ſie nicht etwas bedeuten durch das was ſie thun, ſondern durch das
was ſie ſind. Das unmittelbare Gefühl verſteht den Unterſchied ſogleich;
die Abſtraktion ſchwerer, weil der Gedanke nie das Seiende, ſondern
ſtets nur den Lebensproceß deſſelben erfaßt. Das gilt auch von jenem
eigenthümlichen und doch ſo einfachen Organismus.

Höchſte Staatswürden hat es gegeben, ſo lange es Staaten gab.
Allein ihre Bedeutung und Stellung war eine ſehr verſchiedene. Doch
läßt ſich dieſe Verſchiedenheit leicht auf einige einfache Sätze zurückführen.
Sie bilden mit der Grundlage der Geſchichte der Würden zugleich das
Verſtändniß ihrer gegenwärtigen Stellung.

Da wo die Perſönlichkeit des Staats ganz in die Perſönlichkeit
des Staatsoberhauptes aufgeht, iſt die Würde unbedingt von dem Willen
des Herrn abhängig und daher auch mit dieſem Willen verbunden.
Sie iſt daher keine wahre Würde, denn dieſe enthält ſtets das ſelb-
ſtändige Recht auf dieſelbe; ſie iſt nur eine Ehre. Jeder Dienſt des
Fürſten iſt eine Ehre, und es gibt keine Ehre außer dem Dienſte. Das
Syſtem der Ehren erſcheint hier daher identiſch mit dem Syſteme des
königlichen Dienſtes. Unſer Begriff der Würden iſt hier nicht anwend-
bar. Die Deſpotie kann große Ehren haben und verleihen, aber keine
Würden.

Eben ſo wenig gibt es Würden, wo die ganze Staatsgewalt ſtatt
in dem Individuum des Monarchen, in der Gemeinſchaft des Volkes
beruht. Auch hier gibt es nichts, was außerhalb des Willens des Volkes,
der geſetzgebenden Gewalt, ſtände. Auch hier hat niemand an und für
ſich ein Recht auf eine öffentliche Ehre; dieſelbe kommt nur da zur Er-
ſcheinung, wo die Republik den Einzelnen mit einer Funktion beauf-
tragt, dauert nur für die Funktion und bezeichnet nichts als dieſelbe.
Auch die Republik hat Ehren, aber keine Würden.

Die Würde entſteht daher erſt da, wo ein Recht auf eine öffent-
liche Ehre als ein ſelbſtändiges erſcheint, das ſowohl unabhängig von
einem perſönlichen Dienſte wie unter der Deſpotie, alſo unabhängig von
der rein vollziehenden Gewalt, als auch unabhängig von einer geſetzlich
übertragenen öffentlichen Funktion, alſo unabhängig von der Geſetz-

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[261/0285] perſönlichen Lebens, als die höchſte Würde auftritt. Alles was öffent- liche Ehre heißt, iſt dann in der Staatsperſönlichkeit vereinigt. Oeffent- liche Ehre aber iſt theils mit den öffentlichen Funktionen verbunden, theils ein ſelbſtändiges Gut. In ſofern dieß ſelbſtändige Gut im Be- ſitze einer Perſönlichkeit iſt, heißt es Würde. Die Würde des Staats kann daher ſo gut wie die Funktionen deſſelben an einzelne Perſönlich- keiten vertheilt ſein. Dieſe Vertheilung bildet dann das Syſtem der höchſten Würden. Das Weſen dieſer Würden beſteht dann darin, daß ſie nicht etwas bedeuten durch das was ſie thun, ſondern durch das was ſie ſind. Das unmittelbare Gefühl verſteht den Unterſchied ſogleich; die Abſtraktion ſchwerer, weil der Gedanke nie das Seiende, ſondern ſtets nur den Lebensproceß deſſelben erfaßt. Das gilt auch von jenem eigenthümlichen und doch ſo einfachen Organismus. Höchſte Staatswürden hat es gegeben, ſo lange es Staaten gab. Allein ihre Bedeutung und Stellung war eine ſehr verſchiedene. Doch läßt ſich dieſe Verſchiedenheit leicht auf einige einfache Sätze zurückführen. Sie bilden mit der Grundlage der Geſchichte der Würden zugleich das Verſtändniß ihrer gegenwärtigen Stellung. Da wo die Perſönlichkeit des Staats ganz in die Perſönlichkeit des Staatsoberhauptes aufgeht, iſt die Würde unbedingt von dem Willen des Herrn abhängig und daher auch mit dieſem Willen verbunden. Sie iſt daher keine wahre Würde, denn dieſe enthält ſtets das ſelb- ſtändige Recht auf dieſelbe; ſie iſt nur eine Ehre. Jeder Dienſt des Fürſten iſt eine Ehre, und es gibt keine Ehre außer dem Dienſte. Das Syſtem der Ehren erſcheint hier daher identiſch mit dem Syſteme des königlichen Dienſtes. Unſer Begriff der Würden iſt hier nicht anwend- bar. Die Deſpotie kann große Ehren haben und verleihen, aber keine Würden. Eben ſo wenig gibt es Würden, wo die ganze Staatsgewalt ſtatt in dem Individuum des Monarchen, in der Gemeinſchaft des Volkes beruht. Auch hier gibt es nichts, was außerhalb des Willens des Volkes, der geſetzgebenden Gewalt, ſtände. Auch hier hat niemand an und für ſich ein Recht auf eine öffentliche Ehre; dieſelbe kommt nur da zur Er- ſcheinung, wo die Republik den Einzelnen mit einer Funktion beauf- tragt, dauert nur für die Funktion und bezeichnet nichts als dieſelbe. Auch die Republik hat Ehren, aber keine Würden. Die Würde entſteht daher erſt da, wo ein Recht auf eine öffent- liche Ehre als ein ſelbſtändiges erſcheint, das ſowohl unabhängig von einem perſönlichen Dienſte wie unter der Deſpotie, alſo unabhängig von der rein vollziehenden Gewalt, als auch unabhängig von einer geſetzlich übertragenen öffentlichen Funktion, alſo unabhängig von der Geſetz-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/285>, abgerufen am 21.11.2024.