und in den meisten Fällen war es nothwendig, in vielen gut, daß es das that. Es gab daher keine Scheidung der gesetzgebenden und voll- ziehenden Gewalt. Das königliche Amtswesen begann daher natur- gemäß, für seine Verordnungen das Recht des Gesetzes in Anspruch zu nehmen und Gehorsam im Namen des Staats zu fordern, auch da, wo die örtliche Verwaltung ihr den Rechtstitel des lehenherrlichen Be- sitzesrechts entgegenstellte. Die öffentliche Gewalt der letzteren wird mehr und mehr als ein bloßes Privatrecht aufgefaßt, das sich dem Rechte des Staats unterordnen müsse. Das Recht der Staatsgewalt aber findet seine formalen Quellen theils in dem biblischen Begriffe der von Gott verordneten Obrigkeit, theils in dem römischen Recht und der römischen Idee des Imperium. Im Namen dieser Ideen beginnt sie den Kampf mit der örtlichen Verwaltung; und in diesem Kampfe siegt sie. Nur ist die Form ihres Sieges und ihrer Herrschaft eine eigen- thümliche. Sie läßt fast allenthalben der örtlichen Verwaltung ihre alten Formen und Namen, aber sie nimmt den Inhalt der Verwaltung in sich auf, so weit sie mit der letztern in Berührung kommt. So weit dagegen eine solche Berührung nicht stattfindet, namentlich in den Ver- hältnissen der einzelnen Angelegenheiten jener Grundherrlichkeiten zum Grundherrn, da besteht das alte Verhältniß fort. So erscheint der alte, doppelte Zustand in einer neuen Form. Alle Gesammtaufgaben hat der königliche Organismus zu den seinigen gemacht, und daher die Organe der Regierung nicht mehr neben, sondern über die Organe der Grundherrlichkeit gestellt; dennoch ist das Rechtsprincip der letzteren ge- wahrt; das Recht auf die grundherrliche Verwaltung besteht fort, aber nur so weit es nicht in Widerstreit kommt mit dem der königlichen. Der Staat wird nur noch durch das königliche Amt verwaltet; die Ver- waltung der Grundherrn ist zu einer Verwaltung der grundherrlichen Lasten geworden und die Verwaltungsorgane derselben nehmen den Charakter der staatlichen Beamteten für alles dasjenige an, was nicht die bürgerlichen Berechtigungen des Grundherrn betrifft. Der Sieg der Staatsgewalt ist entschieden.
Die Ständeordnung hat auf diese Weise im 18. Jahrhundert alle ihre staatlichen Rechte sowohl in Gesetzgebung als Verwaltung verloren. Sie besteht nur noch in ihren alten Formen. Darin lag ihre Schwäche und ihr innerer Widerspruch. Neben und in ihr entwickelte sich die neue Gestalt der Gesellschaft, die auf dem Grundsatz der gleichen Be- rechtigung aller Staatsbürger beruht. Sie setzt das Princip der freien Persönlichkeit dem Principe des Standesrechts, den gewerblichen Besitz dem Grundbesitz gegenüber. Sie betrachtet den Staat als eine auf dem Willen aller Einzelnen ruhende Einheit. Sie fordert daher, daß der
und in den meiſten Fällen war es nothwendig, in vielen gut, daß es das that. Es gab daher keine Scheidung der geſetzgebenden und voll- ziehenden Gewalt. Das königliche Amtsweſen begann daher natur- gemäß, für ſeine Verordnungen das Recht des Geſetzes in Anſpruch zu nehmen und Gehorſam im Namen des Staats zu fordern, auch da, wo die örtliche Verwaltung ihr den Rechtstitel des lehenherrlichen Be- ſitzesrechts entgegenſtellte. Die öffentliche Gewalt der letzteren wird mehr und mehr als ein bloßes Privatrecht aufgefaßt, das ſich dem Rechte des Staats unterordnen müſſe. Das Recht der Staatsgewalt aber findet ſeine formalen Quellen theils in dem bibliſchen Begriffe der von Gott verordneten Obrigkeit, theils in dem römiſchen Recht und der römiſchen Idee des Imperium. Im Namen dieſer Ideen beginnt ſie den Kampf mit der örtlichen Verwaltung; und in dieſem Kampfe ſiegt ſie. Nur iſt die Form ihres Sieges und ihrer Herrſchaft eine eigen- thümliche. Sie läßt faſt allenthalben der örtlichen Verwaltung ihre alten Formen und Namen, aber ſie nimmt den Inhalt der Verwaltung in ſich auf, ſo weit ſie mit der letztern in Berührung kommt. So weit dagegen eine ſolche Berührung nicht ſtattfindet, namentlich in den Ver- hältniſſen der einzelnen Angelegenheiten jener Grundherrlichkeiten zum Grundherrn, da beſteht das alte Verhältniß fort. So erſcheint der alte, doppelte Zuſtand in einer neuen Form. Alle Geſammtaufgaben hat der königliche Organismus zu den ſeinigen gemacht, und daher die Organe der Regierung nicht mehr neben, ſondern über die Organe der Grundherrlichkeit geſtellt; dennoch iſt das Rechtsprincip der letzteren ge- wahrt; das Recht auf die grundherrliche Verwaltung beſteht fort, aber nur ſo weit es nicht in Widerſtreit kommt mit dem der königlichen. Der Staat wird nur noch durch das königliche Amt verwaltet; die Ver- waltung der Grundherrn iſt zu einer Verwaltung der grundherrlichen Laſten geworden und die Verwaltungsorgane derſelben nehmen den Charakter der ſtaatlichen Beamteten für alles dasjenige an, was nicht die bürgerlichen Berechtigungen des Grundherrn betrifft. Der Sieg der Staatsgewalt iſt entſchieden.
Die Ständeordnung hat auf dieſe Weiſe im 18. Jahrhundert alle ihre ſtaatlichen Rechte ſowohl in Geſetzgebung als Verwaltung verloren. Sie beſteht nur noch in ihren alten Formen. Darin lag ihre Schwäche und ihr innerer Widerſpruch. Neben und in ihr entwickelte ſich die neue Geſtalt der Geſellſchaft, die auf dem Grundſatz der gleichen Be- rechtigung aller Staatsbürger beruht. Sie ſetzt das Princip der freien Perſönlichkeit dem Principe des Standesrechts, den gewerblichen Beſitz dem Grundbeſitz gegenüber. Sie betrachtet den Staat als eine auf dem Willen aller Einzelnen ruhende Einheit. Sie fordert daher, daß der
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[248/0272]
und in den meiſten Fällen war es nothwendig, in vielen gut, daß es
das that. Es gab daher keine Scheidung der geſetzgebenden und voll-
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gemäß, für ſeine Verordnungen das Recht des Geſetzes in Anſpruch zu
nehmen und Gehorſam im Namen des Staats zu fordern, auch da,
wo die örtliche Verwaltung ihr den Rechtstitel des lehenherrlichen Be-
ſitzesrechts entgegenſtellte. Die öffentliche Gewalt der letzteren wird
mehr und mehr als ein bloßes Privatrecht aufgefaßt, das ſich dem
Rechte des Staats unterordnen müſſe. Das Recht der Staatsgewalt
aber findet ſeine formalen Quellen theils in dem bibliſchen Begriffe der
von Gott verordneten Obrigkeit, theils in dem römiſchen Recht und der
römiſchen Idee des Imperium. Im Namen dieſer Ideen beginnt ſie
den Kampf mit der örtlichen Verwaltung; und in dieſem Kampfe ſiegt
ſie. Nur iſt die Form ihres Sieges und ihrer Herrſchaft eine eigen-
thümliche. Sie läßt faſt allenthalben der örtlichen Verwaltung ihre
alten Formen und Namen, aber ſie nimmt den Inhalt der Verwaltung
in ſich auf, ſo weit ſie mit der letztern in Berührung kommt. So weit
dagegen eine ſolche Berührung nicht ſtattfindet, namentlich in den Ver-
hältniſſen der einzelnen Angelegenheiten jener Grundherrlichkeiten zum
Grundherrn, da beſteht das alte Verhältniß fort. So erſcheint der alte,
doppelte Zuſtand in einer neuen Form. Alle Geſammtaufgaben
hat der königliche Organismus zu den ſeinigen gemacht, und daher die
Organe der Regierung nicht mehr neben, ſondern über die Organe der
Grundherrlichkeit geſtellt; dennoch iſt das Rechtsprincip der letzteren ge-
wahrt; das Recht auf die grundherrliche Verwaltung beſteht fort, aber
nur ſo weit es nicht in Widerſtreit kommt mit dem der königlichen.
Der Staat wird nur noch durch das königliche Amt verwaltet; die Ver-
waltung der Grundherrn iſt zu einer Verwaltung der grundherrlichen
Laſten geworden und die Verwaltungsorgane derſelben nehmen den
Charakter der ſtaatlichen Beamteten für alles dasjenige an, was nicht
die bürgerlichen Berechtigungen des Grundherrn betrifft. Der Sieg der
Staatsgewalt iſt entſchieden.
Die Ständeordnung hat auf dieſe Weiſe im 18. Jahrhundert alle
ihre ſtaatlichen Rechte ſowohl in Geſetzgebung als Verwaltung verloren.
Sie beſteht nur noch in ihren alten Formen. Darin lag ihre Schwäche
und ihr innerer Widerſpruch. Neben und in ihr entwickelte ſich die
neue Geſtalt der Geſellſchaft, die auf dem Grundſatz der gleichen Be-
rechtigung aller Staatsbürger beruht. Sie ſetzt das Princip der freien
Perſönlichkeit dem Principe des Standesrechts, den gewerblichen Beſitz
dem Grundbeſitz gegenüber. Sie betrachtet den Staat als eine auf dem
Willen aller Einzelnen ruhende Einheit. Sie fordert daher, daß der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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