Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

staatliche Verwaltung legt, während die deutsche Staatenbildung den
großartigen Versuch enthält, das Verhältniß beider Elemente syste-
matisch zu einer, beide in ihrem Wesen anerkennenden Harmonie zu
bringen.

Der Werth einer solchen sehr allgemeinen Redensart besteht nun
wiederum darin, daß sie uns den innern Zusammenhang aller der ein-
zelnen
Grundsätze und Bestimmungen, welche über Amtswesen, Selbst-
verwaltung und Verein in den verschiedenen Staaten gelten, zu erklären
trachtet. Geht man nämlich alle diese einzelnen Gesetzgebungen und
Ordnungen durch, so findet man eine sehr große Verschiedenheit, nicht
bloß in den einzelnen Bestimmungen, sondern eben so sehr in dem
ganzen Geiste, welcher die Gesammtordnung der einzelnen Organismen
beherrscht. Das Amtswesen ist anders, indem man es für sich betrachtet,
das Gemeindewesen ist anders, und das Vereinswesen ist anders. Man
kann nun jedes dieser Organe recht wohl für sich darstellen, und jedes
für sich verstehen. Allein man kann sie durchaus nicht vergleichen,
so lange man nicht den Gedanken festhält, das das Recht und die
Ordnung aller einzelnen Organe unter einander dadurch in Verbindung
stehen, daß sie gegenseitig von dem allgemeinen Princip des Organis-
mus bedingt werden. Indem wir daher die Eigenthümlichkeit jener
Organisationen in Folgendem hervorheben, werden wir stets auf das
Gemeinsame zurückblicken, und so auch im Einzelnen dasjenige zu finden
trachten, was eben das Wesen dieser Erscheinungen in ihrer Gemein-
schaft bildet, die in der Gesammtheit der Organisation erscheinende In-
dividualität der Staatspersönlichkeit
.

Diese Individualität nun gewinnt eine neue und tiefere Grund-
lage, indem man sie selbst als das Ergebniß einer andern, im tiefsten
Wesen des Staatslebens wirkende Kraft erkennt. Auch hier kann das
Letztere gar nicht verstanden werden, ohne die Einwirkungen der ver-
schiedenen gesellschaftlichen Ordnungen auf den Staat zu erkennen. In
der That ist jene Individualität selber nichts anderes, als die gesell-
schaftliche Gestalt des Vollziehungsorganismus. Das Wesen derselben
wird daher durch den Ueberblick über die Geschichte dieses Verhältnisses
vielleicht am besten verständlich werden.

Es ist hier der Ort, einen Ausdruck festzustellen, dessen große Wichtigkeit
schon aus dem Obigen klar sein wird, und dessen Unbestimmtheit wiederum nur
historisch, und zum Theil durch Vergleichung mit andern Staaten überwunden
werden kann. Das ist die oberaufsehende Gewalt.

Es gibt nämlich keine oberaufsehende Gewalt und keine Oberaufsicht inner-
halb des amtlichen Staatsorganismus. Es ist nicht bloß gegen allen
Sprachgebrauch, daß die höhere Behörde gegen die niedere eine Oberaufsicht

ſtaatliche Verwaltung legt, während die deutſche Staatenbildung den
großartigen Verſuch enthält, das Verhältniß beider Elemente ſyſte-
matiſch zu einer, beide in ihrem Weſen anerkennenden Harmonie zu
bringen.

Der Werth einer ſolchen ſehr allgemeinen Redensart beſteht nun
wiederum darin, daß ſie uns den innern Zuſammenhang aller der ein-
zelnen
Grundſätze und Beſtimmungen, welche über Amtsweſen, Selbſt-
verwaltung und Verein in den verſchiedenen Staaten gelten, zu erklären
trachtet. Geht man nämlich alle dieſe einzelnen Geſetzgebungen und
Ordnungen durch, ſo findet man eine ſehr große Verſchiedenheit, nicht
bloß in den einzelnen Beſtimmungen, ſondern eben ſo ſehr in dem
ganzen Geiſte, welcher die Geſammtordnung der einzelnen Organismen
beherrſcht. Das Amtsweſen iſt anders, indem man es für ſich betrachtet,
das Gemeindeweſen iſt anders, und das Vereinsweſen iſt anders. Man
kann nun jedes dieſer Organe recht wohl für ſich darſtellen, und jedes
für ſich verſtehen. Allein man kann ſie durchaus nicht vergleichen,
ſo lange man nicht den Gedanken feſthält, das das Recht und die
Ordnung aller einzelnen Organe unter einander dadurch in Verbindung
ſtehen, daß ſie gegenſeitig von dem allgemeinen Princip des Organis-
mus bedingt werden. Indem wir daher die Eigenthümlichkeit jener
Organiſationen in Folgendem hervorheben, werden wir ſtets auf das
Gemeinſame zurückblicken, und ſo auch im Einzelnen dasjenige zu finden
trachten, was eben das Weſen dieſer Erſcheinungen in ihrer Gemein-
ſchaft bildet, die in der Geſammtheit der Organiſation erſcheinende In-
dividualität der Staatsperſönlichkeit
.

Dieſe Individualität nun gewinnt eine neue und tiefere Grund-
lage, indem man ſie ſelbſt als das Ergebniß einer andern, im tiefſten
Weſen des Staatslebens wirkende Kraft erkennt. Auch hier kann das
Letztere gar nicht verſtanden werden, ohne die Einwirkungen der ver-
ſchiedenen geſellſchaftlichen Ordnungen auf den Staat zu erkennen. In
der That iſt jene Individualität ſelber nichts anderes, als die geſell-
ſchaftliche Geſtalt des Vollziehungsorganismus. Das Weſen derſelben
wird daher durch den Ueberblick über die Geſchichte dieſes Verhältniſſes
vielleicht am beſten verſtändlich werden.

Es iſt hier der Ort, einen Ausdruck feſtzuſtellen, deſſen große Wichtigkeit
ſchon aus dem Obigen klar ſein wird, und deſſen Unbeſtimmtheit wiederum nur
hiſtoriſch, und zum Theil durch Vergleichung mit andern Staaten überwunden
werden kann. Das iſt die oberaufſehende Gewalt.

Es gibt nämlich keine oberaufſehende Gewalt und keine Oberaufſicht inner-
halb des amtlichen Staatsorganismus. Es iſt nicht bloß gegen allen
Sprachgebrauch, daß die höhere Behörde gegen die niedere eine Oberaufſicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0264" n="240"/>
&#x017F;taatliche Verwaltung legt, während die deut&#x017F;che Staatenbildung den<lb/>
großartigen Ver&#x017F;uch enthält, das Verhältniß beider Elemente &#x017F;y&#x017F;te-<lb/>
mati&#x017F;ch zu einer, beide in ihrem We&#x017F;en anerkennenden Harmonie zu<lb/>
bringen.</p><lb/>
              <p>Der Werth einer &#x017F;olchen &#x017F;ehr allgemeinen Redensart be&#x017F;teht nun<lb/>
wiederum darin, daß &#x017F;ie uns den innern Zu&#x017F;ammenhang aller der <hi rendition="#g">ein-<lb/>
zelnen</hi> Grund&#x017F;ätze und Be&#x017F;timmungen, welche über Amtswe&#x017F;en, Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltung und Verein in den ver&#x017F;chiedenen Staaten gelten, zu erklären<lb/>
trachtet. Geht man nämlich alle die&#x017F;e einzelnen Ge&#x017F;etzgebungen und<lb/>
Ordnungen durch, &#x017F;o findet man eine &#x017F;ehr große Ver&#x017F;chiedenheit, nicht<lb/>
bloß in den einzelnen Be&#x017F;timmungen, &#x017F;ondern eben &#x017F;o &#x017F;ehr in dem<lb/>
ganzen Gei&#x017F;te, welcher die Ge&#x017F;ammtordnung der einzelnen Organismen<lb/>
beherr&#x017F;cht. Das Amtswe&#x017F;en i&#x017F;t anders, indem man es für &#x017F;ich betrachtet,<lb/>
das Gemeindewe&#x017F;en i&#x017F;t anders, und das Vereinswe&#x017F;en i&#x017F;t anders. Man<lb/>
kann nun jedes die&#x017F;er Organe recht wohl für &#x017F;ich dar&#x017F;tellen, und jedes<lb/>
für &#x017F;ich ver&#x017F;tehen. Allein man kann <hi rendition="#g">&#x017F;ie durchaus nicht vergleichen</hi>,<lb/>
&#x017F;o lange man nicht den Gedanken fe&#x017F;thält, das das Recht und die<lb/>
Ordnung aller einzelnen Organe unter einander dadurch in Verbindung<lb/>
&#x017F;tehen, daß &#x017F;ie gegen&#x017F;eitig von dem allgemeinen Princip des Organis-<lb/>
mus bedingt werden. Indem wir daher die Eigenthümlichkeit jener<lb/>
Organi&#x017F;ationen in Folgendem hervorheben, werden wir &#x017F;tets auf das<lb/>
Gemein&#x017F;ame zurückblicken, und &#x017F;o auch im Einzelnen dasjenige zu finden<lb/>
trachten, was eben das We&#x017F;en die&#x017F;er Er&#x017F;cheinungen in ihrer Gemein-<lb/>
&#x017F;chaft bildet, die in der Ge&#x017F;ammtheit der Organi&#x017F;ation er&#x017F;cheinende <hi rendition="#g">In-<lb/>
dividualität der Staatsper&#x017F;önlichkeit</hi>.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e Individualität nun gewinnt eine neue und tiefere Grund-<lb/>
lage, indem man &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t als das Ergebniß einer andern, im tief&#x017F;ten<lb/>
We&#x017F;en des Staatslebens wirkende Kraft erkennt. Auch hier kann das<lb/>
Letztere gar nicht ver&#x017F;tanden werden, ohne die Einwirkungen der ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Ordnungen auf den Staat zu erkennen. In<lb/>
der That i&#x017F;t jene Individualität &#x017F;elber nichts anderes, als die ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaftliche Ge&#x017F;talt des Vollziehungsorganismus. Das We&#x017F;en der&#x017F;elben<lb/>
wird daher durch den Ueberblick über die Ge&#x017F;chichte die&#x017F;es Verhältni&#x017F;&#x017F;es<lb/>
vielleicht am be&#x017F;ten ver&#x017F;tändlich werden.</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t hier der Ort, einen Ausdruck fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, de&#x017F;&#x017F;en große Wichtigkeit<lb/>
&#x017F;chon aus dem Obigen klar &#x017F;ein wird, und de&#x017F;&#x017F;en Unbe&#x017F;timmtheit wiederum nur<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;ch, und zum Theil durch Vergleichung mit andern Staaten überwunden<lb/>
werden kann. Das i&#x017F;t die <hi rendition="#g">oberauf&#x017F;ehende Gewalt</hi>.</p><lb/>
              <p>Es gibt nämlich keine oberauf&#x017F;ehende Gewalt und keine Oberauf&#x017F;icht inner-<lb/>
halb des <hi rendition="#g">amtlichen Staatsorganismus</hi>. Es i&#x017F;t nicht bloß gegen allen<lb/>
Sprachgebrauch, daß die höhere Behörde gegen die niedere eine Oberauf&#x017F;icht<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0264] ſtaatliche Verwaltung legt, während die deutſche Staatenbildung den großartigen Verſuch enthält, das Verhältniß beider Elemente ſyſte- matiſch zu einer, beide in ihrem Weſen anerkennenden Harmonie zu bringen. Der Werth einer ſolchen ſehr allgemeinen Redensart beſteht nun wiederum darin, daß ſie uns den innern Zuſammenhang aller der ein- zelnen Grundſätze und Beſtimmungen, welche über Amtsweſen, Selbſt- verwaltung und Verein in den verſchiedenen Staaten gelten, zu erklären trachtet. Geht man nämlich alle dieſe einzelnen Geſetzgebungen und Ordnungen durch, ſo findet man eine ſehr große Verſchiedenheit, nicht bloß in den einzelnen Beſtimmungen, ſondern eben ſo ſehr in dem ganzen Geiſte, welcher die Geſammtordnung der einzelnen Organismen beherrſcht. Das Amtsweſen iſt anders, indem man es für ſich betrachtet, das Gemeindeweſen iſt anders, und das Vereinsweſen iſt anders. Man kann nun jedes dieſer Organe recht wohl für ſich darſtellen, und jedes für ſich verſtehen. Allein man kann ſie durchaus nicht vergleichen, ſo lange man nicht den Gedanken feſthält, das das Recht und die Ordnung aller einzelnen Organe unter einander dadurch in Verbindung ſtehen, daß ſie gegenſeitig von dem allgemeinen Princip des Organis- mus bedingt werden. Indem wir daher die Eigenthümlichkeit jener Organiſationen in Folgendem hervorheben, werden wir ſtets auf das Gemeinſame zurückblicken, und ſo auch im Einzelnen dasjenige zu finden trachten, was eben das Weſen dieſer Erſcheinungen in ihrer Gemein- ſchaft bildet, die in der Geſammtheit der Organiſation erſcheinende In- dividualität der Staatsperſönlichkeit. Dieſe Individualität nun gewinnt eine neue und tiefere Grund- lage, indem man ſie ſelbſt als das Ergebniß einer andern, im tiefſten Weſen des Staatslebens wirkende Kraft erkennt. Auch hier kann das Letztere gar nicht verſtanden werden, ohne die Einwirkungen der ver- ſchiedenen geſellſchaftlichen Ordnungen auf den Staat zu erkennen. In der That iſt jene Individualität ſelber nichts anderes, als die geſell- ſchaftliche Geſtalt des Vollziehungsorganismus. Das Weſen derſelben wird daher durch den Ueberblick über die Geſchichte dieſes Verhältniſſes vielleicht am beſten verſtändlich werden. Es iſt hier der Ort, einen Ausdruck feſtzuſtellen, deſſen große Wichtigkeit ſchon aus dem Obigen klar ſein wird, und deſſen Unbeſtimmtheit wiederum nur hiſtoriſch, und zum Theil durch Vergleichung mit andern Staaten überwunden werden kann. Das iſt die oberaufſehende Gewalt. Es gibt nämlich keine oberaufſehende Gewalt und keine Oberaufſicht inner- halb des amtlichen Staatsorganismus. Es iſt nicht bloß gegen allen Sprachgebrauch, daß die höhere Behörde gegen die niedere eine Oberaufſicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/264
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/264>, abgerufen am 03.07.2024.