Anwendung dieser Mittel erscheint nämlich gebunden und bedingt durch die Natur und das Maß des Widerstandes, den die Vollziehung findet. Sie darf daher niemals weiter gehen gegenüber dem Einzelnen, als daß sie ihren Zweck, den Gehorsam des Einzelnen erreicht; jede Ge- walt, welche nach erzieltem Gehorsam ausgeübt wird, ist an und für sich eine Rechtsverletzung. Aber sie darf auch nie kleiner sein, als der Widerstand, den sie findet; denn am Ende erscheint doch in ihr der Wille des Staats, der unbedingt als der herrschende gegenüber dem Einzelnen gelten muß. Je nach dem Maße des Widerstandes muß da- her das Maß der rein polizeilichen Zwangsmittel in jedem einzelnen Falle bemessen werden. Es ist daher Sache des Einzelnen, diese Gränze der polizeilichen Gewalt durch sein eigenes Verhalten selbst zu be- stimmen. Das aber leuchtet ein, daß das Recht auf Anwendung der Gewaltmittel von Seite der Polizei an sich ganz unabhängig ist von dem Gegenstande, um den es sich handelt; bei dem alleruntergeordnetsten Gegenstande kann die Polizei bei offener Widersetzlichkeit des Einzelnen bis zur äußersten Gewalt vorgehen, ja selbst bis zur Tödtung. Denn indem der Einzelne durch Gewalt sich dem allgemeinen Willen wider- setzt, hebt er selber das Recht für sich auf, und die Gewalt wird Recht. Die aber ist ihrem eigenen Wesen nach maßlos.
Die deutschen Polizeistrafgesetze, wie namentlich das neueste bayerische vom 10. Nov. 1861, hatten im Grunde nur die Aufgabe gehabt, für das an sich als nothwendig erkannte Zwangsrecht ein Maß zu setzen, und enthalten daher wesentlich in ihren Paragraphen die Feststellung der Größe der Strafgewalt, mit welcher die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Fällen die Befolgung ihrer Vorschriften erzwingen, während die bye laws in England dasselbe Recht geben, zum Theil ohne es zu beschränken. -- Die Anwendung von Waffengewalt ist nur in einzelnen Staaten genauer erörtert. Das englische Princip ist, daß das Gericht darüber entscheidet; offenbar ist das Entscheidungsfundament die Frage, ob bei einem an sich gesetzlichen Zwange die Anwendung der Waffe als unabweisbare Bedingung der Vollziehung erscheint; ist der Zwang ungesetzlich, so ist sie ohnehin ein Verbrechen. In Deutschland hat die Gesetz- gebung dieß den Gerichten nicht überlassen, sondern das Recht der Waffe zu einem Theile der Instruktionen für die mit Waffen versehenen Organe gemacht; namentlich in Preußen zum Theil sehr genau, RönneI. §. 52. -- Ueber den Belagerungszustand siehe oben.
Faßt man nun das bisher Gesagte zusammen, so ergibt sich, wie wir es anfangs bezeichneten, daß das Recht der vollziehenden Gewalt nicht etwa ein einfaches Recht, sondern vielmehr ein großartiges, oft verfassungsmäßig bestimmtes, immer aber hochwichtiges System von Rechtsverhältnissen ist, das selbständig neben dem Rechte der Gesetzgebung dasteht, und das auf allen seinen Punkten von einem
Anwendung dieſer Mittel erſcheint nämlich gebunden und bedingt durch die Natur und das Maß des Widerſtandes, den die Vollziehung findet. Sie darf daher niemals weiter gehen gegenüber dem Einzelnen, als daß ſie ihren Zweck, den Gehorſam des Einzelnen erreicht; jede Ge- walt, welche nach erzieltem Gehorſam ausgeübt wird, iſt an und für ſich eine Rechtsverletzung. Aber ſie darf auch nie kleiner ſein, als der Widerſtand, den ſie findet; denn am Ende erſcheint doch in ihr der Wille des Staats, der unbedingt als der herrſchende gegenüber dem Einzelnen gelten muß. Je nach dem Maße des Widerſtandes muß da- her das Maß der rein polizeilichen Zwangsmittel in jedem einzelnen Falle bemeſſen werden. Es iſt daher Sache des Einzelnen, dieſe Gränze der polizeilichen Gewalt durch ſein eigenes Verhalten ſelbſt zu be- ſtimmen. Das aber leuchtet ein, daß das Recht auf Anwendung der Gewaltmittel von Seite der Polizei an ſich ganz unabhängig iſt von dem Gegenſtande, um den es ſich handelt; bei dem alleruntergeordnetſten Gegenſtande kann die Polizei bei offener Widerſetzlichkeit des Einzelnen bis zur äußerſten Gewalt vorgehen, ja ſelbſt bis zur Tödtung. Denn indem der Einzelne durch Gewalt ſich dem allgemeinen Willen wider- ſetzt, hebt er ſelber das Recht für ſich auf, und die Gewalt wird Recht. Die aber iſt ihrem eigenen Weſen nach maßlos.
Die deutſchen Polizeiſtrafgeſetze, wie namentlich das neueſte bayeriſche vom 10. Nov. 1861, hatten im Grunde nur die Aufgabe gehabt, für das an ſich als nothwendig erkannte Zwangsrecht ein Maß zu ſetzen, und enthalten daher weſentlich in ihren Paragraphen die Feſtſtellung der Größe der Strafgewalt, mit welcher die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Fällen die Befolgung ihrer Vorſchriften erzwingen, während die bye laws in England daſſelbe Recht geben, zum Theil ohne es zu beſchränken. — Die Anwendung von Waffengewalt iſt nur in einzelnen Staaten genauer erörtert. Das engliſche Princip iſt, daß das Gericht darüber entſcheidet; offenbar iſt das Entſcheidungsfundament die Frage, ob bei einem an ſich geſetzlichen Zwange die Anwendung der Waffe als unabweisbare Bedingung der Vollziehung erſcheint; iſt der Zwang ungeſetzlich, ſo iſt ſie ohnehin ein Verbrechen. In Deutſchland hat die Geſetz- gebung dieß den Gerichten nicht überlaſſen, ſondern das Recht der Waffe zu einem Theile der Inſtruktionen für die mit Waffen verſehenen Organe gemacht; namentlich in Preußen zum Theil ſehr genau, RönneI. §. 52. — Ueber den Belagerungszuſtand ſiehe oben.
Faßt man nun das bisher Geſagte zuſammen, ſo ergibt ſich, wie wir es anfangs bezeichneten, daß das Recht der vollziehenden Gewalt nicht etwa ein einfaches Recht, ſondern vielmehr ein großartiges, oft verfaſſungsmäßig beſtimmtes, immer aber hochwichtiges Syſtem von Rechtsverhältniſſen iſt, das ſelbſtändig neben dem Rechte der Geſetzgebung daſteht, und das auf allen ſeinen Punkten von einem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0235"n="211"/>
Anwendung dieſer Mittel erſcheint nämlich gebunden und bedingt durch die<lb/>
Natur und das Maß des <hirendition="#g">Widerſtandes</hi>, den die Vollziehung findet.<lb/>
Sie darf daher niemals <hirendition="#g">weiter</hi> gehen gegenüber dem Einzelnen, als<lb/>
daß ſie ihren Zweck, den Gehorſam des Einzelnen erreicht; jede Ge-<lb/>
walt, welche <hirendition="#g">nach</hi> erzieltem Gehorſam ausgeübt wird, iſt an und für<lb/>ſich eine Rechtsverletzung. Aber ſie darf auch <hirendition="#g">nie kleiner</hi>ſein, als<lb/>
der Widerſtand, den ſie findet; denn am Ende erſcheint doch in ihr<lb/>
der Wille des Staats, der unbedingt als der herrſchende gegenüber dem<lb/>
Einzelnen gelten muß. Je nach dem Maße des Widerſtandes muß da-<lb/>
her das Maß der rein polizeilichen Zwangsmittel in jedem einzelnen<lb/>
Falle bemeſſen werden. Es iſt daher Sache des Einzelnen, dieſe Gränze<lb/>
der polizeilichen Gewalt durch ſein eigenes Verhalten <hirendition="#g">ſelbſt zu be-<lb/>ſtimmen</hi>. Das aber leuchtet ein, daß das Recht auf Anwendung der<lb/>
Gewaltmittel von Seite der Polizei an ſich ganz unabhängig iſt von<lb/>
dem Gegenſtande, um den es ſich handelt; bei dem alleruntergeordnetſten<lb/>
Gegenſtande kann die Polizei bei offener Widerſetzlichkeit des Einzelnen<lb/>
bis zur äußerſten Gewalt vorgehen, ja ſelbſt bis zur Tödtung. Denn<lb/>
indem der Einzelne durch Gewalt ſich dem allgemeinen Willen wider-<lb/>ſetzt, hebt er ſelber das Recht für ſich auf, und die Gewalt wird Recht.<lb/>
Die aber iſt ihrem eigenen Weſen nach maßlos.</p><lb/><p>Die deutſchen Polizeiſtrafgeſetze, wie namentlich das neueſte bayeriſche vom<lb/>
10. Nov. 1861, hatten im Grunde nur die Aufgabe gehabt, für das an ſich<lb/>
als nothwendig erkannte Zwangsrecht ein Maß zu ſetzen, und enthalten daher<lb/>
weſentlich in ihren Paragraphen die Feſtſtellung der Größe der Strafgewalt,<lb/>
mit welcher die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Fällen die Befolgung ihrer<lb/>
Vorſchriften erzwingen, während die <hirendition="#aq">bye laws</hi> in England daſſelbe Recht geben,<lb/>
zum Theil <hirendition="#g">ohne</hi> es zu beſchränken. — Die Anwendung von <hirendition="#g">Waffengewalt</hi><lb/>
iſt nur in einzelnen Staaten genauer erörtert. Das engliſche Princip iſt, daß<lb/>
das <hirendition="#g">Gericht</hi> darüber entſcheidet; offenbar iſt das Entſcheidungsfundament die<lb/>
Frage, ob bei einem an ſich <hirendition="#g">geſetzlichen</hi> Zwange die Anwendung der Waffe<lb/>
als <hirendition="#g">unabweisbare</hi> Bedingung der Vollziehung erſcheint; iſt der Zwang<lb/>
ungeſetzlich, ſo iſt ſie ohnehin ein Verbrechen. In Deutſchland hat die Geſetz-<lb/>
gebung dieß den Gerichten nicht überlaſſen, ſondern das Recht der Waffe zu<lb/>
einem Theile der <hirendition="#g">Inſtruktionen</hi> für die mit Waffen verſehenen Organe<lb/>
gemacht; namentlich in <hirendition="#g">Preußen</hi> zum Theil ſehr genau, <hirendition="#g">Rönne</hi><hirendition="#aq">I.</hi> §. 52. —<lb/>
Ueber den Belagerungszuſtand ſiehe oben.</p><lb/><p>Faßt man nun das bisher Geſagte zuſammen, ſo ergibt ſich, wie<lb/>
wir es anfangs bezeichneten, daß das Recht der vollziehenden Gewalt<lb/>
nicht etwa ein einfaches Recht, ſondern vielmehr ein großartiges, oft<lb/>
verfaſſungsmäßig beſtimmtes, immer aber hochwichtiges <hirendition="#g">Syſtem von<lb/>
Rechtsverhältniſſen</hi> iſt, das ſelbſtändig neben dem Rechte der<lb/>
Geſetzgebung daſteht, und das auf allen ſeinen Punkten von einem<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[211/0235]
Anwendung dieſer Mittel erſcheint nämlich gebunden und bedingt durch die
Natur und das Maß des Widerſtandes, den die Vollziehung findet.
Sie darf daher niemals weiter gehen gegenüber dem Einzelnen, als
daß ſie ihren Zweck, den Gehorſam des Einzelnen erreicht; jede Ge-
walt, welche nach erzieltem Gehorſam ausgeübt wird, iſt an und für
ſich eine Rechtsverletzung. Aber ſie darf auch nie kleiner ſein, als
der Widerſtand, den ſie findet; denn am Ende erſcheint doch in ihr
der Wille des Staats, der unbedingt als der herrſchende gegenüber dem
Einzelnen gelten muß. Je nach dem Maße des Widerſtandes muß da-
her das Maß der rein polizeilichen Zwangsmittel in jedem einzelnen
Falle bemeſſen werden. Es iſt daher Sache des Einzelnen, dieſe Gränze
der polizeilichen Gewalt durch ſein eigenes Verhalten ſelbſt zu be-
ſtimmen. Das aber leuchtet ein, daß das Recht auf Anwendung der
Gewaltmittel von Seite der Polizei an ſich ganz unabhängig iſt von
dem Gegenſtande, um den es ſich handelt; bei dem alleruntergeordnetſten
Gegenſtande kann die Polizei bei offener Widerſetzlichkeit des Einzelnen
bis zur äußerſten Gewalt vorgehen, ja ſelbſt bis zur Tödtung. Denn
indem der Einzelne durch Gewalt ſich dem allgemeinen Willen wider-
ſetzt, hebt er ſelber das Recht für ſich auf, und die Gewalt wird Recht.
Die aber iſt ihrem eigenen Weſen nach maßlos.
Die deutſchen Polizeiſtrafgeſetze, wie namentlich das neueſte bayeriſche vom
10. Nov. 1861, hatten im Grunde nur die Aufgabe gehabt, für das an ſich
als nothwendig erkannte Zwangsrecht ein Maß zu ſetzen, und enthalten daher
weſentlich in ihren Paragraphen die Feſtſtellung der Größe der Strafgewalt,
mit welcher die Verwaltungsbehörden in den einzelnen Fällen die Befolgung ihrer
Vorſchriften erzwingen, während die bye laws in England daſſelbe Recht geben,
zum Theil ohne es zu beſchränken. — Die Anwendung von Waffengewalt
iſt nur in einzelnen Staaten genauer erörtert. Das engliſche Princip iſt, daß
das Gericht darüber entſcheidet; offenbar iſt das Entſcheidungsfundament die
Frage, ob bei einem an ſich geſetzlichen Zwange die Anwendung der Waffe
als unabweisbare Bedingung der Vollziehung erſcheint; iſt der Zwang
ungeſetzlich, ſo iſt ſie ohnehin ein Verbrechen. In Deutſchland hat die Geſetz-
gebung dieß den Gerichten nicht überlaſſen, ſondern das Recht der Waffe zu
einem Theile der Inſtruktionen für die mit Waffen verſehenen Organe
gemacht; namentlich in Preußen zum Theil ſehr genau, Rönne I. §. 52. —
Ueber den Belagerungszuſtand ſiehe oben.
Faßt man nun das bisher Geſagte zuſammen, ſo ergibt ſich, wie
wir es anfangs bezeichneten, daß das Recht der vollziehenden Gewalt
nicht etwa ein einfaches Recht, ſondern vielmehr ein großartiges, oft
verfaſſungsmäßig beſtimmtes, immer aber hochwichtiges Syſtem von
Rechtsverhältniſſen iſt, das ſelbſtändig neben dem Rechte der
Geſetzgebung daſteht, und das auf allen ſeinen Punkten von einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/235>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.